Gemüsekunde: Der große Knolleffekt

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Eine mögliche Antwort auf "Nicht schon wieder Karotten" und österreichische Fleischeslust: Neues altes Gemüse kann selbst die verbissensten Schweinsbratenesser durch seine Optik auf neue Geschmäcker bringen.

Sie wollen ja auch nicht jeden Tag ein weißes T-Shirt tragen.“ Gemüsegärtner Mario Bach muss nicht lange überlegen, ob man denn grüne Paprika mit schwarz-lila Schale oder violette Karotten wirklich brauche. Irgendwie auch beruhigend, wenn Produzenten selbst einräumen, dass ein Gutteil des Elite-Hypes um die neuen alten Gemüsesorten nur optischer Natur ist (mit auffallendem Hang zu verschiedenen Violettschattierungen – Modefarbe also auch in vegetabiler Hinsicht).

Angesichts der mittlerweile ziemlich breiten Berichterstattung über Vereine wie die Arche Noah, die sich der Bewahrung von vielfältigem Saatgut verschrieben hat, muss eine Frage erlaubt sein: Brauchen wir Sorten wie Haferwurzeln, knolligen Sauerklee oder Kardonen denn wirklich? Werden nicht ohnehin schon zu viele Wurzeln und Stauden in Supermarktregalen oder auf Marktstandln ignoriert, weil Zeit und Wissen um die richtige Zubereitung fehlen? Wenn Knollensellerie und Rote Rüben vielfach liegen bleiben, zugunsten von vorgeschnittenen Tiefkühlkarotten oder Sackerlsalaten, welche Chancen darf man dann realistischerweise der Speiseklette und der Steckrübe einräumen? Ohne dass wir hier die ernährungspädagogischen Errungenschaften des benutzerfreundlichen Schnittgemüses niedermachen wollen.

Zunächst ein paar nicht ganz ernst gemeinte Antworten: Für Schon-alles-Kenner und samstägliche – pardon – Markt-Klugscheißer sind die neuen alten Sorten ein gefundenes Fressen. Denn es macht sich in gewissen Kreisen immer gut, die „normalen“ Gemüsehändler zu ignorieren und dafür schnurstracks den Knollenziest-Verkäufer am allerletzten Marktstand links hinten aufzusuchen. Auch Etymologen haben wohl ihre Freude mit „Ha-Utsch“ oder „Gniff“, mit „Deep Purple“, „Ei von Phuket“ oder „Irmi Kirmizi“.

Gemüsebauer Mario Bach selbst scheint durchaus Spaß daran zu haben, sein Gegenüber mit Statements zu provozieren, in denen die scheinbare Sinnlosigkeit seiner Arbeit durchklingt. „Im Grunde kann man statt zwanzig verschiedener Sorten Salat auch einfach Gras essen, es hängt ja eh zum Großteil von der Marinade ab.“ Und doch ist er es, der sich gemeinsam mit seiner Frau Eveline aus Überzeugung der Aufzucht eben dieser Sorten Salat widmet. Fast beschwichtigend wirft Frau Bach ein, „man muss einfach die Vielfalt der Natur ausnützen“. Auch wenn das manchmal schwer sei.


Raritäten für Spitzenköche. Das Ehepaar Bach pflanzt am Rand von Wien mitunter zig Varianten eines Gemüses an und inspiriert mit Neuigkeiten wie dem Pfefferblatt regelmäßig Spitzenköche, etwa Heinz Reitbauer. Auf die Frage, wie man über 50 Sorten Salbei zusammenträgt, antwortet Eveline Bach lakonisch: „Dafür müssen Sie in einem Netzwerk mit anderen Verrückten sein.“ Sie entlässt ihre Besucher nicht, ohne zu vermitteln, dass das Anbauen von derart vielen Sorten Gemüse mehr als harte Arbeit ist. „Bei uns stammt alles vom eigenen Hof, wir holen unsere Paradeiser nicht in aller Früh aus Inzersdorf, um sie unter unserem Fähnchen zu vermarkten.“

Allein die Logistik auf den Feldern, mit unterschiedlichen Aussaat- und Erntezeitpunkten, sei ein Wahnsinn, noch dazu möchte man von einer Sorte nicht nur drei Stück Ertrag gleichzeitig ernten können, sondern im Hofladen eine passable Menge anbieten können. „Manchmal kommt es aber vor, dass wir gerade von dieser oder jener Sorte einfach nichts mehr dahaben – da kann es hundertmal Samstagvormittag sein und Haupteinkaufszeit.“ Ihr ist auch wichtig, dass das Verkaufspersonal vermitteln kann, wie man welche Gemüsesorte zubereitet. Denn das ist, neben der beschränkten Verfügbarkeit, wohl das Hauptproblem: das mangelnde Wissen, was man etwa mit Blutampfer – in der Gärtnerei Bach heuer das Modegemüse schlechthin – oder Erdmandel machen kann.

Mietköchin Irene Weinfurter sieht sich als Vermittlerin in diesen Fragen: Sie kocht für ihre Caterings fast nur mit Raritätengemüse, das sie unter anderem von Peter Lassnig oder Marion Aigner bezieht, berät Gastronomen diesbezüglich, bringt pinkstieligen Mangold und Kerbelrübe in Kochklubs unter die Leute oder verkocht auf dem Feld einer Bäuerin deren alte Gemüsesorten. Nachfragen, wo man was kaufen kann, ist dann sehr erwünscht.

Weinfurter glaubt, dass das „neue alte Gemüse“ mit seinem ungewöhnlichen Aussehen helfen kann, Jugendliche für gesundes Essen zu interessieren. „Das wäre so wichtig, im Freibad seh' ich schon neunjährige Buben mit Cellulite!“ Für diverse Marktstände verfasst sie Rezeptkarten, was angesichts der vielen Fragezeichen auf Seiten der Konsumenten eine sinnvolle Sache ist. „Knollenziest nur abrubbeln und mit Knoblauch in Olivenöl braten. Der ist ziemlich geschmacksneutral, schaut aber halt witzig aus, wie ein Michelin-Männchen.“ Oder die Haferwurzel: „Schälen und sofort in Zitronenwasser legen, dann wie Karotten kochen.“

Die Oberösterreicherin, die sich selbst als „Wildsauköchin“ bezeichnet, muss angesichts der beschränkten Verfügbarkeit ihrer Rohstoffe freilich aufpassen, dass sie ihren Kunden nicht allzu genaue Versprechungen macht: „Wenn ich vorher ganz genau angebe, es gibt was mit Erdmandeln und Neuseelandspinat, und dann gibt's da grad nix davon zu kaufen, steh ich blöd da.“

Die Optik ist in ihrer Arbeit eine wichtige Komponente: Irene Weinfurter arbeitet gern mit den bunten Sorten, gerade bei vegetarischen Buffets sei das wichtig, damit das Ganze nicht zu fad werde. „Die ärgsten Speckesser im Mühlviertel waren einmal bei einem vegetarischen Hochzeitsbuffet total begeistert, da hat niemand den Schweinsbraten vermisst.“

Andrea Heistinger Arche Noah: Handbuch Bio-Gemüse.Sortenvielfalt für den eigenen Garten. Loewenzahn Verlag, 632 Seiten, 39,90 Euro.

Dieser aufwendig recherchierte Band widmet sich dem Anbau von über 100 Kulturarten. Pflanzengesundheit ist ebenso ein Thema wie das Anlegen von Beeten, Fragen zur Überwinterung werden genauso beantwortet wie solche zur Düngung und zur Herkunft der Sorten. Zahlreiche Rezepte ergänzen die umfangreichen Erläuterungen. Fotos wie von den Zwiebeln „Stuttgarter Riesen“ und „Gelbe Laaer“ oder den Pastinaken „Tender and True“ bzw. „White Diamond“ helfen, die einzelnen, mitunter sehr ähnlichen Sorten zu unterscheiden. Gärtner der Arche Noah kommen mit Anekdoten zur Bohnenaufzucht zu Wort und geben praxiserprobte Tipps zu Rankgerüsten. Ergötzen kann man sich nicht zuletzt an den Gemüsenamen: Fast unglaublich, welchen Wortkreationen und -ungetümen man da begegnet. „Kaiser Selbstschluss“, „Maikönig“ oder „Pasha“ regieren auf den Salat-Seiten, „Za Hara“ oder „Udumalapet“ trifft man etwa im Kapitel über Melanzani an.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2010)

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