Warum wir Bärlauch entweder lieben oder hassen

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Kaum ein Kraut polarisiert so sehr wie Bärlauch. Kulinarische Vorlieben und Abneigungen haben nicht nur mit Geschmack, sondern auch mit Verträglichkeit und Erfahrung zu tun.

Was den Grad der Polarisierung anbelangt, kann es Bärlauch nur mit den Rosinen aufnehmen. Die Olive spielt bereits in einer anderen Liga. Natürlich hat auch sie – wie alle Lebensmittel – ihre Fans und das Gegenteil davon, also jene Menschen, die sie komplett ablehnen. Aber sie ist kein Lebensmittel, über das beinahe ganze Glaubenskriege geführt werden. Zwischen tiefer Abneigung, die gern mit einem lang gezogenen „Wäh“ oder mit der etwas nobleren Variante „Igitt“ kundgetan wird, und einem sehnsuchtsvollen „Endlich“, dem die Vorfreude auf den ersten Frühlingsboten anzuhören ist, gibt es da nichts. Man liebt ihn oder man hasst ihn. Punkt.

Ganz anders hingegen etwa die Erdbeere, die so etwas wie die Königin unter den Früchten zu sein scheint. Wenn sie erstmals geerntet wird, wird das zelebriert. Sie wird wie eine Heilsbringerin, die endlich den Sommer bringt, verehrt. Kaum jemand mokiert sich über die kulinarische Vielfalt, zu der sie verarbeitet wird, von Süßspeisen über Gelees bis zu Getränken und Eis. Die Erdbeere ist gut und hat – auch wenn es Menschen gibt, die sie nicht vertragen – keine Feinde. Das wiederum kann man vom Bärlauch nicht behaupten, der von vielen als derbe Stinkbombe verunglimpft wird.

Gespür, was einem guttut

Woran dieses Imageproblem liegt, lässt sich nur schwer sagen. Allein an der Farbe kann es jedenfalls nicht liegen. Ernährungswissenschaftlerin und Kräuterspezialistin Karin Buchart begründet diese tiefe Abneigung mit den Schwefelverbindungen im Bärlauch, den Sulfiden. „Sie sind ein bisschen anstrengend zu verdauen, genauso wie roher Zwiebel. Manche Menschen haben damit Probleme. Es ist aber ungünstig, sie ganz wegzulassen, weil Sulfide eine gute Nahrung für Darmbakterien sind“, sagt Buchart. Sie ist der Meinung, dass Abneigungen und Vorlieben gewisser Lebensmittel hauptsächlich einen physiologischen Hintergrund haben. Buchart hat das auch bei ihrer Arbeit in einer Allergieklinik beobachtet. „Das hat man bei Kindern besonders deutlich gesehen. Sie haben ein gutes Gespür dafür, was ihnen guttut und was nicht.“ So habe sie nicht nur einmal erlebt, dass bei Kindern, die keine Milch mögen, sich schlussendlich eine Laktose-Intoleranz herausgestellt hat. „Die Eltern haben es aber trotzdem versucht, weil Milch gesund ist. Es ist aber nicht für jeden das Gleiche gesund.“

Blutdruck steuert Geschmack

Buchart vermutet also, dass jene Menschen, die Bärlauch ablehnen, das deshalb tun, weil sie ihn schlecht vertragen. Auch der Blutdruck kann bei kulinarischen Vorlieben mitspielen. „Sulfide können bei sehr niedrigem Blutdruck manchmal Schwierigkeiten machen, etwa dass einem schwindlig wird.“ Ähnliches lässt sich bei Rosmarin beobachten, der den Kreislauf anregt. „Ich kenne einige Leute, die Rosmarin sehr gern mögen und die einen niedrigen Blutdruck haben, er stabilisiert sie. Gleichzeitig gibt es aber Menschen mit hohem Blutdruck, die Rosmarin nicht einmal riechen können.“

Die Verträglichkeit allein ist es aber nicht, die unsere Vorlieben bestimmt. So können auch negative Erfahrungen einen Einfluss haben. „Die Umgebungsbedingungen beeinflussen, wie wir Geschmack wahrnehmen. Ein Haubenmenü wird nicht schmecken, wenn sie es allein in einem kalten Keller essen müssen, während ein Schnittlauchbrot, das sie mit ihrer besten Freundin essen, unglaublich gut sein kann“, sagt Ernährungspsychologin Karin Lobner dazu. Das ist auch der Grund, warum Oliven bei einem Griechenland-Urlaub meist eine zweite Chance bekommen und dann plötzlich schmecken.

Lobner vermutet, dass sich die Vorlieben oder Abneigungen durch Erfahrungen und Erlebnisse, aber auch durch die Speichelzusammensetzung und Geschmacksrezeptoren ergeben. So verändert sich die Speichelzusammensetzung bei Stress oder Verliebtheit. Der verliebte Koch, der die Suppe versalzt, lässt sich also damit erklären, dass sich durch die Endorphine im Blut die Speichelzusammensetzung ändert und Salz weniger wahrgenommen wird.

Eine besondere Rolle spielt bei den Geschmacksvorlieben die Kindheit. „Alles, was wir in der Kindheit noch nicht gekostet haben, müssen wir als Erwachsender zehn- bis fünfzehnmal probieren, damit es schmeckt. Das ist ein natürlicher Schutzmechanismus“, so Lobner. Natürlich sind zuvor die Eltern prägend. Wenn sie Bärlauch gern essen und als etwas ganz Selbstverständliches betrachten, wird es ihnen das Kind in den meisten Fällen gleich tun. Bis zu dem Tag, an dem ein Gleichaltriger angesichts des Bärlauchs „Wäh“ sagt. „Dann ist es damit vorbei, weil Gleichaltrige vertrauenswürdiger als Eltern sind. Erwachsene wollen ja meistens, dass die Kinder etwas Gesundes essen.“

Ernährungswissenschaftlerin Eva Derndorfer, die sich auf Sensorik spezialisiert hat, sieht das schlechte Image von Bärlauch auch darin begründet, dass er eben besonders viele Schwefelverbindungen enthält und Bärlauch, im Vergleich zu Knoblauch, oft in sehr großen Mengen zu sich genommen wird. Würde man Bärlauch ebenfalls als Gewürz, also in kleinen Mengen, und gekocht verwenden, würde er weit weniger aufregen. Außerdem vermutet sie, dass bei vielen Stress mitschwingt, da Bärlauch ja auch immer wieder mit giftigen Blättern verwechselt wird.

Derndorfer hat beobachtet, dass – mit der Ausnahme von Bärlauch – viele Abneigungen mit dem Mundgefühl zu tun haben. „Man sagt zwar, es schmeckt einem nicht, aber es geht sehr oft um die Konsistenz und das Mundgefühl, zum Beispiel bei Rosinen oder Austern“, so Derndorfer. Andere wiederum assoziieren mit Rosinen etwas Besonderes, da sie sie vom Festtagsgebäck kennen. „Es kommt immer darauf an, was man damit verbindet. All das, wozu man gezwungen wurde, wird als sehr negativ empfunden.“

Will man dem Bärlauch dennoch eine zweite Chance geben, hilft es also, ihn in ungezwungener angenehmer Atmosphäre zu probieren. Sollte man den Geschmack in der Kindheit nicht kennengelernt haben, kann man ihn ja zehn- bis fünfzehnmal kosten. Jetzt ist übrigens eine gute Zeit dafür, denn der junge Bärlauch ist wesentlich milder im Geschmack.

Rezept

Bärlauchomelette
10 Bärlauchblätter, 1,5 EL Olivenöl, 2 Eier, 1 Eigelb, Salz, Pfeffer, Paprikapulver. Bärlauchblätter längs in Streifen schneiden und mit Olivenöl anschwitzen. Blätter aus der Pfanne nehmen, das verbleibende Fett erhitzen und die verquirlten und mit den Blättern vermengten Eier in die Pfanne geben; salzen, pfeffern. Masse wenden und ca. eine halbe Minute in der Pfanne lassen. Mit Paprikapulver würzen. Aus dem Buch „Wochenmarkt“ (siehe rechts unten).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.03.2015)

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