Sven-Eric Bechtolf: „Kunst darf alles – vor allem, weil sie künstlich ist“

Sven-Eric Bechtolf.
Sven-Eric Bechtolf.(c) Salzburger Festspiele/Luigi Caputo
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Sven-Eric Bechtolf, künstlerischer Leiter der Salzburger Festspiele, will im Festspielsommer 2016 träumerisch die Wirklichkeit entlarven.

Ein paar Worte über die Grundzüge der Salzburger Festspiele 2016. Wie zieht man als „Festspielmacher“ einen roten Faden durch ein dermaßen reichhaltiges Programm? Braucht es überhaupt übergreifende „Konzepte“ von Jahr zu Jahr?
Es fängt meist mit einem Titel an. Das war in unserem Fall „The Exterminating Angel“. Das Libretto dieses Auftragswerks an Thomas Adès, noch von Alexander Pereira erteilt, hat bekanntlich den Film des surrealistischen Regisseurs Luis Buñuel als Vorlage. Von da gingen unsere Gedanken hin zu den Träumen. Dem Traum als Metapher für die Irrealität unserer Existenz und dem Traum, den wir vorsätzlich konstruieren, um die sogenannte Wirklichkeit zu entlarven. Im „Sturm“ sagt Prospero: „Wir sind aus jenem Stoff gemacht, aus dem die Träume sind und unser kleines Leben liegt im Schlaf.“ Wir lassen Novalis darauf antworten: „Wir sind im Begriff zu erwachen, wenn wir träumen, dass wir träumen.“ Das Spannungsverhältnis dieser beiden Sätze hat uns inspiriert. Generell muss ein roter Faden nicht sein, er trägt aber dazu bei, Gedanken zu konkretisieren oder zu begleiten oder zu provozieren.


Richard Strauss pries die Sinnhaftigkeit der „mythologischen Oper“. Die heuer gespielte „Liebe der Danae“ gehört dazu. Was kann ein Mensch des 21. Jahrhunderts von einem solchen Werk in seine Zeit mitnehmen?
Der Mythos ist, glaube ich, eine sinngebende, künstliche, befragbare und spiegelnde Begrenzung für uns von der Unbegrenztheit dauernd Gefährdeten. Oder wie Norbert Bolz sinngemäß schrieb: Er macht ein Bild von der Welt und umstellt die Welt mit Bildern. Er ist auch die Erfindung der „Überzeitlichkeit“, der ewigen „Gültigkeit“ als eine Hilfskonstruktion im Kampf gegen die Absolutheitsansprüche der Gegenwart. Die irrwitzige Verschlungenheit und polytheistische Vielgestaltigkeit, gerade der griechischen Mythologie, ist Hinweis auf die höchst differenzierte Weltbefragung ihrer Erschaffer. Die anthropomorphen Götter der Griechen sind geeignete Spiegel – noch für uns, wie ich glaube. Selbstverständlich ist das Ideal, das Richard Strauss vorschwebt, stark vom Humanismus geprägt – ich kann kein abschließendes Urteil über dessen „Aktualität“ abgeben. Eine Besonderheit, die die Rezeption dieser Oper belastet, ist selbstverständlich die Tatsache, dass sie 1944 aufgeführt werden sollte. Man kann das Strauss als skandalöse Weltflucht vorwerfen, ich sehe darin auch den Versuch, während des Weltunterganges beharrlich, nahezu blind und gegen jede Wahrscheinlichkeit auf eben diese untergegangene Welt zu bestehen. Grundsätzlich bin ich aber der Meinung, dass nicht so sehr die Frage gilt: Was hat uns ein solches Werk heute noch zu sagen – als sei dieses „Heute“ irgendein sagenhafter Vorteil –, sondern eher: Von welcher Güte sind die Fragen von uns Heutigen an dieses Werk. Also, an dieser Stelle keine schmissige Werbung für die „Danae“, sondern die Hoffnung auf ungeschürtes Interesse.


Vom einstigen Uraufführungsskandal rund um den „Ignoranten“ ist Anekdotisches geblieben. Schon Bernhard selbst macht sich im „Theatermacher“ über die „fünf Minuten ohne Notlicht“ lustig, die damals zur Absetzung der Aufführung vom Spielplan geführt haben. Muss Theater eigentlich immer ästhetische, eventuell auch juristische Grenzen ausloten?
Kunst darf alles – vor allem, weil sie „künstlich“ ist. Wenn ein Schauspieler auf der Bühne einen Partner aus künstlerischen Gründen erwürgt, ist er zu „echt“ gewesen. Es gibt keinen „Kunstmord“. Die Sache ist nach dem, gewiss frenetischem, Applaus nicht wieder gutzumachen und der Kollege bekommt nicht den Nestroypreis verliehen, sondern fünfzehn Jahre Haft. Diese simple Folgerichtigkeit gilt für die gesamte höchst abstrakte und komplexe Verabredung, die wir Kunstfreiheit nennen und die durchaus eine Herausforderung, auch für die Künstler, ist. Je kunstloser und brachialer ein Künstler auf die Realität eindrischt, desto fragwürdiger wird ihm nämlich selbst die Risikolosigkeit erscheinen, die eben diese Realität ihm dafür bietet. Wer ständig die dicke Lippe riskiert, die er sicher nie bekommt, wirkt irgendwann einmal ziemlich gemütlich. Wer will das schon? Dagegen hilft nur ein höheres Maß an Kunst. Mit der Pressefreiheit verhält es sich ja ähnlich: Beide verlangen ein hohes Maß an Verantwortlichkeit. Oder Redlichkeit. Es gilt jedenfalls: Kunst darf alles – wenn sie Kunst ist.


Sie sind Intendant, Regisseur dreier Mozart-Opern und stehen als Schauspieler auf der Bühne. Wie schafft man es, sich immer ganz auf die jeweils aktuelle Aufgabe zu fokussieren – um im entscheidenden Moment ganz Intendant beziehungsweise ganz in der Schauspielrolle zu sein?
Ich weiß gar nicht, ob ich das immer schaffe. Es gibt schon Momente auf der Probe, wo zum Beispiel technische oder organisatorische Dinge auftauchen, bei denen ich mich als Schauspieler als nicht zuständig abgedreht, und die ich als Regisseur kampfeslustig beim Intendanten durchgekämpft hätte. Das geht jetzt leider nicht mehr. Ich streite dann eben mit mir selbst. Dabei hilft mir mein Doppelname.


Hofmannsthal spricht in seinem Konzept für die Salzburger Festspiele ausdrücklich  vom „Glauben an den Europäismus“. In Zeiten der real eixistierenden EU und angesichts der aktuellen Probleme: Welche Aufgabe hat Kunst, bei Festspielen zumal, in diesem Sinne? Und wann hätten die Festspiele diese Aufgabe erfüllt?
Das ist ein guter Ausdruck: „real existierende EU“. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass alles, was real existiert, die Schweizer-Käse-Variante des Plans vorstellt: überall Löcher! Das Theater war in seinen antiken Anfängen ein großer Mahner, es warnte uns vor der Hybris und wies auf die Verhängnishaftigkeit unserer Existenz hin. Vielleicht bleibt das auch heute der Kunst zu tun. Vielleicht würde die heutige Katharsis uns lehren, die Spannung, die zwischen Anspruch und Wirklichkeit notwendigerweise besteht, nicht nur auszuhalten, sondern als Gesetzmäßigkeit anzuerkennen, ohne dabei zu resignieren oder rabiat zu werden. Europa wäre es jedenfalls wert. Aber Sie stellen die Frage dem Falschen. Ich bin zwar der Meinung, dass das Theater – die Kunst – an der jeweils herrschenden Debatte, von mir aus auch an einer über die Bedeutung Europas, teilnehmen kann/darf/soll, aber insgeheim kommt mir vor, dass seine echten, tiefen Möglichkeiten das Gegenteil von Debatte sind. Ein „politisch-aktuelles“ Stück interessiert mich nur, wenn es etwas berührt und von etwas berührt ist, das seinen Anlass übersteigt und unabweisbar ist. Nicht debattierbar. Manchmal kann ein Interpret alleine solch eine Wirkung haben, besser ist es, wenn alle, die an einer Aufführung teilhaben, sich wenigstens unausgesprochen diesem Ziel verpflichten. Vor allem solche Aufführungen sollten Festspielen gelegentlich gelingen.

Zur Person

Sven-Eric Bechtolf hat seit 2014 die künstlerische Gesamtplanung der Salzburger Festspiele inne. Seit 2012 leitet er das Schauspiel bei den Festspielen. Der in Darmstadt Geborene ist Schauspieler und Regisseur; bei den diesjährigen Salzburger Festspielen ist Bechtolf Intendant, Regisseur dreier Mozart-Opern und Schauspieler („Der Ignorant und der Wahnsinnige“) gleichermaßen.

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