Paolo Nutini: Leidenschaftlicher Typ

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Paolo Nutini ist zurück. Seine brokatbesetzte Kehle schnurrt diesmal nicht nur Liebeslieder.

„Fuck!!! This is one of the best things I’ve ever seen in my life . . .“, twitterte die britische Sängerin Adele, nachdem sie zufällig gleichzeitig in den Londoner Abbey Road Studios war – und Zeugin von Paolo Nutinis Einspielung von „Iron Sky“. So etwas hat man wahrlich lang nicht mehr gehört. Eine epische Freiheitsballade, die mit einer Intensität gesungen ist, wie man sie für ausgestorben erachten könnte, würde man nur den Formatradios lauschen.

„Iron Sky“ sprengt alles, was es an Vorgaben der kommerziellen Radios gibt. Nutinis darin formulierte Forderung, verschüttete Träume freizulegen und zu leben, ist von prächtiger Subversivität. „In this harsh reality mass confusion spoon fed to the blind, serves now to define our cold society“ heißt es ein wenig bitter. Seine Sehnsucht nach einem neuen kohäsiven Geist in unserer Gesellschaft garniert Nutini mit einem eingespielten, langen Zitat aus Charlie Chaplins Schlussrede in „Der große Diktator“: „You are not machines! You are not cattle! [. . .] You are men! You, the people, have the power to make this life free and beautiful, to make this life a wonderful adventure . . . Let us use that power. Let us all unite.“ Bebend beschwört Nutini im Finale die Überwindung von Gefühlen wie Hass, Angst und sogar der Liebe, um Freiheit zu erlangen.

Alte Seele in jungem Körper. Das einstige Wunderkind Paolo Nutini, mittlerweile 27 Jahre alt, hatte sich klugerweise nach dem großen Erfolg des Vorgängeralbums „Sunny Side Up“ für fast drei Jahre aus dem Musikbusiness zurückgezogen. Immer noch trägt er ein wirres Haarnest. Dazu kommen sinnliche Lippen und die ständig heisere Stimme. Keine Frage, an Nutini können weibliche Teenager erste mütterliche Gefühle entwickeln. Doch sieht man von den einnehmenden Äußerlichkeiten ab, drängt sich der Eindruck auf, dass da eine alte Seele in einem jungen Körper wohnt. Das Singen war immer schon die Bestimmung des italoschottischen Singer-Songwriters aus Paisley. Statt artig den Fish’n’Chips-Laden des Vaters zu übernehmen, begab sich Nutini ins unsichere Musikgewerbe.

Bald wurde er von Ahmet Ertegün entdeckt, dem legendären, amerikanisch-türkischen Musikmogul, der das Label Atlantic gründete, das mit Künstlern wie Ray Charles und den Drifters, später Led Zeppelin reüssierte   – Künstlern, von denen Nutini beeinflusst wurde. Die Inbrunst, mit der er singt, kann man guten Gewissens mit der Leidenschaft der großen Soulsänger wie David Ruffin oder eben einer Rockröhre wie Robert Plant vergleichen. Soul gibt es auf dem neuen Album „Caustic Love“ reichlich. Nutini interpretiert den Soulklassiker „Let Me Down Easy“, der einst von Bettye LaVette berühmt gemacht wurde, auf eigene Weise neu. Auch das wehe „Better Man“ ist genährt von den verschlungenen Wurzeln des afroamerikanischen R&B. Nutini möchte ein guter Mann sein. „Meine beiden Großväter und mein Vater sind meine großen Idole. Von ihnen habe ich etwa auch gelernt, alles mit Leidenschaft zu machen“, sagt Nutini und erzählt stolz von seinem etwas ungewöhnlichen neuen Hobby, der Holzschnitzerei. „Ein Mann muss auch mit den Händen arbeiten können“, sagt er. Nutinis Erdung im Working-Class-Milieu ist das Gegengewicht zu all den ritterlichen und romantischen Posen, in die er sich in seinen Liedern zwingt. Mit Songs wie „Iron Sky“ verließ er erstmals seine bis dato um Liebe und Leidenschaft kreisenden Themen. Auch seine Love Songs sind nicht total persönlich zu nehmen. „Wenn ich ,I‘ singe, heißt das noch lange nicht, dass es in dem Song um mich geht“, meint er leicht genervt, wenn man ihn um Erklärung von Songtexten ersucht.

Keine Indie-Band. „Ein Liedtext muss einen gewissen Grad an Mysterium aufweisen. Die Worte müssen so gewählt sein, dass sich möglichst jeder Hörer seine private Vision erlauschen kann. Manche meiner Lieblingskomponisten haben in Interviews vier, fünf divergierende Erklärungen zu einem Song abgegeben. Das gefällt mir.“ Schön auch, dass Nutini immer noch so geerdet ist, dass er nicht von seinem schottischen Akzent lässt. Besonderen Spaß scheint es ihm zu machen, die stets ein wenig hochnäsigen BBC-Journalisten anfahren zu lassen. Im Ausland zeigt sich Nutini konzilianter, formuliert geschliffener. Egal, Interviews gehören zum Business. Ist das Leben eines Musikers so, wie er sich das vorgestellt hat? „Ja und nein. Wenn man einmal in diesem Hamsterrad ist, hangelt man sich von Ziel zu Ziel. Mir geht es um Qualität. Schließlich will man ja, dass all die Superlative, die man über sich liest, halbwegs wahr werden.“ Mit dem von ihm verehrten, lange Zeit vergessenen Psychedelic-Folk-Sänger Sixto Rodriguez sang er live. Nutini nahm eine Version von dessen Hit „Sugar Man“ auf, und Rodriguez sang zuweilen in seinen Shows Nutinis „Last Request“. Ist Alter nur eine Zahl? „Ich habe so viele erstaunliche Kollegen getroffen. Manche waren in ihren Vierzigern, andere über siebzig. Doch wirkten sie auf mich alterslos. Ich war nie so ein ‚cool arty kid‘, das sich einer ‚Indie-Band‘ anschließen wollte. Als ich 19 war, hing ich mit Typen um die dreißig ab. Von ihnen konnte ich mehr lernen als von meinen Altersgenossen.“

Tipp

Paolo Nutini, „Caustic Love“ („ätzende Liebe“) heißt das jüngste Album des 1987 geborenen schottischen Singer-Songwriters mit italienischen Wurzeln, erschienen bei Atlantic Records. Am 9. Mai tritt Nutini im Münchner Backstage-Werk auf. backstage.eu oeticket.com

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