Die heiligen drei Köche von San Sebastian

Restaurant Arzak
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Acht Michelin-Sterne in drei Tagen, drei Menüs mit überraschenden und komplexen Kombinationen, drei Köche mit großen Ideen und dezenten Restaurants. Ein Besuch in San Sebastian, der Gourmet-Hauptstadt der Welt.

Der klassische kulinarische San Sebastian- Reisebericht beginnt so: Es ist das gelobte Land. In keiner anderen Region der Welt ist die Michelin-Stern-Dichte pro Kopf so groß. Nein, auch nicht in Paris, Tokio oder Manhattan. In keiner anderen Stadt der Welt ist die Kreativität und Experimentierfreudigkeit der Spitzenköche so groß. Der individuelle San Sebastian-Reisebericht beginnt hingegen so: Wozu fliegt man zehn Stunden in eine Stadt, in die es keinen Direktflug aus Wien gibt? Die Museen? Ok, nebenan in Bilbao gibt es sogar eines. Shopping? Na ja. Wellness? Der Atlantik im Dezember fällt eher unter Kneipp-Kur.

Kulinarische Keimzelle

Nein, es geht einzig und allein um das Essen. Um das Essen bei drei (oder besser: vier) der 30 wichtigsten und besten Köche der Welt. Beim baskischen Koch-Wunder Juan Mari Arzak und seiner Tochter Elena, bei Luis Aduriz, dem jungen wilden Puristen, der mit seinem Mugaritz auf der Überholspur ist, und schließlich bei Martin Berasategui, ebenfalls ein Experimentier-Veteran und Förderer der jüngeren Köche. Dass die Tische in jedem der drei Restaurants auf Monate ausgebucht sind, dass die Menüs dauern und ihren Preis haben, versteht sich von selbst. Alle drei zu besuchen, ist eine logistische Leistung in jeder Hinsicht.

Der eigentliche San Sebastian-Essbericht beginnt bei der kulinarischen Keimzelle in einem Vorort mit gutem James-Bond-Film-Intro: Irgendwo in the middle of nowhere steht ein unauffälliges dreistöckiges Haus. Betritt man den Seiteneingang, erwartet einen einer jener unansehnlichen Hausgänge, wie es sie zu tausenden in unauffälligen Häusern auf der ganzen Welt gibt. Öffnet man eine dieser alten Türen, steht man in einem wahren Hightech-Labor (oder einem modernen Weinkeller mit zig-tausenden Flaschen). Es ist das Reich, das Hauptquartier und Restaurant von Juan und Elena Arzak, die nicht nur alle kulinarischen Auszeichnungen der Welt, drei Michelin-Sterne inklusive, führen, sondern als die vielleicht kreativsten Köche des Planeten gelten.

Bei den Arzaks wird der Genuss fast wissenschaftlich begleitet: In einem kleinen Labor arbeiten die Arzaks und ihr Sous-Hexenmeister Igor Zalakain mit neuen Lebensmitteln, mit Kräutern, Produkten und Elixieren, die in einem eigenen Geschmacksarchiv in hunderten Plastik-Döschen konserviert werden, und vor allem mit neuen Techniken. Da wird getrocknet, pulverisiert und wieder verflüssigt. So kommt etwa ein Hummer auf den Tisch, der von einem kleinen Haufen Oliven-Öl-Pulver umgeben ist. Das wird mittels Aufgießen einer Emulsion wieder verflüssigt, der Olivenöl-Geschmack wird durch diese Prozedur verstärkt. Die Entwicklung solcher Gerichte dauert manchmal Monate, in der kleinen Entwicklungsabteilung im Hause Arzak zeugen hunderte kleiner Zeichnungen und handschriftlicher Kurzbeschreibungen in dicken Archiv-Bänden von den Experimenten. Täglich trudeln bei Elena Arzak und ihrem Vater schriftliche Anfragen für freiwilligen Küchendienst an. In der überraschend kleinen Küche stehen dementsprechend auch immer bis zu einem Dutzend „Gäste“. Dieses Kurzausbildungsprogramm für angehende Küchenchefs hat auf jeden Fall zum Weltruhm der Arzaks beigetragen.

Dabei betonen Tochter und Vater immer wieder, dass es ihnen um die Köche der gesamten Region gehe. Die führen ganz verschiedene Linien: So könnte der Unterschied zwischen Arzaks Austern, in eigenem Saft gedämpft und in einem Kartoffelteig-Cellophan, das sich im Mund auflöst, und den von Andoni Luis Aduriz in Ton gekochten Karotten, die in einem Oliven-Calamares-Sud serviert werden, nicht größer sein. Beides Weltformat, beides draußen vor der Stadt, aber ein völlig anderer Zugang.

Aduriz, der Chef des Mugaritz, setzt auf eine selten puristische Linie. So mancher sensationsgierige Gourmet, der bei ihm einkehrte und sich womöglich das große Küchen-Physik-Feuerwerk erwartete, soll enttäuscht worden sein. Der Mann serviert etwa nur die perfekte Karotte oder nur Spinatblätter, mit Gewürzen und Salz geht er äußerst zurückhaltend an. Wenn Meersalz zum Einsatz kommt, dann als durchaus dominante Zutat oder gar nicht. Vorbild ist der Franzose Michel Bras, der in seinem entlegenen, französischen, modernistischen Restaurant in Laguiole die Esser nicht zuletzt mit subtil zusammengestellten Salaten mit Kräutern und Blumen zum Staunen brachte.

Altmeister mit Potenzial

Auch Andoni Luis Aduriz bereitet so einen Salat als Vorspeise zu. Aber er wagt sich weiter vor: gebutterte Käse-Gnocchi in einer Bouillon von iberischem Speck, die in ihrer Textur an chinesische Knödel erinnern, geschmacklich als beste Suppen-Knödel mit Käse-Aroma aller Zeiten überzeugen. Der Idia-zabal-Hartkäse wird aus Schafmilch der Schafrasse Latxa hergestellt. Für jene Esser, denen das alles zu viel ist, bietet Aduriz eine kleine Warnung an. Zwei Kuverts liegen bei jedem Gedeck: Einmal positiv mit „150 Minuten überraschen lassen“ („150 Minuten zum Schmecken, Fantasieren und Entdecken“) und „150 Minuten rebellieren“ (150 Minuten für Ärger und Ungeduld, 150 Minuten zum Leiden“): Zweiteres kann man sich beim Essen in dem versteckt liegenden Designer-Landgasthaus kaum vorstellen.

Das Haus hat für Aduriz dem Vernehmen nach dessen früherer Lehrer Martin Berasategui gefunden und finanziert. Dabei könnte der Altmeister eigentlich selbst einen Tapetenwechsel brauchen, es gibt wohl viele, viel schönere Restaurants als jenes von Berasategui. Aber es gibt sicher kaum bessere: Seine Kombinationsstärke ist zu Recht legendär. Sein Zusammenspiel (aus dem Jahr 1995!) von Aal, Apfel und Gänseleber wurde weltweit kopiert. Seine jüngst entwickelte Maroni-Suppe mit Kardamom, Tauben-Creme und Herbst-Sprossen hat Potenzial dafür. Das einzige Problem eines San Sebastian- Besuchs: Es verändert die Geschmacksnerven. Nachhaltig.

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