Abspecken und Genießen: "Grüne Linsen sind wie Mozart"

michel montignac
michel montignac(c) Michaela Bruckberger
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Michel Montignac wurde mit einer Methode berühmt, die Abspecken mit Genießen verbindet. Deshalb findet er auch die derzeitige gesellschaftliche Obsession für Essen und Kochen nicht besonders verstörend.

Alles, was mit Essen zu tun hat, ist derzeit der Renner. Es gibt unzählige Kochshows, tausende Kochbücher, alle wollen abnehmen oder müssen zunehmen. Woher kommt diese Obsession für das Essen?

Michel Montignac: Dafür gibt es viele Gründe. Die Globalisierung hat die Küchen aller Länder näher zusammengerückt. Als ich klein war – und das ist auch noch nicht so lange her –, gab es kein japanisches oder chinesisches Restaurant. Heute haben Sie das in jeder kleinen französischen Stadt. Die Esskulturen haben sich vermischt, man entdeckt dauernd Neues. Die Neugierde ist groß. Früher hat man nur die Lebensmittel aus der eigenen Region gegessen. Heute essen wir zu Weihnachten Erdbeeren aus Israel. Man ist gleichzeitig aber auch sehr misstrauisch geworden. Die Schlankheitskriterien sind in den letzten 70 Jahren immer schärfer geworden. Außerdem hat die Medizin die Risken von Übergewicht für die Gesundheit nachgewiesen. Also haben wir auf der einen Seite die Lust zu essen und zu entdecken, auf der anderen Seite passen wir höllisch auf, weil wir unbedingt auf die Gesundheit achten wollen.

Essen scheint aber immer mehr zum „Gesellschaftsspiel“, zu Freizeitvergnügen und Unterhaltung zu werden. Warum beschäftigen wir uns überhaupt soviel mit Essen? Wir könnten doch einfach weniger und gesünder essen und basta.

Essen ist Lustgewinn. Und einer, den man unbegrenzt variieren kann. Man kann sich seine Lebensmittel aussuchen und ausprobieren. Das ist wirklich ein kultureller Faktor geworden, aber auch eine Mode, die von den Medien getragen wird. Wenn man Kalorien zählen muss, sortiert man automatisch jene Lebensmittel aus, die gut schmecken, also fett sind. Einer der Gründe für den Erfolg der Montignac-Methode ist, dass man nicht weniger, sondern anders isst. Damit können auch Feste gefeiert werden. Es gibt keine mengenmäßigen Beschränkungen. Stattdessen wählt man die Lebensmittel nach ganz genauen ernährungswissenschaftlichen Kriterien aus.

Übertreiben wir es nicht schön langsam mit Lustgewinn aus Essen? Früher war so etwas auf eine Familienfeier oder einen Restaurantbesuch beschränkt. Heute erwarten wir das ja praktisch von jedem Snack.

Das glaube ich nicht. Das Leben im Allgemeinen ist schwer genug. Die Natur hat uns die Fähigkeit gegeben, Schönes zu genießen: einen blauen Himmel, einen Sonnenuntergang, die Liebe. Die war ja bis vor gar nicht langer Zeit praktisch auch verboten. Heute leben wir in einer Gesellschaft, die Genuss zulässt. Man soll nicht sagen, dass jedes Vergnügen eine Sünde ist, wie das einst die Protestanten getan haben. Nehmen Sie die Musik. Ich liebe Mozart. Da kann ich auftanken. Dasselbe Gefühl habe ich, wenn ich etwas Außergewöhnliches esse.

Welches Gericht ist denn mit Mozart vergleichbar?

Da werden Sie vielleicht staunen. Nicht Hummer oder Kaviar. Nein. Grüne Linsen, perfekt gekocht, mit Zwiebeln und einem Schuss Nussöl! Das ist wie ein Stück von Mozart. Und wenn man diese Linsen isst und dazu Mozart hört, dann ist man überhaupt im siebten Himmel.

Was ist eigentlich Ihr Lieblingsgericht aus der Wiener Küche?

Tafelspitz. Exzellent. Wiener Schnitzel. Und alles mit Schokolade.

Grüne Linsen klingen nach einem Regionalgericht. Brauchen wir mehr Einfachheit in der Küche? Eine neue Schlichtheit?

Absolut. Wenn ich manchmal Kochkurse abhalte, bereiten wir immer als erstes Spiegeleier zu. Und meine Schüler sagen: „Spiegeleier? Wir sind hier für Spiegeleier hergekommen?“ Aber die Eier, die ich verwende, kommen von einem benachbarten Bauernhof, sind nicht älter als zwölf Stunden und wurden von Hennen gelegt, die auf der Wiese spazieren gehen. Und diese Eier werden dann in Gänsefett gebraten. Das kostet nichts. Aber gut gemacht ist der Geschmack hervorragend. Wir müssen uns wieder auf die Lebensmittel aus unserer Umgebung konzentrieren. Hier etwa habe ich Rind gegessen. Man hat mir garantiert, dass es österreichisches Rind war. Meistens findet man nämlich argentinisches Rindfleisch. Die Argentinier machen sehr gutes Rindfleisch. Es wäre aber besser, wenn sie es für sich behielten. Man muss hier auch keinen Wein aus Chile trinken. Sie haben ausgezeichneten Wein in Österreich. Aber natürlich könnten Sie noch ein bisschen Wein aus Frankreich trinken.

Lebensmittel werden einerseits traditioneller, andererseits immer technologisierter. Stichwort „Functional Food“: Ist der Supermarkt die Apotheke von morgen?

Ich halte das für ein Marketingphänomen. In den letzten Jahrzehnten haben wir vor allem Industrieprodukte konsumiert und festgestellt, dass das entsprechende Auswirkungen auf die Gesundheit hat. Die Industrie bietet entsprechende Gegenmittel an. Wir als Meinungsführer müssen aber die Leute aufrütteln und sagen: Es bringt nichts, irgendwelche Gegenmittel einzuwerfen, wenn man doch ganz einfach nur mehr natürliche Produkte essen könnte.

Wo kaufen Sie eigentlich ein?

Vor allem auf dem Markt. Ich wohne seit fast zehn Jahren in der Nähe von Genf, da gibt es zweimal die Woche einen Markt mit kleinen Erzeugern.

Und Sie kochen selbst?

Ja, sehr viel. Und schon lange. Meine Mutter war eine gute Köchin, in meiner Familie gibt es viele Restaurantbetreiber. Ich habe auch mit Paul Bocuse gearbeitet.

Sie haben ja die Montignac-Methode an sich selbst zuerst ausprobiert. Essen Sie noch immer danach?

Ja. Aber ich halte mich an Phase zwei, in der schon mehr erlaubt ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2009)

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