Stecklinge suchen ein neues Heim

Stecklinge suchen ein neues Heim
Stecklinge suchen ein neues HeimUte Woltron
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Wer will mich? Wer einmal damit Erfolg hat, kann nicht mehr aufhören, Pflanzen zu vermehren. Dieser Sommer war besonders erfolgreich. Doch wohin jetzt mit den Stecklingen?

Wer Wind sät, wird Sturm ernten, heißt es. Noch sind wir von Herbststürmen verschont, doch sie stehen bevor, auch wenn die letzte Milde des ausklingenden Sommers über dem Land liegen mag. Was dann?, lautet jetzt die Frage. Wohin mit all den Pflanzen, die sich über den Sommer im Freien angesammelt haben? Denn dieses gewaltige, prachtvolle Ungeheuer von einem Sommer hat zwar Felder verdorren und Wälder in Flammen aufgehen lassen, doch mir verhalf er zum Durchbruch in Sachen Stecklingsvermehrung. Wider Erwarten wuchs so gut wie jedes abgeschnittene, in die Erde gesteckte Reis der unterschiedlichsten Pflanzen an.

Dementsprechend die Szenerie des Gartens: Allerorten stehen und hängen Blumentöpfe mit kleinen Pflanzen herum, die entweder bald ins Haus übersiedelt oder an verantwortungsvolle neue Besitzer übergeben werden müssen. Ich bin zur Edith Klinger der Blumen geworden: Wer will mich?, habe ich mit bezwingendem Blick zu fragen gelernt – und kaum ein Besucher verlässt mein Heim ohne Blumentopf in der Hand.

Die Vermehrung begann im Frühling mit dem Rückschnitt der erstaunlich wüchsigen Kaffirlimette. Diese hervorragende Pflanze zeichnet sich dadurch aus, dass sie das einzige Zitrusgewächs zu sein scheint, das im Winter in der Wohnung tadellos über die Runden kommt. Zumindest bei mir. Denn alle anderen Zitrusse haben im Lauf weniger Jahre unter meiner Pflege mangels kühlen Winterquartiers das Zeitliche gesegnet.

Nicht so die Kaffirlimette. Kleiner kulinarischer Exkurs: Ihre Blätter sind eine geniale Zutat für asiatische Speisen aller Art. Wer den Thai-Geschmack liebt, braucht weniger das bekanntere Zitronengras als vielmehr die taillierten, tiefgrünen und extrem aromatischen Kaffirlimettenblätter. Die Pflanze selbst wächst in rasender Geschwindigkeit. Ihre langen Triebe müssen im Frühjahr stark eingekürzt werden, damit sich einerseits das Bäumchen verzweigt und buschig bleibt und Ihnen andererseits nicht über den Kopf wächst. Diese Triebe zu verwerfen schien mir ein Frevel. Ich schnitt sie in handlange Stücke, steckte sie in Töpfe, stülpte ein Minitreibhaus darüber, goss gelegentlich und erwartete mir gar nichts. Doch nach etwa zwei Monaten hatten alle Stecklinge ausgetrieben.

Derlei Erfolgserlebnis beflügelt. Die nächste Pflanze, die ich einkürzte, war die indische Elefantenwinde Argyreia nervosa. Die war zuvor einem von mir sorgfältig behandelten Samenkorn entsprossen und hatte in Windeseile die Glashausdecke erreicht. Als sie sich der benachbarten Paradeiser- und Gurkenpflanzen bemächtigte, indem sie alles und jedes wie eine fadendünne Anakonda zu umschlingen begann, sah ich mich zu Gegenmaßnahmen gezwungen.

Die Elefantenwinde ist hierzulande so gut wie unbekannt. Es handelt sich um ein schönblättriges und kräftiges Schlinggewächs. Die Blätter wachsen zu silbrig-pelzigen gerippten Halbkreisen heran, die schließlich zu bis zu 30 Zentimeter großen Herzen aufklappen. Wer Glück hat, bringt die Elefantenwinde sogar zur Blüte in Form großer helllila Trichter mit dunklem Schlund. Die schlechte Nachricht jedoch lautet: Die Pflanze wird bis zu 15 Meter hoch. Also Schere her, einkürzen, Stecklinge schneiden, in die Erde stecken, Miniglashaus drüber. Wenig Hoffnung auf Erfolg. Doch erstaunlicherweise wuchsen von sechs Stecklingen immerhin vier an.

Der Höhepunkt meiner Erfolgswelle stellte sich zu jener Zeit ein, als das Thermometer an die 40 Grad zeigte. Da schleppten sich träge ein paar Besucher durch meinen Garten und bewunderten den Zierholunder Black Lace. Der stand zwar etwas dürstend in der Hitze, war aber mit seinen fast schwarzen, fein gefiederten Blättern immer noch eine Augenweide. Ich würde, so sprach ich, für die Gäste einen Steckling ziehen, denn heuer sei das Jahr meines Stecklingsdurchbruchs und es bestehe kein Zweifel daran, dass mir die Vermehrung auch dieses Holunders gelingen müsse.

Ich erspare Ihnen die nochmalige Beschreibung der Prozedur, verrate Ihnen jedoch, dass die Übung trotz Hitze abermals gelang. Ich zog in der Folge noch Ableger eines besonders entzückenden Schneeballs, mehrerer Rosen, des duftenden Patschulistrauches und ein paar weiterer Kleinigkeiten heran. Vorerst ist aber Vermehrungsschluss. Im Frühling geht's dann weiter.

Aus der Gartenlaube

Die Stecklingsvermehrung funktioniert nicht mit allen Pflanzen, aber mit vielen. Es ist oft sinnvoller, Abschnitte zur Bewurzelung direkt in die Erde zu stecken und nicht ins obligate Wasserglas. Die Faustregel lautet: Blattachseln beachten, dort entstehen meist Wurzeln oder neue Knospen. Stecklinge nicht länger als 12 bis 15 Zentimeter schneiden. Auf konstante Boden- und Luftfeuchtigkeit achten. Schattig stellen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2013)

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