Marissa Nadlers Tristesse

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Eine Platte, die sich „July“ nennt, aber wie Februar klingt.

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Ein eisiger Windhauch dringt durch den Spalt zwischen Tür und Rahmen in das Innere der Stube. Das Holz ist schon morsch geworden, unbarmherzig ziehen sich Wassertropfen von der Decke, das Leben ist grau und entbehrungsreich. Marissa Nadler vertont auf ihrem sechsten regulären Album abermals in spröden Liedern einen Gemütshaushalt, der öfter nicht bloß mit Sack und Asche möbliert ist. Diese Platte, die sich zwar „July“ nennt, vielmehr aber wie Februar klingt, ist das bisherige Opus magnum der aus Boston, Massachusetts, stammenden Songwriterin. Nicht dass Marissa Nadler nun erstmals mit allzu aufregenden Pomp-Einfällen, Opulenz oder Studio-Klimbim überraschen würde, nein, auch auf „July“ bleibt der Alltag einsam und die Seele finster.

Aura des Nebulösen. Die Konzentration der wenigen Soundquellen auf die Essenz, die schmerzvolle Verdichtung und Entschlackung ihrer Todespoesie hinunter auf wenige stechende Zeilen, ist Nadler bislang nie so erschütternd, nun ja, geglückt wie hier. Die elf auf „July“ versammelten Stücke werden von kaum mehr getragen als einer behutsam befühlten akustischen Gitarre und Nadlers Stimme, bisweilen fallen traurige Töne aus dem Piano. Der Gesang ist hier, mehr denn je, Alleinstellungsmerkmal: Im wie magisch in den Äther gehauchten Mezzosopran der Musikerin ist ein fast schon furchtsames Zittern und Beben zu hören. Gleichzeitig strotzt diese Stimme vor rätselhaftem Selbstvertrauen – gerade so, als spräche die Bewahrerin eines der größten Geheimnisse aller Zeiten zu uns. Sie wird es aber nicht preisgeben! In ihren Texten verwebt Marissa Nadler Unheil verkündende Motive aus Spuk- und Gothic-Literatur mit Reflexionen zu den alten, ewigen Problemen: Turbulenz im Herzen, Liebeskatastrophen, Post-Break-Up-Ödnis. Da und dort singen im Hintergrund Streicher, eine Pedal-Steel-Gitarre wimmert, das Schlagwerk wird – wenn überhaupt – höchst ökonomisch zum Rumpeln gebracht. Das Sounddesign für „July“ hat an den Studioreglern ein Mann namens Randall Dunn besorgt, der für gewöhnlich Black-Metal- oder übellaunige Drone-Bands wie Earth, Sunn O))) oder Wolves in the Throne Room als Produzent betreut. „July“ durchzieht eine Aura des Spukhaften und Nebulösen, ein Schleier des Grauens hängt in der Luft. Nun weiß Marissa Nadler zum Glück, dass Tristesse und Schmerzenslieder allein auf Dauer ein zähes Kraut sind, und lässt so immer wieder, ganz leise, die Hoffnung matt aufblitzen. Schöner Schauder, erhellende Trübsal, morgen kommt dann wieder der Regenbogen.

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