Oper im Hangar 7: Morettis Entführungsabenteuer

Selim Bassa als Modedesigner: Tobias Moretti umwirbt Desirée Rancatore vergeblich.
Selim Bassa als Modedesigner: Tobias Moretti umwirbt Desirée Rancatore vergeblich.(c) APA/BARBARA GINDL (BARBARA GINDL)
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Adrian Marthaler und Felix Breisach inszenierten die „Entführung aus dem Serail“ für eine TV-Show, als wollten sie ganz einfach eine klassische Produktion aus dem Festspielhaus auf mehrere Spielorte verteilen.

Ganz so neu war es dann doch nicht. Aber immerhin: Die Salzburger Festspiele avisierten eine TV-Oper. Genauer: Sie kündigten das an, was man heute ein Event nennt. Wer dabei ist, ist dabei. Wer es versäumt, hat es versäumt. Oder er hat Servus TV eingeschaltet und war in der virtuellen Oper, die diesmal nicht über die Festspielhausbühne, sondern über den Hangar 7 des Salzburger Flughafens gegangen ist.

Eigens für diese Übertragung wurde das Spektakel von Adrian Marthaler und Felix Breisach programmiert und inszeniert. Die Technik, das muss man in diesem Fall gleich anfangs erwähnen, funktionierte reibungslos und arbeitete akustisch auf allerhöchstem Niveau. Die Singstimmen kamen natürlich und präsent über die Lautsprecher, die Hinzumischung des Orchesterklangs war perfekt ausbalanciert.

Hans Graf am Pult der Camerata brachte das Kunststück zuwege, trotz der immensen Distanz zwischen Orchester und Darstellern die Summe an Inkongruenzen überschaubar klein zu halten. Auch dort, wo Spannungen vorprogrammiert scheinen: Eine rhythmisch recht freizügige Sängerin wie quirlige Rebecca Nelsen als (dunkelhaariges) Blondchen sorgt notwendigerweise für mehr Reibungsfläche als diszipliniertere Kollegen.

Koloraturblitze unter Flugzeugdonner

Dass sich Instrumentalmomente wie etwa das Vorspiel zum Rezitativ der g-Moll-Arie Konstanzes subtiler modellieren ließen, steht auf einem anderen Blatt. Aber diesbezüglich, bleiben wir gleich bei der musikalischen Seite der Veranstaltung, kam ja auch vokal kein adäquater Respons: Desirée Rancatore, kurzfristig für Diana Damrau eingesprungen, hatte schon mit den heiklen Balanceübungen der Auftrittsarie ihre liebe Not. Für den geforderten beseelten Ausdrucksgesang in tieferen Lagen fehlt es ihrem Sopran an Fülle, für die Koloraturen an Treffsicherheit.

Wiewohl es wahrscheinlich wirklich viel verlangt ist, eine der anspruchsvollsten Partien dieses Fachs makellos zu singen, während immer wieder Flugzeuge über die Aufführungsstätte donnern. In der dritten, der sogenannten Marternarie wäre der Umschwung von der Einsamkeits- und Sehnsuchtsbeschwörung zum felsenfesten Vertrauen in die eigene Charakterstärke künstlerisch zu bewältigen. Davon konnte diesmal keine Rede sein – auch deshalb, weil die Inszenierung im Fernsehen erstaunlicherweise aussah wie eine höchst konventionelle Repertoireaufführung, die gerade abgefilmt wurde.

Der Spielort hätte die Chance geboten, dank Beweglichkeit und rasch wechselnder unterschiedlichster Spielorte überraschende dramaturgische Effekte zu erzielen. Doch brachte es Adrian Marthaler dabei nur zu netten Aperçus: Pedrillo zieht während Belmontes „Baumeisterarie“ einen Hubschrauber ins Freie, um ihn für die Flucht startklar zu machen; Bassa Selim ist kein arabischer Potentat, sondern ein europäischer Modeschöpfer – womit Osmin vom Haremswächter zum Aufseher der Laufstegmodels mutiert. Das hätte man ebenso im kleinen Festspielhaus auf die Bühne bringen können. Im Hangar 7 sieht man freilich, apropos Event, das Publikum herumstehen und -sitzen.

Man schlendert rund um die Primadonna

Die Herren dürfen, die Hände im Hosensack oder ein Weinglas balancierend, während der Arie genüsslich die Primadonna umrunden, um sie bei der Schwerarbeit genau zu beobachten.

Im Übrigen: Bassa oder Modezar, alles eins. Nachdem Tobias Moretti einige Kostümentwürfe zerknüllt hat, vor lauter Wut, weil Konstanze ihn nicht erhören will, macht er von seinem Designerdasein keinen Gebrauch mehr und spielt ganz einfach die Rolle, beinah wie sie im Büchel steht. Unerklärlich nur, warum er dabei herumbrüllt und zwischendurch dann und wann leise „Hmm“ murmelt, als wollte er auf einen sicheren Listenplatz für die Vorausscheidung im Ersten Gert-Voss-Imitationswettbewerb gelangen. Und die endsilbenverschluckende Artikulation? „Immer in Trän'n“, sagt er beim Auftritt, „wie soll die Sehnsucht je vertrockn'n?“ Da wäre ei'm Theaterfreund früher das Wein'n gekomm' . . .

In der Post-Peymann-Ära kann uns solche Sprachinsensibilität so wenig irritieren wie das Gekicher der TV-Moderatorin Sunnyi Melles, die immerhin Salzburgs Festspiel-Intendant herauslockte, dass Mozarts Oper einst im Hause seiner Urururgroßmutter Fanny von Arnstein komponiert wurde. Darüber darf man sich ebenso freuen wie über die Tatsache, dass ein alter Opernhaudegen wie Kurt Rydl so gar kein Problem hat, seine Theaterleidenschaft auf das elektronische Medium zu übertragen. Die Mikrofone geben ihm die Möglichkeit, seine Partie ohne jeden Nachdruck zu singen – und als liebenswerter Bösewicht kokettiert er sogar mit der Kamera charmant.

Zwei Tenöre zu entdecken

Zwei Tenöre sind zu entdecken: Javier Camarena (Belmonte) bewirbt sich nicht als Baumeister, sondern als Parfumeur, und formt in der Folge mit lyrisch-schöner, beweglicher Tenorstimme auch gefühlvolle Pianophrasen, riskiert manches und gewinnt meist. Nicht einmal die anstrengenden Koloratursalven der „Baumeisterarie“ bringen ihn wirklich aus der Ruhe.

„Frisch zum Kampfe!“, ruft derweil der durchaus auch lyrisch begabte Pedrillo Thomas Ebenstein. Und es gebricht ihm nicht an der nötigen Kraft und Treffsicherheit. Sehr gut klangen überdies die Solostimmen im Chor beim Auftritt des Bassa Moretti.

Die Textretuschen verraten uns, wo wir in politisch korrekten Zeiten bald sein werden: Statt „Ob's wohl Allah sehen kann“ heißt es beim Trinklied jetzt „ob's der Bassa sehen kann . . .“, aber Pedrillo darf immerhin noch „im Mohrenland gefangen“ sein. Das alte Europa hat aber noch die Oper auf seiner Habenseite in der Kulturbilanz. Sie funktioniert offenbar auch im Hangar 7 und im TV – vielleicht findet sogar ein Regisseur eine wirklich originelle Dramaturgie für die neuen medialen Möglichkeiten . . .

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2013)

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