Konservierter Frühling und die Nicht-Saison

Weißer Spargel
Weißer Spargel(c) EPA
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Was in den Gärbottichen des Steirerecks lagert, wurde bisher geheim gehalten: Fermentierter weißer Spargel. Er kommt hier dann zu Tisch, wenn Spargel nicht mehr Saison hat.

Was bedeutet Saisonalität, dieses unverzichtbare Schlagwort der zeitgenössischen Küche? Maronidesserts im Herbst zu essen und Bärlauchgerichte im Frühling, bis uns die Zutaten schon bei den Ohren herauskommen? Kann sie nicht auch bedeuten, eingekochten Rhabarber oder Quittengelee gerade dann zu essen, wenn weder Rhabarber noch Quitten erhältlich sind? Für Heinz Reitbauer gelten beide Sichtweisen. Ein Koch, der in einem derartigen Ausmaß auf seltene regionale Zutaten setzt wie er, wird diese natürlich dann einsetzen, wenn sie Saison haben. Aber für ihn scheint das „Gerade dann, wenn nicht“ mindestens genauso interessant. Weil die scheinbare Nichtsaisonalität Überraschungspotenzial hat. „Da spielt die Fermentation so richtig ihre Stärken aus. Es ist dann Saison, wenn eben nicht Saison ist.“ Im November knackigen Marchfelder Spargel zu servieren, das vermag Gäste zu erstaunen. Und es setzt Planung und ausgeklügelte Vorbereitungsarbeit voraus.

Vor genau einem Jahr hat man im Steirereck mit einem neuen Projekt begonnen: Heimischer weißer Spargel wird in Gärbottichen unter Luftabschluss fermentiert – Reitbauer nennt diese uralte anaerobe Methode des Haltbarmachens auch „milchsauer vergären“. Das Stangengemüse fungiert somit als eine Art Sauerkraut des Frühlings. Von dieser geschmacklichen Assoziation kommt man beim Verkosten von Reitbauers fermentiertem Spargel nicht so schnell los, weil Sauerkraut für uns schlicht der bekannteste milchsauer vergorene Anhaltspunkt ist. Selbst wenn der Spargel ein ganz anderes aromatisches Ich hat, verbindet man den Geschmack automatisch ein wenig mit Sauerkraut.

Während der Spargelsaison sind pro Tag zwei Köche für mindestens eineinhalb Stunden damit beschäftigt, weißen Spargel zu schälen, erzählt Sous-Chef Oliver Lucas. „Zwar nicht nur für den fermentierten Spargel, aber seit heuer vermehrt. Und er muss ja generell ordentlich geschält werden.“ 80 Kilo vom milchsauer vergorenen Stangengemüse will man davon in diesem Frühling produzieren, „um in der spargelfreien Zeit ein Produkt zu haben, das richtig pfeift“, wie es Steirereck-Chef Reitbauer ausdrückt. In der Küche des Restaurants im Wiener Stadtpark, die zur Zeit übrigens ordentlich vergrößert wird, wird für das Fermentieren nur weißer Spargel verwendet. „Grünen könnte man an sich schon nehmen, aber der wird braun. Und grüner Spargel lebt ja von Frische, vom grünen Geschmack. Beides würde man verlieren“, sagt Oliver Lucas.


Nährboden. Der geschälte Spargel wird in Gärbottiche geschlichtet, die sich kringelnden Schalen legt man darüber. „Die Bottiche müssen desinfiziert sein, sonst bildet sich Schimmel.“ Manche Köche würden zum Fermentieren nun schlicht eine sechsprozentige Salzlake nehmen, in der das Gemüse unter Luftabschluss fermentiert. Reitbauer und sein Team verwenden aber zusätzlich zu Wasser und Salz eine Starterkultur. „Das Endprodukt wird damit einfach sauberer, überhaupt nicht muffig, und es ist besser zu kontrollieren“, hat Heinz Reitbauer die Erfahrung gemacht. Die Starterkultur kommt in kleinen verschweißten Säckchen, „ähnlich wie Trockengerm oder Backpulver“, meint Sous-Chef Oliver Lucas. Man bestellt sie über das Internet, ursprünglich von einem britischen Hersteller, jetzt von einem österreichischen. Als Nährboden für die Bakterien wird Honig hinzugefügt, „das ist Gefühlssache, die Kultur muss sich anheften können“, so formuliert es Heinz Reitbauer. Im Vorjahr hat man noch geriebene Nashibirnen genommen. „Honig ist aber sauberer“, fasst Lucas elegant die Gatscherfahrungen zusammen.

Voriges Jahr hat sich Heinz Reitbauer zahlreiche Verkostungs-Dates mit dem Spargel in seinen Kalender eingetragen. „Wir haben Rückstellproben in kleinen Einheiten abgepackt, je zwei Stück, haben sie beschriftet und im Zweiwochenrhythmus verkostet, ob und wie sich das Produkt entwickelt.“ Die Erkenntnis: Mit der Dauer der Lagerung – die Fermentation selbst ist nach zwei bis vier Wochen abgeschlossen, je nach Lagertemperatur – ist der Spargel immer besser geworden. „Mit dem Reifeprozess baut sich die Säure ab, das Produkt wird runder, homogener, vielschichtiger. Es ist faszinierend, wie das reift. Bei Produkten, die in Alkohol oder Essig eingelegt sind, gärt ja nichts mehr weiter.“ Der Spargel hat Biss, obwohl er mittlerweile ein Jahr gereift ist, ist kompakt, hat eine schöne Farbe. „Und es ist geschmacklich eindeutig Spargel.“

Nicht nur der weiße Spargel selbst hat sich entwickelt, sondern auch der Saft, in dem das Gemüse fermentiert und lagert. 2013 hat man die erste Charge noch bei Zimmertemperatur fermentiert, erzählt Oliver Lucas. „Das geht schon, ist dann natürlich auch schneller, aber irgendwann hat man Schimmel.“ Besser sei es, die Gärbottiche mit dem Spargel und der Salz-Starter-Flüssigkeit im Kühlhaus zu lagern. Mittels Ablasshahn wird die Flüssigkeit immer wieder auf ihren Gärungsgrad hin verkostet. Nach einigen Wochen nimmt man den Spargel heraus und vakuumiert ihn. „Dadurch wird die Fermentation gestoppt.“


Trendallergie. Das Fermentieren scheint zurzeit in der Hochküche das Nonplusultra. Für Reitbauer, erzählt sein Sous-Chef, ist es wegen dieser Allgegenwärtigkeit fast schon wieder etwas, das er „möglichst auslässt, auf Trends ist der Chef ja allergisch“. Im Steirereck fermentiert man also nicht unbedingt das Naheliegende. „Rüben vergären wir nicht, Spargel schon.“

Der jetzt produzierte Spargel soll erst im Herbst auf die Speisekarte kommen. Im Vorjahr servierte man den frisch vergorenen Spargel nämlich noch im Frühling und musste ihn wegen der doch recht aggressiven Milchsäure mit Spargelfond mischen, um den Geschmack zu mildern. Zum Steirereck-Gericht wurde das fermentierte Gemüse durch die Kombination mit Holunderblütenöl, Holunderblütenknusper, Junglauch – „der lieferte Süße“ –, Zitronatzitronen und Milchkalb vom Pogusch. Und heuer? „Das wissen wir jetzt noch nicht.“ Bis zum Herbst, wenn im Steirereck die Spargelsaison beginnt, ist ja noch Zeit.

Neu im Steirereck

Heinz Reitbauer und sein Team, mit dem Steirereck im Wiener Stadtpark Nummer 16 der Welt, haben im Vorjahr mit dem Fermentieren von Spargel begonnen. Die Erfahrung: „Es braucht Zeit.“
Das Steirereck
erweitert gerade seine Küche. Die Meierei hat weiterhin wie üblich geöffnet. (Am Heumarkt 2A, 1030 Wien, ✆ 01/713 31 68)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.05.2014)

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