Jedermann als charmantes Raubtier auf seiner letzten Party

Jedermann
Jedermann(c) APA/BARBARA GINDL (BARBARA GINDL)
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Hofmannsthals Spiel vom Leben und Sterben des reichen Mannes als Popkonzert: Philipp Hochmair und die US-Musikerin Simonne Jones begeistern in einer grandiosen, vielschichtigen Inszenierung.

„Baby, mach dir bitte nie mehr Sorgen um Geld, gib mir nur deine Hand, ich kauf dir morgen die Welt“, singt der deutsche Rapper Cro, Idol der Teenager. Das Markenzeichen des 23-jährigen Stuttgarters ist eine Panda-Maske. Auch Hofmannsthals „Jedermann“ ist eine Art Rap – demonstriert der deutsche Regisseur Bastian Kraft beim Young Directors Project in Salzburg. Rap als literarischer Text, Gedicht, Poem verstanden.

Das Regietheater wurde von der Abneigung der 1968er-Generation gegen das von den Nazis missbrauchte Pathos geprägt, aber auch von Regisseuren, die aus dem ehemaligen deutschen Osten kamen, wo das bürgerliche Theater kritisch dekonstruiert wurde; auch dabei werden oft Emotionen verfremdet, entfernt. Die Popmusik scheint von solchen Dogmen nichts zu wissen. Sie schwelgt in Gefühlen, überschreitet lustvoll Grenzen zum Kitsch. „Lasst uns tanzen, bis die Sonne aufgeht, wir sind jung und werden es immer bleiben!“ So singt die aus Los Angeles stammende und in Berlin lebende Electroclash-Sängerin Simonne Jones.

Auf Englisch klingt das natürlich viel flotter, besser, hier wurde es übersetzt, um zu zeigen, wie Hofmannsthals oft als betulich, schwülstig und altmodisch empfundener Text in Lyrics umgesetzt ist. Simonne Jones, ein wunderschönes, schlaksiges Mädchen, das sich in allerlei Posen ablichten lässt, von der kanadischen Extremperformerin Peaches gelobt wird und auch auf deren Spuren wandelt, erinnert bei diesem „Jedermann“ wohl nicht zufällig optisch von fernher an den bedauernswerten verstorbenen King of Pop, Michael Jackson.

Jones spielt, singt und musiziert auf vielerlei Instrumenten, von der Akustikgitarre bis zum Xylofon. Sie liefert die Klangfläche zu diesem hinreißenden „Jedermann“.

Im Wahn der Identitäten, inneren Bilder

Um nichts weniger großartig ist der gebürtige Wiener Philipp Hochmair, der am Burgtheater spielte und nun am Hamburger Thalia engagiert ist – dieses ist Koproduktionspartner der Salzburger Aufführung. Mit Soli wie „Werther“ nach Goethe (mit Hochmair) oder „Dorian Gray“ nach Oscar Wilde (mit Markus Meyer), beide am Burgtheater zu sehen, entstand eine Art neues Format, klassische Texte mit den heutigen Problemen einsamer, egozentrischer Menschen zu verbinden: mittels Techno und Technik, die aber nicht Selbstzweck sind oder steril wirken, sondern alte Geschichten mit zeitgemäßem Design versehen. Der „Jedermann“ ist das vorläufige Meisterstück dieser Entwicklung. Aus Hofmannsthals Feudalherrn auf dem Sprung von der Gründerzeit in den Kapitalismus wird der moderne Unternehmer, Banker, Manager als Popstar, ein charmantes Raubtier, bei dessen letzter Party der Tod den Stecker herauszieht...

Toll: Der Text wurde kaum verändert. Hochmair spielt alle Rollen fast allein. Das Skelett ist von Beginn an präsent, es wird „behübscht“, z.B. als Jedermanns Mutter mit Schal, doch sein kaltes, weißes Kameraauge bleibt gruselig, unbewegt. In den Projektionen auf Video mit Abbildern seiner selbst in Übergröße durchläuft Jedermann seine Katharsis vom Erfolgsmenschen, der völlig in seinem Dasein als Macher, Lover, Prasser aufgeht, über den Kämpfer um sein Leben bis zur erzwungenen und schließlich akzeptierten Introversion und Konzentration auf das wirklich Wichtige im Leben. Der Tod bleibt für diesen Jedermann trotz Läuterung fürchterlich, sich windend versinkt er mit schmerzverzerrtem Gesicht im Grab.

Das Spiel auf dem Domplatz ist ja sehr erfolgreich, auf bemühte Historisierung, die die Kluft zwischen dem Realen und dem Spirituellen oft überdeutlich sichtbar machte, folgte zuletzt die große Show.

Hochmair, der wie eine Fusion von Mick Jagger und Marilyn Manson aussieht, ist der wahre Jedermann von heute. Er zeigt einen Menschen im Wahn seiner Projektionen, im Taumel seiner Identitätssuche, die ihn vom Materiellen zum Geistigen führt. Diese Reise wirkt sehr echt und authentisch. Die Verschmelzung von Popkonzert und Messe ereignet sich. Ein großer Abend im Off-Format des Young Directors Project – die Produktion wandert nun leider nach Hamburg ab. Aber man könnte die Aufführung ins Burgtheater einladen. Theater mit Popmusik gibt es oft, hier zeigt sich der Pop als maßgebliche Energiequelle für das Theater.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.08.2013)

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