Heimorgelorchester: "Ach, die Welt ist flach"

Das Erste Wiener Heimorgelorchester streichelt virtuos das
Polyethylen und textet Töne. Mal brachial, mal lieblich.

TIPP

Manchmal sind die Gründe klar, warum’s Vaduz wird und nicht Zürich. Die eine Stadt „tut’s“ einfach mehr als die andere. Besonders in der letzten Silbe. Und im Refrain. Schließlich soll auch die Sprache klanglich etwas leisten beim „Ersten Wiener Heimorgelorchester“. Radio Liechtenstein hämmerte das Lied „Vaduz“ auf Powerplay. Und geboren war der Weltruhm im Fürstentum, gemeinsam mit einer Facebook-Gruppe von Nicht-Sympathisanten: „Gega S’vaduz duz duz duz duz liad“ hieß sie. Dazu der Original-Untertitel: „För alli wo es Liad hassen und afach nur zuaständ öberkon wen es im Radio lauft“. Die Gruppe hatte aber geschätzte 19.000 Mitglieder weniger als das Lied Klicks auf YouTube. Und der FC Vaduz wünschte sich das Lied als Stadionhymne. Schöne Komplimente sind das für vier Männer mit Plastik-Heimorgeln unter dem Arm. Jene Modelle, die in den 1980er-Jahren so gern unter den Weihnachtsbäumen lagen für ein bisschen Elektronik-Home-MTV im Jugendzimmer.

Heimorgel-Kreativworkshops. Ja, auch „Käseleberkäse“ oder „Wienerlied“ auf der neuen CD „Ütöpie“, die am 21. April präsentiert wird, könnten ähnliche Brachialkompositionen wie „Vaduz“ sein. Da nicken die vier Heimorgler einträchtig. Ähnlich einträchtig saßen die Freunde 1994 zusammen, als sie plötzlich feststellten, dass jeder eine Heimorgel zu Hause hatte. Grund genug, sofort einen Auftritt zu fixieren. Ohne geprobt zu haben. Und schon stand das Orchester. Danach tingelten Daniel Wisser, Florian Wisser, Thomas Pfeffer und Jürgen Plank als Partycombo mit BoneyM-Coverversionen durch die Wohnzimmer von Freunden. Allmählich entdeckten sie die eigenen Talente – das Komponieren, das Texten. Und die verborgenen, die unter dem vergilbten Plastikgehäuse der Heimorgel lagen. Mutig kitzelte das Orchester die guten Ansätze und Potenziale so lange, bis die Heimorgeln auch einmal an die berüchtigte Sound-Anlage des Flex in Wien andocken durften. Wow. So viel Kraft und Klang unter dem dünnen, scheppernden Plastikmäntelchen!

Spätestens seit damals verneigen sich die Heimorgler vor den sympathischen Eigenheiten, aber auch den Unzulänglichkeiten ihrer Instrumente. Der „Rapman“ von Casio etwa, ein Kultobjekt, mit extra coolem Scratch-Board, yeah. Eine Revolution im Jugendzimmer. „Hip-Hop, House, R’n’B, Funk“, zitiert Florian Wisser die Begleitrhythmen-Optionen. Und wie entzückend die Heimorgeln immer geschätzte zwanzig Jahre den aktuellen Musiktrends hinterherdüdelten. Heute stehen mit dem Orchester fast zwanzig Orgeln auf der Bühne. Jede wartet genau auf „ihr“ Lied. Den Song, den nur sie spielen kann. „Die Songs entstehen eben oft duch die Zwänge der Orgel“, sagt Thomas Pfeffer. Und durch ihre charmanten Fehler. Wie etwa bei der Vertonung eines Gedichts des deutschen Schriftstellers Ror Wolf auf der neuen CD. „Da haben wir in der Programmierung einer Orgel so einen ungerade Beat entdeckt“, erzählt Pfeffer. Und daraus gleich einen Song gestrickt. Damit das Bühnenrepertoire nicht ausdünnt, hat sich das Orchester jeweils eine Back-up-Orgel zugelegt. „Obwohl gerade die aus den 1970er- und 1980er-Jahren unglaublich lange halten“, meint Jürgen Plank. Zum Glück hat das Internet nicht nur die Welt verändert, sondern auch die Heimorgel-Situation. Früher klaubte man die Modelle zusammen, die man auf Flohmärkten fand. Oder auch mal auf dem Müll. Heute liefert eBay. Viel teurer natürlich. Dann ist es noch einmal so schön, wenn wieder einmal ein Fan seine alte Jugendheimorgel dem Orchester zur weiteren Beforschung anvertraut.

Literarisch wertvolle Texte. Neben den Preisen entwickelte sich auch der Sound der Instrumente. Wenn sie wollten, könnten auch die Heimorgler so klingen wie jede andere Elektronik-Band. Aber die Heimorgel soll sichtbar bleiben auf der Bühne, sagt Daniel Wisser – „Keine Konserve, kein Sampling“ – und hörbar im Sound. Der räudig-ramschige Low-Fi-Unterton sollte sich auch beim Mischen und Mastern der neuen CD im Studio nicht verlieren. „Wir legen schon viel Wert darauf, dass man die Instrumente und ihre Eigenschaften durchhört“, sagt Plank.

Wertvoll ist für die Heimorgler auch die Sprache. Es wundert nicht: Daniel Wisser ist Schriftsteller, letztes Jahr las er beim Ingeborg-Bachmann-Preis – sein aktueller Roman heißt „Standby“. Auch Thomas Pfeffer schreibt Gedichte. Die Wörter und Laute in den Liedern sind oft Tonträger im wahrsten Sinne. Wie beim schon älteren Track „Anton“. Auch da war klar: Elisabeth wäre der falsche Name gewesen. Schließlich besteht das Lied großteils nur aus „an Ton“. Noch dazu kommt: „Einen Ton braucht man schon, denn sonst ist es monoton“, so heißt es im Text. Nicht immer braucht es dafür Bedeutung, keine tiefere zumindest. Wenn die Morpheme wild durcheinanderhüpfen, werden die semantischen Felder auch schon mal kräftig durchpflügt. Und dann reden sogar die Lieder selbst: „Ich bin das Lied, das du schon kennst“ auf der neuen CD etwa – selten dürften sich Hörer so von Liedern angesprochen gefühlt haben. Die Heimorgler scheuen sich nicht vor Reimen wie „Ach, die Welt ist flach“, aber auch nicht davor, den Protest-Songcontest zu gewinnen, 2009 mit „Widerstand ist Ohm“. Oder auch einmal 15 Stunden mit ausschließlich zwei Akkorden zu verbringen. Bei ihrem 15-Jahr-Jubiläum vor drei Jahren spielten sie über Rekordzeit hinweg ausschließlich einen Titel: „Move your Body close to me“ von Dana Gillespie. 

Die neue CD „Ütöpie“ des Ersten Wiener Heimorgelorchesters erscheint beim Label Monkey Music. Das Album wird am 21. April, 20 Uhr im Radiokulturhaus präsentiert. Tickets unter www.radiokulturhaus.at; www.ewho.com
www.monkeymusic.at

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