Keith Jarrett: Nach der Virtuosität

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Keith Jarrett überrascht mit wehmütigen Meditationen.

Rechtzeitig zu seinem 70. Geburtstag (am 8. Mai) brachte Keith Jarrett sein 22., ganz allein eingespieltes Album auf den Markt. „Creation“, erschienen bei ECM, versammelt neun elegische Eigenkompositionen, die er 2014 in Paris, Tokio, Rom und Toronto live eingespielt hat. Vom verbissenen Ringen mit dem Instrument, vom unstillbaren Drang zur Perfektion hört man in diesen erstaunlich friedlichen Kompositionen nichts. Gut so. In den meisten Jahren der Karriere dieses Musikers stand ja der Kampf im Vordergrund. Schon als er noch Schlagzeuger bei Art Blakey war, mochte er dessen Rhythmuskonzeption nicht. Später bei Charles Lloyd, schon am Klavier, kam er den Hippies gefährlich nahe. Auf seinem Album „Restauration Ruin“ gab er sich 1968 sogar als leicht falsch singender Liedermacher. In der Band von Miles Davis kämpfte er mit den reduzierten Ausdrucksmöglichkeiten von E-Piano und Orgel. Erst mit „Facing You“, seinem ersten Werk bei ECM, dem 1969 gegründeten Label vom Deutschen Manfred Eicher, kam Jarrett ästhetisch zu sich. Er verfolgte das paradoxe Konzept eines konzeptlosen Spiels. Weder Vorbildung noch Prägung noch musikalische Absicht sollte der Musik in die Quere kommen. Wolfgang Sandner, Autor einer eben erschienenen Jarrett-Biografie, bemühte auf der Suche nach einer ebenbürtigen Kraft den Klavierexzentriker Glenn Gould, der einst sagte, dass er zu einem musikalischen Sonnensystem gehöre, dessen einziger Bewohner er sei. Jarrett ist ein ähnlicher Solitär. Auf Interpretationen seiner Kunst, egal, ob von Musikkritikern oder Fans, reagiert er verstimmt.

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„Part 1“ bis „Part 9“. Den Entstehungszusammenhang seiner Stücke verrätselt Keith Jarrett konsequent. So sind seine meditativen Exkurse auf „Creation“ bloß lapidar mit „Part 1“ bis „Part 9“ benannt. Nur ganz selten gab er in seiner Karriere (meist poetische) Hinweise. Etwa, als er seinem 1976 auf einer Barockorgel eingespielten Werk „Hymns/Spheres“ einen Gedanken von Getrude Stein voranstellte: „Think of your ears as eyes.“ Niemand außer ihm selbst weiß, welche existenzielle Erfahrungen zu der melancholischen Tiefe geführt haben, die etwa „Part V“ auf „Creation“ auszeichnet. Jarretts bedachtsamer, mit kleinen Zögerlichkeiten flirtender Anschlag hat immer noch Magie. Seine neuen Stücke sind allerdings keine Kraftakte des Geistes mehr, wie seine muskulösen Einspielungen in den Achtzigerjahren. Aus ihnen spricht viel eher eine wehe Seele von einer unbestimmten Sehnsucht nach Transzendenz. Plötzlich menschelt es beim Virtuosen. Faszinierend.

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