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Pop der Träume als Raststation im Leid der Welt

(c) AP (Trent Lesikar)
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Die Fleet Foxes aus Seattle erstaunten mit konsequenter Weltabgewandtheit. Ihr vollbärtiger Sänger und Texter setzt auf eine Symbiose aus Melancholie und Euphorie. Und auf Schneeflocken.

„Mögest du in interessanten Zeiten leben“, wünscht der Chinese. Dieser höfliche Fluch lässt darüber sinnieren, ob eine solche Ära nicht im Westen bereits angebrochen sei. Studierte Leut' interpretieren die Launen der Finanzmärkte als Offenbarungen, Rauchfangkehrer satteln auf Geistheiler um, Poptexter setzen auf die Logik der Träume.

Etwa Robin Pecknold, Songwriter der Fleet Foxes. Ihr an diesem Abend vor etwa 2000 andächtigen Hörern entbotenes „Battery Kinzie“ war ein solches Traumgesicht, allerdings ein hässliches: die bluesige Transkription eines Albtraums, serviert mit der harmonischen Unschuld eines Songs von Simon & Garfunkel. „I woke up a dying man, without a chance“, fabulierte Pecknold in formvollendeter Leidenspose. Dieser erst 25-jährige vollbärtige Waldschratt, der sich wie lange niemand mehr im Pop auf Ruhe und Natur als tragende Säulen seiner Kunst beruft, schultert begierig das Leid der Welt.

Umso überraschender, dass er aus Seattle kommt, jener Metropole, die als Welthauptstadt des urbanen, rebellischen Grunge berühmt wurde, aus dem etwa „Nirvana“-Sänger Kurt Cobain kam. Pecknold, dieser späte Antipode Cobains, nennt lieber Neil Young, Brian Wilson und Judee Sill als Einflüsse. Und wirklich: Seit den Tagen von Crosby, Stills, Nash & Young und den Beach Boys hat es keinen so perfekten Satzgesang mehr gegeben wie bei den Fleet Foxes.

Vorbild: „Pet Sounds“ der Beach Boys

„I Just Wasn't Made For These Times“, ein A-cappella-Song vom sakrosankten Beach-Boys-Album „Pet Sounds“ (1966) war vor zehn Jahren die alles entscheidende Erfahrung für Pecknold. Diese erhaben schwebende Symbiose aus Melancholie und Euphorie ist unüberhörbar Vorbild aller Fleet-Foxes-Songs. Praktisch, dass sich der Hörer ein bisserl gehen lassen kann, aber nie ernsthaft ins Depressive abrutscht. Das würde ja womöglich in die Berufsunfähigkeit führen. Das will niemand. Der Fleet-Foxes-Fan braucht bloß eine kleine Rast, einen temporären Unterstand in dieser windigen Welt, um dann, gelabt von überirdischen Harmonien, wieder den alltäglichen Überlebenspragmatismus zu pflegen.

Die Visuals zeigten dicke Schneeflocken, die sanft zum Bühnenboden schwebten. Das war perfekt für diese Mischung aus Märchenfolk und Dream Pop, die mit der an Roy Harper gemahnenden Melodie von „The Plains/Bitter Dancer“ anhob. „Helplessness Blues“ nennt sich das aktuelle Album, das sich viel mit Zweifel und Hilflosigkeit beschäftigt, Themen, die Konjunktur haben.

All das Ungemach der unaufgeräumten Welt verpuffte angesichts der sanften Klangmassagen dieser nur scheinbar aus der Zeit gefallenen altklugen Junghippies. Seltsam frohgemut stapfte man mit ihnen durch das weihnachtlich anmutende „White Winter Hymnal“, stieg über die sanften Hügel der „Blue Ridge Mountains“, um – eingeleitet durch feierliches „Sim Sala Bim“ – schließlich im traumverhangenen „Mykonos“ zu landen.

Die Fleet Foxes haben es erkannt. Um gemeinschaftstiftend wirken zu können, braucht es eine Vision. Warum nicht die einer besseren Welt? Integration ist Schlüsselbegriff dieser Kunst. Völlig unsektiererisch wurden da barocke Schnörkel, Free-Jazz-Einsprengsel und so mancher delikater Groove mit melodischer Süße versöhnt. Die Weihestunde ihres gehobenen Eskapismus endete in gewaltigen Lärmkaskaden. Und doch, am Ende wirkte die Magie der Stille nach.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2011)

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