Pereira: Festspiele sind Jahr für Jahr eine "Schöpfung"

Pereira: Es ist Jahr für Jahr eine
Pereira: Es ist Jahr für Jahr eine "Schöpfung"APA (EDDY RIESCH)
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Intendant Alexander Pereira über Gedenkjahre, geistige und geistliche Durchdringung der Kunst und die adäquate Programmplanung im Verdi- und Wagner-Jahr.

Es ist ein stiller Beginn für die Festspiele", sagt der Intendant, "eine Idee, die das Publikum auf berührende Weise mitgetragen hat: Im Vorjahr konnten wir eine tolle Auslastung damit erzielen, obwohl wir vor der Ausweitung des Konzertangebots und vor der Verlängerung der Festspielzeit gewarnt wurden!" Alexander Pereira freut sich über die Akzeptanz der "Ouverture spirituelle", die dem Beginn seiner Amtszeit an der Salzach 2012 bereits zum Auftakt eine besondere Note verliehen hat. "Ich möchte", sagt Pereira, "jede Spielzeit mit Haydns ,Schöpfung  beginnen und danach geistliche Musik   nicht nur europäischer Provenienz   in den Mittelpunkt stellen. Dieses Angebot zur ästhetischen Reflexion scheint offenbar gut angenommen zu werden.

Auch 2013 beginnen die Festspiele "spirituell". Diesmal verbindet sich die katholische Tradition des Veranstaltungsreigens   dem schon Gründervater Hugo von Hofmannsthal mit seinem "Jedermann" entsprechende Farbe verliehen hat   mit fernöstlichem Gedankengut: "Wobei wir tolle Kombinationsmöglichkeiten gefunden haben, wenn sich zum Beispiel die Gesänge von Mönchen aus Kyoto mit denen einer Choral-Schola aus Cremona mischen werden."

Außerdem ist es Alexander Pereira gelungen, den Doyen der österreichischen Dirigenten, Nikolaus Harnoncourt, dazu zu bewegen, nicht nur die "Schöpfung", sondern im Lauf der Festspiele gleich drei große Haydn-Oratorien in einem Zyklus aufzuführen, was   auf diesem künstlerischen Niveau   wohl noch nie geschehen ist, denn in der Regel kennen Musikfreunde die beiden gigantischen Spätwerke, neben der "Schöpfung" also auch die "Jahreszeiten", in denen sich die philosophisch-geistige Denkungsart der Ära der Wiener Klassik auf unvergleichliche Weise in der Sphäre der Kunst gespiegelt findet.

Doch dass der Komponist in jüngeren Jahren noch ein weiteres Oratorium geschaffen hat, wird von der Aufführungspraxis konsequent unterschlagen. Nikolaus Harnoncourt leitet heuer neben den beiden berühmten Stücken auch eine Wiedergabe von "Il ritorno di Tobia"   womit der Festspielgedanke, der ja stets auch zu einer Horizonterweiterung beitragen sollte, aufs Schönste erfüllt scheint.

Apropos Horizont: "Ich habe vor zwei Jahren Venezuela besucht und mir dort an Ort und Stelle die Errungenschaften des unvergleichlichen Kinder- und Jugendprojekts angeschaut. Das ist faszinierend. Mittlerweile gibt es im Gefolge der Orchesterarbeit Gustavo Dudamels ja 86 regionale Orchester. Es sind schon abertausende Kinder, die ein Instrument lernen, in Chören singen. Aus der musikalischen ist eine soziale Bewegung geworden, die das Land umgekrempelt hat."

In Begeisterung für diese beispiellose Erfolgsgeschichte möchte der Salzburger Intendant "das ganze Sistema vorstellen" und bittet vom Vorzeigeorchester bis zu den Zehnjährigen die gesamte Bandbreite des venezulanischen "Wunders nach Noten" in den Festspielbezirk, inklusive eines Auftritts des White Hands Choir, eines Chors taubstummer Kinder, "die auf Grund der Vibrationen die Musik empfinden   für mich eines der berührendsten Erlebnisse".

Ein Gastspiel in dieser Dimension, eine Kinderorchesterprobe und ein Auftritt der Allerjüngsten unter der Führung von niemand Geringerem als Sir Simon Rattle hat es noch nie gegeben   ein Projekt, das im europäischen Normalbetrieb nicht realisierbar wäre. Pereira: "Wer das erlebt", sagt er, "der sieht es vielleicht auch als Zeichen für Europa. Bei uns gibt es in den Schulen immer weniger Musik, immer weniger schöpferischen Unterricht. Zu erleben, was dieser schöpferische Unterricht vermag, könnte uns vielleicht wachrütteln . . ." Dass auf den Wunschlisten der jungen Musiker die Musik Gustav Mahlers ganz oben rangiert, darf übrigens als eine Wurzel für den diesjährigen Mahler-Zyklus der Salzburger Festspiele betrachtet werden, auch wenn die Mahler-Gedenkjahre gerade vorbei sind.

"Man muss nicht immer ein Jubiläumsjahr feiern, um sich mit der Musik eines Giganten zu beschäftigen", kommentiert Pereira und freut sich, dass es gelungen ist, die neun vollendeten Symphonien Mahlers harmonisch ins Salzburger Programm 2013 einzubauen, sozusagen rund um die Wiedergabe der Dritten, Siebenten und Achten durch das Simn-Bol var-Orchester unter Dudamel und der Ersten durch das National Children s Symphony Orchestra of Venezuela unter Rattle.

Und was die Jubiläen betrifft, sind die Festspielmacher ohnehin auf dem Opernsektor gefordert. In einem Jahr, in dem die 200. Geburtstage der beiden Granden der romantischen Oper zu begehen sind, kommt man an Giuseppe Verdi und Richard Wagner nicht vorbei, auch wenn die Salzburger Bayreuth zuliebe im Normalfall auf den deutschen Großmeister verzichten.

2013 gibt es erstmals seit Arturo Toscaninis Ära die "Meistersinger von Nürnberg" zur Sommerszeit, dazu unter anderem noch die Beschäftigung mit dem aus dem Bayreuther Kanon ausgeschlossenen "Rienzi".
"Bei Verdi", sagt der Intendant, "habe ich mich lange gefragt, was die Mozartstadt zu Verdi zu sagen haben könnte. Ich dachte mir: ,Falstaff  enthält manche Verbeugung des iItalienischen Komponisten vor dem Salzburger Operngenius, ist vor allem eine Oper, die so kammermusikalisch gedacht ist, dass wir einmal die Probe aufs Exempel statuieren sollten: Wir spielen das Stück nicht im großen Festspielhaus, sondern im Haus für Mozart und kommen mit einer verhältnismäßig schmalen Orchesterbesetzung mit acht ersten Geigen aus. Verdi hatte ja das Theater in Busseto vor Augen, in dem nur eine minimale Orchesterstärke möglich ist."
Hier entpuppt sich das gute Gesprächsklima mit den Wiener Philharmonikern als segensreich: "Das Orchester trägt diesen Gedanken mit und ist einverstanden, dass die Besetzung während der gesamten Aufführungsserie nicht wechselt."

Die Beziehung zu Mozart, sagt Pereira, "ist ja auch der Grund, warum ich die ,Meisersinger  spiele, denn wenn es ein Werk gibt, in dem sich Wagner auf Mozart bezieht, dann ist es dieses Ensemblestück, dem wir ganz bewusst Mozarts filigranstes Ensemblewerk entgegensetzen: ,Cos  fan tutte ."

Dem gegenüber stehen die im klassischen Sinn "festspielreifen" Riesenwerke, vom "Don Carlo", der zur Salzburger Aufführungstradition gehört, aber noch nie in der fünfaktigen Version zu sehen war, bis zu Wagners Reverenz vor der französischen Grand Op ra, "Rienzi". Die Wahl des zeitgenössischen Stücks, Harrison Birtwistles "Gawain", hat wiederum mit dem großen Salzburger Gedanken zu tun: Immerhin boten die Osterfestspiele heuer den "Parsifal", zu dem der Ritter der Tafelrunde in inniger mythologischer Beziehung steht.

Ein weiterer zyklischer Gedanke zieht sich mit der Wahl von Verdis "Giovanna d Arco" durchs Sommerprogramm: "Die Jungfrau von Orleans" verknüpft Raritätenpflege (mit der Erinnerung an den bedeutenden Richard-Strauss-Zeitgenossen Walter Braunfels) mit Friedrich Schiller   und damit Musik- und Sprechtheater. "Natürlich", kommentiert Pereira, "sind solche programmatischen Linien für die Festspiele von Bedeutung. Ganz abgesehen davon, dass wir ja wissen, dass der durchschnittliche Festspielbesucher mehr als nur ein, zwei Nächte in der Stadt bleibt!"  "In Wahrheit buchen die Gäste eine ganze Woche und bekommen daher sinnvolle Verknüpfungen sehr wohl mit. Wichtig ist ja auch, dass über mehrere Wochen hin gedankliche Brücken geschlagen werden können." Als Sammelsurium möglichst hochkarätig besetzter Einzelveranstaltungen wären die Salzburger Festspiele nicht, was sie sind   oder zumindest nach der Vorstellung ihres Intendanten sein müssen.

"Dazu gehört, dass Beethoven-Zyklen mit dem Hagen-Quartett   oder kommende Saison mit Rudolf Buchbinder   möglich sind. Derartige Projekte verleihen dem Gesamtprogramm die erwünschte Struktur." Verdis "Requiem" unter Riccardo Muti, der erste Akt der "Walküre" unter Lorin Maazel, das sind Solitäre in den Konzertprogrammen der Wiener Philharmoniker, die selbstverständlich in jeder Spielzeit denkbar wären   wie etwa auch Benjamin Brittens (noch ein Jahresregent!) "War-Requiem" mit Anna Netrebko, Ian Bostridge und Thomas Hampson unter Antonio Pappano. Und doch erfüllen sie heuer ihre sinnvolle Funktion im großen Festspielganzen.

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