"Sexy" Tracht: Wenn Jeansträger Freaks sind

Wenn Jeanstraeger Freaks sind
Wenn Jeanstraeger Freaks sind(c) AP (CHRISTOF STACHE)
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An diesem Wochenende herrscht strenger Trachten-Dresscode in Graz. Tausende feiern in Dirndl und Lederhose steirisches Kulturgut.

Seit Freitag lautet der Dresscode in der Grazer Innenstadt: Tracht. Dirndl, Lederhose, Steireranzug, diese Wahl ist zwar jedem selbst überlassen. Will man auffallen, greift man zu Jeans und T-Shirt, denn mit diesem Outfit ist man beim „Aufsteirern“, dem Fest für steirisches Brauchtum und Kulturgut, garantiert in der Minderheit. Zum elften Mal verwandelt sich die steirische Landeshauptstadt an diesem Wochenende in einen einzigen großen Tanzboden und lockt tausende Besucher in die Altstadt.

„Es ist noch nicht so lange her, da sah man beim ,Aufsteirern‘ lediglich das Personal und die Künstler in Tracht“, erzählt Katharina Götzl von Trachten Seidl. „Mittlerweile stechen jene ohne Tracht wie Freaks aus der Menge.“ Was an diesem Wochenende zu tragen ist, wurde am Freitag bei der größten Trachten-Modenschau Österreichs, „Pracht der Tracht“, auf dem Grazer Hauptplatz präsentiert.

Stargast war Karina Sarkissova, Solotänzerin der Wiener Staatsoper und Jurymitglied der ORF-Show „Die große Chance“. Die 24 Models von Trachten Seidl, einem Familienunternehmen aus Anger bei Weiz, durften als Erstes auf den Catwalk. Sie zeigten die aktuellen Trends und neuen Kollektionen der Saison. Wobei Götzl wichtig ist zu betonen: „Tracht für sich ist der Trend.“ Immer mehr Wert würden die Kunden – auch die jungen – auf qualitativ hochwertig gefertigte Trachten legen. Weg von Minidirndln im Glitzerlook, weg von Lederhosen vom Discounter. „Der klassische Zugang hat bei jungen Designern wie Lena Hoschek oder Sisi Wasabi Einzug gehalten.“

Erstmals „aufgesteirert“ wurde 2002. Die Idee dazu hatte Leopold Schöggl, vormals steirischer Landesrat. Der Plan war, Volkskulturverbänden und Vereinen, die sich Musik, Tanz sowie Tracht widmen, eine Bühne zu bieten. Was altväterisch anmutet. Bloße Zurschaustellung verstaubten Brauchtums sucht man vergeblich. Dieser Ansatz hätte auch nicht Jahr für Jahr mehr Besucher angelockt. „Erbe ist immer sexy“, erklärt Götzl. „Man muss ja nur nach Großbritannien oder Italien blicken.“ Als Österreicherin sei man mit hochwertigem modischem Erbe weniger gesegnet. „Aber die Tracht und das Handwerk, das damit verbunden ist, da sind wir Weltmarktführer.“

Neben Tanz- und Musikgruppen haben auch verschiedenste Unternehmen die Möglichkeit, ihre regionalen Produkte beim „Aufsteirern“ zu präsentieren. Da gibt es zum Beispiel Vulcanoschinken oder Schilchersekt zu verkosten. Zur freien Verfügung stehen Übungsgruppen im Jodeln wie Drechseln. Mittlerweile hat sich das Volkskulturfest zum Wirtschaftsfaktor entwickelt. 2,5 Mio. Euro sollen laut Schätzung der Veranstalter rund um das „Aufsteirern“ erwirtschaftet werden. Auch bei Trachten Seidl ist der September einer der umsatzstärksten Monate im Jahr. Handwerk und Volkskultur modern zu interpretieren, ohne auf die Geschichte zu vergessen – das ist ein Ziel des „Aufsteirern“. Das Konzept scheint zu ziehen.

Am Sonntag, dem traditionellen „Aufsteirern“-Tag, strömen laut Veranstalter „Ivents“ mehr als 100.000 Besucher in die Altstadt. Auf allen Plätzen wird getanzt, musiziert, gesungen. Rasche Fortbewegung in den engen Gassen ist mitunter schwierig. Aber: „In Tracht lässt sich besser feiern, es entsteht eine völlig andere Dynamik“, sagt Götzl.

Programm gibt es auch heute, Samstag, ab 13 Uhr. Am Karmeliterplatz in der Grazer Oberstadt stehen bei „Volxmusik on Air“ klingende Namen der jungen Volksmusik wie Polka Potente, Gnackwatschn oder Viera Blech auf der Bühne. Unterdessen wird auf dem Hauptplatz der steirische Sängerbund seinen 150.Geburtstag feiern. Tradition und Moderne eben.

Trachtenfeste

Das „Aufsteirern“ findet an diesem Wochenende in der Grazer Innenstadt statt. Höhepunkt ist der Sonntag.

In Salzburg findet vom 19. bis 24. 9. der Rupertikirtag, das traditionelle Kirchweihfest rund um den Dom, statt. Am 18. 9. werden in der Residenz die „Botschafter der Tracht“ gekürt.

Beim zweiten Wiener Wiesn-Fest(27. 9. bis 7. 10.) steht die Kaiserwiese im Prater ganz im Zeichen der Tracht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.09.2012)

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