Superstars und rare Schätze

Plácido Domingo lässt sich in Massenets „Thaïs“ von Sonya Yoncheva bezirzen.
Plácido Domingo lässt sich in Massenets „Thaïs“ von Sonya Yoncheva bezirzen. (c) Deutsche Grammophon/Dario Acosta
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Die Sängerelite erschließt dem Festspielpublikum in konzertanten Aufführungen heuer besondere Preziosen aus dem
Opernrepertoire.

Welch pulsierendes Leben in der Gattung Oper steckt, offenbart sich immer wieder anlässlich konzertanter Aufführungen. Zwar stellt die Präsentation eines Musiktheaterwerks im Konzertsaal eine Art von Perversion dar, denn der Wortteil Theater scheint dadurch obsolet zu werden. Und doch: Die Musik, die bei dieser Umwidmung als einzige treibende Kraft bestehen bleibt, hat, so scheint es, theatralisches Potenzial genug, um einen Abend lang den Ausfall der quasi systemimmanenten Szene vergessen zu machen.

Immer wieder bekennen Opernfreunde, aus guten konzertanten Aufführungen denselben Gewinn gezogen zu haben wie aus ebensolchen inszenierten. Ganz zu schweigen von missliebigen szenischen Verballhornungen, die manch sensiblen Geist schon des Öfteren dazu gezwungen haben, während einer Produktion die Augen zu schließen. Im Fall der konzertanten Aufführungen der Salzburger Festspiele 2016 dürfte die Besetzungsriege garantieren, dass den Besuchern bei „Manon Lescaut“, „Thaïs“ und „Il templario“ nichts abgehen wird. Da ist Anna Netrebko, die die Titelheldin in Giacomo Puccinis Version der „Manon“ des Abbé Prevost darstellen wird. Das Verb ist bewusst gewählt: Diese Sängerin braucht keine Bühnenbilder, keine Kostüme, keine besonderen Beleuchtungseffekte, um sich mit Haut und Haar – und Stimmbändern – in eine vollblütige Bühnenfigur zu verwandeln.

Anna Netrebko liebt, lebt und leidet als  Puccinis Manon  Lescaut.
Anna Netrebko liebt, lebt und leidet als Puccinis Manon Lescaut.(c) Deutsche Grammophon/Kristian Schuller

Besondere Debüts. In diesem Fall steht sie – eine Salzburger Premiere nach vielen umjubelten Netrebko-Auftritten in den vergangenen Jahren – an der Seite ihres Ehemanns, Yusif Eyvazov, der den Des Grieux singen wird. Armando Piña gibt den Lescaut, Carlos Chausson den Geronte, das Münchner Rundfunkorchester, geübt in derlei halb szenischen Aktionen, begleitet unter Marco Ar-
miliato. Aufführungen sind am 1., 4. und 7. August. Nach der Dernière ist eine Gala für Anna Netrebko avisiert, deren Reinerlös der Jugendarbeit der Salzburger Festspiele zugutekommen wird. Eine sympathisches Geste, immerhin waren es die Festspiele, die den internationalen Karrierestart der russischen Diva markierten: zunächst mit dem Debüt als Donna Anna in der von Nikolaus Harnoncourt dirigierten „Don Giovanni“-Premiere, dann 2005 mit dem legendären Auftritt als Violetta Valery in Verdis „La Traviata“, deren Videodokumentation mittlerweile zu den meistverkauften Opern-DVDs überhaupt gehört.

Ein Debüt der besonderen Art verzeichnet in der zweiten konzertanten Produktion dieses Sommers das Stück selbst: Wenige Opernfreunde kennen „Il templario“ aus der Feder von Otto Nicolai. Mit dem Komponisten assoziiert man eher das deutsche Operngenre. Nicolai, Schöpfer der „Lustigen Weiber von Windsor“, ist in die Annalen eingegangen als einer der bedeutendsten Meister der heutzutage sträflich vernachlässigten komischen Oper. Dass er dabei durchaus auf veritable Italianità aufgebaut hat, kann man als gutwilliger deutschsprachiger Opernfreund durchaus ahnen.

Nun liefern die Salzburger Festspiele den Beweis. Als 30-Jähriger reüssierte der als Schüler Carl F. Zelters künstlerisch in Berlin und daher durch und durch deutsch sozialisierte Komponist mit Opern im italienischen Seria-Stil in Turin. Die örtlichen Kenner bestätigten dem Tedesco seine Originalität. Der „Templario“ wurde Nicolais dritte große Seria und schaffte es als „Tempelritter“ in deutscher Sprache dann auch auf die Bühne des Wiener Kärntnertortheaters. Dort war Nicolai schon vor seiner Italien-Tour Kapellmeister gewesen. Der Erfolg des Stücks führte zu einem Neuengagement, das für die Musikgeschichte nicht unbedeutend bleiben sollte. Der „eingewienerte“ Nicolai wurde zum Gründervater der Wiener Philharmoniker, indem er mit dem Orchester der kaiserlichen Oper symphonische Konzerte veranstaltete.

Juan Diego Flórez ehrt den Meister der deutschen Spieloper, Otto Nicolai.
Juan Diego Flórez ehrt den Meister der deutschen Spieloper, Otto Nicolai.(c) Kristin Hoebermann

Rittern um die Liebe. Der Rest ist Geschichte, zum Teil auch Salzburger Festspielgeschichte, denn seit Gründung des Festivals sind die Philharmoniker in Oper und Konzert dort das führende Orchester. So ist es nur richtig, dass auch sie es sind, die bei „Il templario“, der nun sein Österreich-Debüt in der Originalsprache feiert, unter Andrés Orozco-Estrada zündend begleiten, wenn Luca Salsi den Titelhelden singen wird – und Juan Diego Flórez, den Musikern in Belcanto-Partien wie dieser aus ihrem Wiener Staatsopern-Brotberuf bestens vertraut, den Vilfredo: eine Partie, die alle Register des Tenors fordert, das Allerhöchste zuvörderst, und die gespickt ist mit Vokalfinessen. Was wiederum erklärt, warum sich ein Spitzentenor wie Flórez gern für eine derartige Rarität einsetzt.

„Il templario“ ist erst vor einem knappen Jahrzehnt durch ein kleineres deutsches Operntheater der Vergessenheit entrissen worden, doch bekamen manche bedeutende Solisten Lust, sich an dieser spannenden Aufgabe zu beweisen. Die Dame, die bei den Aufführungen am 27. und 30. August 2016 im Großen Festspielhaus zwischen dem Tempelritter und dem Ritter Wilfried steht, ist eine der gefeierten Mezzosopranistinnen unserer Zeit: Joyce DiDonato singt die Rebecca, der Hexerei angeklagt. Um ihre Errettung vom Scheiterhaufen liefern beide Herren einander ein Duell. Zwar siegt der Tenor und Rebecca gesteht ihm ihre Liebe; doch die Pflicht ruft – wie einst Lohengrin seine Elsa muss Wilfried Rebecca verlassen. Ein trauriges Happy End, sozusagen.

Sieht man genauer hin, wie besagter Wilfried mit Nachnamen heißt, weiß man auch rasch Bescheid, worum es in diesem „Tempelritter“ gehen könnte: Der Titelheld nennt sich Vilfredo d’Ivanhoe. Walter Scotts berühmter Roman liegt der Oper zugrunde, wobei sich die Autoren allerdings – anders als bei der Verfilmung – für das Musiktheater auf die Grundzüge der Geschichte beschränkt haben. Nicolai, souveräner Melodiker, zeichnet die Charaktere im Gefolge des verehrten Vincenzo Bellini. Der Philharmoniker-Gründer als Meister-Belcantist: Das wird vermutlich auch einige der Mitglieder des Orchesters verwundern.

Sonya Yoncheva gibt die Titelheldin in „Thaïs“.
Sonya Yoncheva gibt die Titelheldin in „Thaïs“.(c) Rolex/Hugo Glendinning

Bestrickend. Das Münchner Rundfunkorchester begleitet die dritte konzertante Aufführung der Sommersaison, die Jules Massenets „Thaïs“ gewidmet ist und einen der längstdienenden Salzburger Festspielstars zurück aufs Podium bringt. Plácido Domingo ist der Athanaël und bringt als Leiter des Operalia-Wettbewerbs einen jener Jungstars mit, die bei diesem Wettbewerb erste Sporen verdient haben: Sonya Yoncheva gibt die Titelheldin.

Die Geschichte ist bestrickend. Thaïs ist eine Kurtisane, Athanaël ein Mönch. Er ist besessen von seiner Traumvision, die ihm suggeriert, er könne Thaïs von „den Fesseln des Fleisches“ befreien und zu einem Leben im Glauben bekehren. Das Raffinement von Massenets Musik ermöglicht es nachzuvollziehen, dass die Verwandlung der Thaïs zwar gelingt, doch in Athanaël tiefe Verwundungen zurückbleiben. Zuletzt ist es der Mönch, der sich eingestehen muss, sich in Thaïs verliebt zu haben.

Was die Handlung vordergründig verbietet, lässt hinter- und tiefgründig die Musik hören. Patrick Fournillier steht am Dirigentenpult, es wird sich weisen, dass in diesem Stück keineswegs nur die berühmte „Meditation“ mit ihrem verzehrend schönen Violinsolo zu den Ohrwürmern der hartnäckigsten Spezies gehört. Bühne braucht es jedenfalls keine, um zu begreifen, was in den Figuren vor sich geht.

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