Noch mögen Nieren, Leber und Co. polarisieren. Bald aber könnten Innereien als normales Essen mit Nachhaltigkeitsbonus gelten.
Um auf Nummer sicher zu gehen, durfte Google noch einmal Auskunftsdienste leisten: Die Nieren liegen beim Menschen hinten, ja. Felix Fuhrberg, Innereienliebhaber, WU-Student und DJ, hielt sich also für das Foto eine Rinderniere (1,36 Euro) an die Flanke. Fuhrberg, gebürtiger Hamburger, stammt aus einer essbegeisterten Familie, „mit Leber und Nieren bin ich groß geworden“. Ob man Innereien esse, sei eine Sozialisierungsfrage. Seine Erfahrungen als passionierter Koch: „Beim Einkaufen im Supermarkt habe ich schon einmal auf die Frage, wo ich Innereien finde, die Antwort bekommen: ,In der Hundeabteilung.‘“ In der Spitzenküche seien Innereien ja schon länger auf dem Vormarsch, „auch wegen des Nachhaltigkeitsaspekts“, aber viele Leute hätten – da schüttelt er verständnislos den Kopf – immer noch Probleme damit. Auf einer Wanderreise durch Rumänien hat Fuhrberg unlängst überhaupt fünf Tage nur Innereien gegessen, „hauptsächlich Darm und Kutteln. Die haben wahrscheinlich das restliche Fleisch verkauft“. Mit seiner expliziten Vorliebe für Innereien habe es generell auf Reisen angefangen, mit bisweilen stark gewürzten Gerichten. Gegrillter Darm auf Sardinien, Kuttelsuppe in Istanbul, rohes Schlangenherz in Hanoi – „das lag pumpend auf dem Teller“.Text: Anna BurghardtFotos: Christine Pichler (c) Christine Pichler Selten hat wohl ein Fotomodell ein Shooting so genossen: Yeh Ying Ying vom Lokal On Market muss immer wieder kundtun, wie gut sich die Truthahnmägen in der Hand anfühlen: „Ich fühle mich wie ein kleines Kind, das mit Knetmasse spielt!“ Yeh Ying Ying ist vermutlich die unerschrockenste unserer Innereienfreaks: Auf den Hinweis, dass vom Vorgänger noch Lammleberblut auf dem Boden des Studios sei, lächelt sie nur milde. „Chinesen essen von Kindheit an Innereien.“ Und zwar so ziemlich alles. Im On Market an der Linken Wienzeile steht karamellisierte Lammleber ebenso auf der Karte wie Lammherz Tom Yam Gung, Lammniere „scharf und scharf“, Kuttelsalat mit Szechuanöl oder – wenn verfügbar – Kaninchenmägen. „Die sind aber sehr schwer zu bekommen!“ Die Truthahnmägen hat Yeh Ying Ying auf dem Brunnenmarkt gekauft, sie empfiehlt eine Zubereitung im Wok: dünn schneiden, unbedingt mit Ingwer und nicht so unbedingt mit Knoblauch, Gemüse und roter Bohnenpaste braten. (c) Christine Pichler „Innereien esse ich, seit ich übers Essen nachdenke“, sagt der Künstler Michael Blank. Er hat sich für das Foto eine Lammleber gewünscht. „Bei der Herfahrt habe ich noch einmal darüber nachgedacht, warum es Leber sein muss: Meine Vorliebe kommt wahrscheinlich daher, dass die Leber das einzige Stück ist, wo noch Blut mitkommt.“ Und dass Blank das Metallische, das Eisen liebt, liegt bei ihm, der sich auch als Klingenschmied einen Namen gemacht hat, nahe. Warum er Leber vom Lamm so gern kauft (bei türkischen Fleischhauern auf dem Naschmarkt)? „Bei mir läuft immer gleich ein Film ab: Wie hat das Tier gelebt?“ Und bei Lämmern könne er halbwegs sicher sein, dass diese eher gut gelebt haben. Wir versuchten auch eine Fotoversion mit sauberen Händen, aber die Leber war so frisch, dass sie die eben gewaschenen Hände Blanks gleich wieder mit Blut überzog. Die kurz gebratenen Scheiben im Anschluss schmeckten übrigens nicht zuletzt dank eines seiner überaus scharfen Messer so fein. (c) Christine Pichler Das Making-of des Fotos könnte ein halbes Buch füllen: Katharina Haller, Bankerin und Jägerin, hatte kurz vor dem Shooting keine Gelegenheit zu jagen, es musste also auf anderem Weg ein Rehherz her. Fast aussichtslos, Wildhändler antworteten uns nur mit höflichem Hohngelächter (das Rehherz behält man sich als Jäger üblicherweise, in den Handel kommt kaum eines), Steirereck-Chef Heinz Reitbauer, dem manchmal welche geliefert werden, konnte gerade auch nicht helfen. Ein Glück, dass eine junge Jägergruppe es schaffte, ein Reh so zu erlegen, dass das Herz unversehrt blieb. Katharina Haller, die nicht nur Wildinnereien gern isst – „nur Leber brauch ich nicht so dringend“ –, sondern auch sonst nicht vor Nieren, Bries und Lunge zurückschreckt, hat im Anschluss übrigens ein Rehbeuschel daraus gekocht. Derzeit sammelt sie Lecker für „eine leckere Leckersulz“ – das Unwort sei ausnahmsweise erlaubt, die Rehzungen sind gemeint. Als Jägerin hat Haller mehr mit Innereien zu tun als viele Köche – sie bricht die Tiere noch warm auf. (c) Christine Pichler Mhmh, macht Sepp Sajovits, als er während des Fotoshootings auf eine Frage zu seinen Innereienvorlieben antworten soll. Stimmt, das Reden fällt ihm gerade schwer, wie dumm von uns, er hat ja eine Frischlingszunge im Mund. Dass er sie bekommen hat, darauf ist der Koch ziemlich stolz. „Die sind noch einmal seltener als Wildschweinszungen, da braucht man gute Kontakte zu seinen Lieferanten.“ Sajovits hatte sich im letzten Jahr der Wildküche verschrieben, er kochte im „Freiwild“ in Wien, auf der Speisekarte standen immer wieder Innereien vom Wild, etwa Gamsleber mit Kumquats. Kürzlich hat er sein Engagement im „Freiwild“ beendet, er kehrt ins „Skopik & Lohn“ zurück. Ob er selbst alle Innereien isst? „Nein, Kutteln gehen gar nicht.“ Als Kind eines Fleischhauers musste Sepp Sajovitz schon früh Mägen ausputzen, „das taugt mir nicht, das halb verdaute Zeug“. Sein Kommentar zur Fotoidee, sich Innereien an die entsprechende Körperstelle zu halten (die Zunge im Mund war seine Idee): „Mit Hirschhoden wär’s leichter gewesen.“ (c) Christine Pichler Auf die Frage, warum es nicht mehr Innereienkochbücher gebe, antwortete der Koch Adi Bittermann, Innereienbefürworter aus Göttesbrunn, noch vor wenigen Jahren: „Solche Gerichte gelten als nicht fotografierbar.“ Das war 2008, gerade war Wolfram Siebecks „Kochbuch der verpönten Küche“ erschienen – illustriert mit sauberen Fotos von rohen Innereien und Gemüse, kein einziges zubereitetes Gericht zu sehen. Im Vorwort schreibt Siebeck, Deutschlands Obergourmet: „Selten sind ein Autor und sein Verlag so ausdrücklich davor gewarnt worden, ein bestimmtes Buch zu veröffentlichen, wie wir. Das Projekt einer Küche der Innereien schien allen Befragten so brisant und ein folgenreicher Volkszorn unvermeidbar.“ Wobei Wolfram Siebeck gleich klarmacht, dass er das Problem der Deutschen mit den Igittereien, wie er es nennt, nicht versteht: „Es sind irrationale Aversionen dabei im Spiel.“
Rezepte verschiedener Köche, etwa von Adi Bittermann. Eher für Fortgeschrittene. „Herzstücke“, Edition Styria, 30 Euro. (c) Beigestellt ... für 10 Portionen. 3 große Zwiebeln 1 Knolle Knoblauch, geschält und angedrückt 5–6 Wacholderbeeren, 3 Nelken, 2 EL Senfkörner, 4–5 Lorbeerblätter 1/2 l Weißwein 250 g mageres Kalbfleisch 1 1/2 kg Kalbslunge 1 Kalbsherz 1 Kalbsbries 1 Kalbszunge 250 g Butter Mehl 1 Schuss Weißweinessig, Salz und Pfeffer 150 g Crème fraîche Eine der Zwiebeln in grobe Stücke schneiden und mit Knoblauch, Wacholder, Nelken, Senfkörnern, Lorbeer, Wein, Kalbfleisch und den Innereien gut weich kochen. Lunge von Haut, Blutgefäßen und Röhren befreien, die Zunge und das Bries abziehen, den Sud passieren und alles getrennt kalt stellen. Die beiden anderen Zwiebeln in feine Würfel, die Fleisch- und Innereienteile in feine Streifen schneiden. Butter in einem Topf zergehen lassen und die Zwiebeln goldgelb anrösten, mit Mehl bestäuben und mit dem Weinsud aufgießen, gut durchkochen lassen. Mit einem Schuss Essig, Salz und Pfeffer abschmecken und passieren. Die Fleisch- und Innereienstreifen in die Sauce geben und nochmals durchkochen. Die Crème fraîche einrühren und mit frischen Semmelknödeln oder Gemüse und Püree servieren. (c) Kurt-Michael Westermann 4 Scheiben Milchkalbsleber zu je 140–160 g 2 reife, aber nicht zu weiche weiße Pfirsiche 70 g Butter Etwas Puderzucker 1 EL eingelegte grüne Pfefferkörner, zerdrückt 1–2 EL Mehl Salz 50 ml Balsamico 100 ml KalbsjusDie Pfirsiche kurz in kochendes Wasser tauchen, in Eiswasser abschrecken und die Haut abziehen. Die Früchte halbieren, entkernen und in schmale Spalten schneiden. 20 g Butter in einer Schwenkpfanne aufschäumen lassen, die Pfirsichspalten zugeben und mit etwas Puderzucker bestäuben. Die Pfirsichspalten kurz darin glacieren, die zerdrückten grünen Pfefferkörner zugeben und zur Seite stellen. Die Kalbsleberscheiben mit Mehl bestäuben und in 30 g heißer Butter auf jeder Seite etwa 2 Minuten rosig braten. Salzen, herausnehmen und den Bratensatz mit Essig ablöschen. Bei starker Hitze fast völlig einkochen lassen. Kalbsjus zugeben und kurz aufkochen lassen. Die restliche Butter in kleinen Stückchen unterschlagen. Die Pfirsichspalten auf den Leberscheiben verteilen und mit der Sauce überzogen servieren. (c) Kurt-Michael Westermann 800 g Kalbsbries, gut gewässert, enthäutet und geputzt 80 g Butter Thymian Salz und Pfeffer 250 ml Kalbsfond 8 g Wintertrüffeln, fein gehackt für die Sauce 50 g Wintertrüffeln, in Scheiben geschnittenDas gut gewässerte und zugeputzte Bries in gleich große Stücke schneiden. Butter aufschäumen, Thymian zugeben und das Bries darin leicht anbraten. Mit Salz und Pfeffer würzen, mit Kalbsfond untergießen und bei 160 Grad im Ofen unter ständigem Übergießen mit den gehackten Trüffeln 10 Minuten glacieren. Zum Schluss die Trüffelscheiben hinzufügen.Für den geschmorten Lauch 300 g Lauch Etwas Butter Salz und Pfeffer 1 Schuss Noilly Prat (c) Kurt-Michael Westermann 1 Rinderzunge, ca. 800 g 10 Pfefferkörner 5 Wacholderbeeren 5 Lorbeerblätter 1 Zweig Rosmarin 5 Zehen Knoblauch 2 Karotten, geschält ¼ Knollensellerie, geschält 1 Schuss Essig Die Zunge in der Mitte halbieren, in einen Topf geben, mit Wasser bedecken, aufkochen, dann die Gewürze, den Knoblauch, das ungeschnittene Gemüse und einen Spritzer Essig zufügen und so lange kochen (ca. 1 ½ Stunden), bis die Zunge weich ist. Das ist der Fall, wenn sich die Haut leicht abziehen lässt. Das Gemüse nach der halben Kochzeit herausnehmen und abkühlen lassen. Die fertig gekochte Zunge häuten und in den Sud zurückgeben, damit sie nicht austrocknet. Das Gemüse in gleichmäßige Stäbchen schneiden, die Hälfte vom Zungenfond abseihen und das geschnittene Gemüse hineingeben, aufkochen und abschmecken. (c) Kurt-Michael Westermann 250 g Kalbskutteln, gekocht und in feine Streifen geschnitten 80 g Gemüse-Julienne 100 ml kräftige Rindsbouillon Salz und Pfeffer aus der MühleKutteln und Gemüsestreifen in der Bouillon kurz erwärmen, abgießen und würzen.Für die Vinaigrette 2 EL Balsamico 2 EL Sherry 4 EL Olivenöl 4 EL Traubenkernöl 1 EL Schalotten, fein gehackt 1 EL Puderzucker 4 EL Kräuter, grob gehackt (Dill, Kerbel, Petersilie, Schnittlauch, Liebstöckel und Estragon) Alle Zutaten mischen und abschmecken.Für den Salat und die Garnitur Bunte Saisonsalate 20 g frische Périgord-Trüffeln Kräuter, gezupft (c) Kurt-Michael Westermann Wunderschön fotografiert und außerdem vom Autor von „Schwein und Sohn“. Pflicht für Innereienfans. „Innereien“ Christian, 30 Euro. (c) Beigestellt ... für 6 Portionen. 3 Kalbsnieren, vom Fleischhauer entfettet 800 g Steinpilze 1 Schalotte 1 Bund Basilikum 1 Bund krause Petersilie 150 ml Obers 50 g Butter 3 Knoblauchzehen Salz, Pfeffer Die Nieren würfeln und sorgfältig von Sehnen und Harnwegen befreien. Die Steinpilze mit einem sauberen, feuchten Tuch oder Schwamm abwischen. Die Schalotte schälen und fein würfeln, die Kräuter abzupfen. Die Petersilie 5 Sekunden in kochendem Salzwasser blanchieren und sofort in Eiswasser abschrecken. Abtropfen lassen. Das Obers erhitzen und mit Salz und Pfeffer würzen. Zwei Drittel der Kräuter unterrühren und die Sauce im Mixer pürieren, dann abschmecken. In einer Pfanne die Nieren bei lebhafter Hitze rundherum in der Butter anbraten, abtropfen lassen. In derselben Pfanne die Steinpilze mit dem ungeschälten, im Mörser angedrückten Knoblauch 10 Minuten sautieren. Die Nieren wieder einlegen und weitere 5 Minuten garen. Kurz vor dem Servieren die restlichen Kräuter einstreuen. Mit Salz und Pfeffer sparsam würzen und mit der Kräutersauce überziehen. (c) Beigestellt Die vielleicht mutigste Neuerscheinung des Kochbuchherbsts: ein Buch nur mit Kuttelrezepten. Erscheint im November. „Kutteln“, Hädecke, 20 Euro. (c) Beigestellt Lesestoff. Diesen Herbst erscheinen nun gleich drei Bücher, die sich Hirn, Nieren, Bries oder Mägen verschrieben haben, auf Deutsch. Eines hat gar nur Kutteln, die wahrscheinlich meistgefürchteten Innereien, zum Thema. Ist demnächst breite Akzeptanz möglich? In der Spitzengastronomie steht das Innenleben von Tieren schon länger wieder auf den Speisekarten, und Innereien sind unter Foodies so etwas wie ein Ausweis wahrer Essleidenschaft geworden: „Schaut her, was ich alles kenne, sogar rohes Ziegenhirn habe ich schon gegessen.“ Was ein wahrer Foodie sein will, muss eben alles probieren. Der omnipräsente Begriff der Nachhaltigkeit öffnete dem „Nose to tail“-Denken in jüngster Zeit zusätzliche Türen: Wenn schon Tiere töten, dann bitte alle Teile verwerten und nicht nur die Edelteile wie das Filet. In früheren Zeiten war das keine Frage des weltanschaulichen Chics, sondern ganz normal: In Kochbüchern vergangener Jahrhunderte findet man meist viele Seiten mit Rezepten aus Zungen, Hirn oder Mägen. Und wenn man Ohren, Euter oder Maul zu Innereien rechnet, wartet noch mehr Rezeptvielfalt in den Archiven, auch mit ungewöhnlichen Kombinationen, etwa mit Krebsen oder Pomeranzen. Seit dem 19. Jahrhundert aber ging die Anzahl der Innereienrezepte in Kochbüchern stark zurück. Viel Zukunft für eine massentaugliche Innereienküche liegt in Rezepten aus arabischen oder asiatischen Ländern, etwa aus der libanesischen oder der chinesischen Küche: Mit säuerlichen Zutaten wie Granatapfel- oder Tamarindensirup glasiert, mit Za’tar, Baharat oder Raz el Hanout gewürzt, mit reichlich Knoblauch und Zitrone versehen, dünn geschnitten und im Wok schnell angebraten oder auf dem Grill mit Rauch ummantelt – so verlieren Lammniere, Hühnerherzen oder Karpfenbeuschl ihren Schrecken.
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