Als das Stadion zum Laufsteg wurde

Mit Paris als unangefochtener Welthauptstadt der Mode fährt Frankreich locker den Mode-EM-Titel ein. Auch in der U19-Meisterschaft ist man gut aufgestellt. In den vergangenen Saisonen wurde in Paris ein neues Kreativfeuer entfacht.

Die bislang wohl innigste Verbindung zwischen Mode und Fußball, abgesehen von der noch viel innigeren Liaison zwischen Fußballern und den meist äußerst modeaffinen, ja gar designenden Spielerfrauen natürlich, erlebte die Welt vor dem WM-Finale 1998 in Paris: Brasilien und Frankreich trafen im Stade de France aufeinander, als Vorprogramm gab es ein riesiges Haute-Couture-Spektakel von Yves Saint Laurent zu sehen. Der Designer feierte damals das 40-jährige Bestehen seines Modehauses, 300 Mannequins schritten in kühnen Formationen über den mit einer Wolkenhimmel-Plane abgedeckten Rasen. In einem TV-Interview meinte Monsieur zuvor, den Gedanken an das Spektakel finde er „inquiétant“. Ähnlich dürfte es manchem Fußballfan gegangen sein, der sich womöglich über ein anderes Warm-up-Gaudium mehr gefreut hätte.

Anhänger der Bleus freilich müssen nicht zwingend enttäuscht über dieses Unterhaltungsprogramm gewesen sein – und damit kommen wir auch zu einem der Gründe, die den französischen Anspruch auf den europäischen Modemeistertitel untermauern. Schöne Dinge, „créés en France“, stehen bei Franzosen nicht erst seit der aktuell allerorts beobachtbaren De-Industrialisierung hoch im Kurs. Schon am Hof des Sonnenkönigs forcierte Finanzminister Jean-Baptiste Colbert die Bedeutung kostbarer Erzeugnisse. Man könnte also profanisierend sagen, das erfolgreiche Brand-Building der Nation im Luxussektor habe damals begonnen. Freilich sind seit damals ein paar kaum nennenswerte Kontrahenten an Nebenschauplätzen wie Mailand oder London aufgetaucht, doch im Grunde gilt: On s'en fout.

Selbst die Regierung ist stolz

Auch heute noch fasst die französische Regierung auf ihrer Website die Performance des Luxussektors unter dem Hashtag #FiersdelaFrance zusammen: 165.000 Arbeitsplätze würden mit dem Wirtschaftszweig in Zusammenhang stehen, heißt es da, und der Gesamtumsatz aller französischen Luxusmarken belaufe sich auf fast 40 Milliarden Euro. Kein Wunder also, dass sowohl der reichste Mann, LVMH-Chef Bernard Arnault, wie auch die reichste Frau, L'Oréal-Erbin Liliane Bettencourt, im Lande ihr Vermögen der gehobenen Lebensart verdanken.

Nicht nur der schnöde Mammon zählt jedoch, sondern selbstverständlich auch das kulturelle Erbe. An der Gestaltung und Vermittlung von ebendiesem sind in der Wahrnehmung der Franzosen ganz selbstverständlich auch Modeschöpfer beteiligt. Und nachdem einige Jahre lang zu befürchten war, dass Knappheit an dringend benötigten Nachwuchstalenten herrschen würde (für das Äquivalent der U19-Meisterschaft blickt die Branche gewöhnlich nach London), hat sich akkurat in den vergangenen zwei, drei Saisonen in Paris ein neues Kreativfeuer entfacht.

Dank des öffentlichen Andam-Modepreises etwa oder der ambitionierten Initiative eines eigenen LVMH-Modepreises werden nationale und internationale Talente auf die Pariser Bühne geholt. Dass Jungstars wie Simon Porte Jacquemus oder der Deutsch-Georgier Demna Gvasalia, neuerdings Kreativchef von Balenciaga, ihre Kollektionen vor Ort präsentieren, stellt ein willkommenes Gegengewicht zu Flaggschiffen wie Chanel, Dior oder Saint Laurent dar.

Das Bemühen der Fédération française de la couture et du prêt-à-porter um Nachwuchsförderung als Teil eines internationalen Netzwerks freilich lässt noch Spielraum nach oben zu: An dem relativ neuen European Fashion Council nimmt man nicht teil – ebenso wenig freilich wie die Kollegen vom British Fashion Council oder der Camera nazionale della moda italiana. Das macht es für den European Fashion Council wiederum schwer, die eigene Relevanz vorzuführen, ganz so, als verzichteten die Fußballverbände von Frankreich, Italien und England auf ihre Teilnahme an der Uefa.

Ein klitzekleiner Schönheitsfleck übrigens, im Mode-Europamatch: Die Freizeitmodemarke Le Coq Sportif ist längst schon nicht mehr Ausstatter der Bleus – selbst Italien gewann 1982 den Weltmeistertitel in Dressen der Marke. Das Trikot der Franzosen ist heute ein Erzeugnis von Nike. Freundliches Entgegenkommen der Marke: Kurz vor EM-Start lancierte man, natürlich in Paris, eine Kooperation mit dem jungen Designer von Balmain, Olivier Rousteing. Auf dass das unumgängliche Quäntchen französischen Mode-Esprits nicht ganz fehle.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.06.2016)

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