Zwiebelpflanzen sind hart im Nehmen und groß im Geben

(C) Woltron
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Blumenzwiebeln sind ein Wunder der Natur. Sie verzeihen uns Gärtnern, dass wir auch nur Menschen sind, die alle paar Jahre wieder vergessen, dass die Pflanzen vor dem Frost in den Schutz des Erdbodens müssen.

Mit den Zwiebelpflanzen ist es so: Die sind Zwiebelpflanzen geworden, weil sie hart im Nehmen sein müssen. Biologen und insbesondere Botaniker würden das jetzt wahrscheinlich etwas geschliffener und elaborierter formulieren, doch wir Gärtner sind hier unter uns, und ich sage Ihnen: Zwiebelpflanzen halten viel mehr aus, als zum Beispiel auf Zwiebelpflanzenpackungen draufsteht. Die haben immerhin über Jahrmillionen ein Jausenpaket in Form einer Zwiebel entwickelt. Für Krisenzeiten, wie den Winter, oder für kritische Phasen, in denen sie verantwortungslosen Gärtnern ausgeliefert sind, die es nicht schaffen, sie im Herbst rechtzeitig in die Erde bringen. Und solche soll es ja immer wieder geben, nicht wahr? Sie, die sich da gerade hinter der Zeitung verstecken! Sie können es ruhig zugeben, Sie sind nicht allein.

Exkurs für diejenigen, die es nicht wissen sollten: Blumenzwiebeln wie Tulpen, Krokusse, Narzissen, Lilien und so weiter müssen im Herbst in die Erde. Die Zwiebel sorgt sozusagen für den Vorsprung. In ihr ist alles für das frühe Blühen im noch jungen Jahr schon angelegt. In der kleinen Zwiebel steckt die ganze Kraft des Frühlings. In der Phase nach der Blüte tankt die Pflanze mittels ihrer Blätter dann diese unterirdische Batterie gewissermaßen wieder auf und zieht schließlich alle Kraft aus dem Blattgrün im Laufe des Sommers wieder ein – deshalb sollte man die Blätter auch erst abschneiden, wenn sie welk sind. Dann wartet sie, frostsicher in der Erde untergebracht, auf den neuen Frühling. So die verkürzte Version komplizierter, hochinteressanter botanischer Prozesse.

Nun passiert es allerdings, wie bereits erwähnt, dass man etwa um diese Zeit des Jahres betreten feststellen muss, dass man wieder einmal im viel zu raschen Zeitenfluss des Herbstes versäumt hat, die schönen, bereits im September erworbenen Tulpenspezialitäten, die neuen, besonderen Lilien und die gefüllten Osterglocken rechtzeitig in eben diese frostsicheren Erdtiefen einzugraben. Die nackten Zwiebeln liegen in der Gartenhütte in ihren Papiersäcken dem Frost preisgegeben, und des schlechten Gewissens ist in diesen Augenblicken der Erkenntnis kein Ende. Die noch halbwegs Fürsorglichen unter uns holen die Armen wenigstens hervor und verstauen sie frostsicher im kühlen, dunklen Keller. Andere, wie ich im vergangenen Jahr, geben sie dagegen auf und denken zerknirscht: Na gut. Ein Flop. Ich habe gefehlt. Sie werden mir nicht vergeben. Sie werden im Frühling sicher völlig erfroren und hinüber sein. Egal. Sie sind auch nur Zwiebeln, und ich bin nur ein Mensch.

Es handelte sich noch dazu um Lilienzwiebeln, die sowieso besonders empfindlich sind. Die dürfen nicht austrocknen und schon gar nicht frieren. In Kombination mit einem sehr kalten Winter schienen ihre Überlebenschancen gleich null. Da sie aber überraschenderweise im Frühjahr gar nicht so leblos wirkten wie erwartet, grub ich sie sicherheitshalber doch ein. Nie soll man selbst das Kühnste unversucht lassen. Etwa zwei Drittel von ihnen trieben tatsächlich aus und blühten sogar. Unglaublich. Nicht aber, dass Sie diesem glanzlosen Beispiel bitte folgen sollten. Ich führe es nur an, um wieder einmal aufzuzeigen, dass die Natur voller Wunder und Nachsicht ist.

Ein zweites Mirakel folgte im Herbst, als ich die riesenhaften Zwiebeln des Rittersterns nicht nur einem, sondern vielen Nachtfrösten von bis zu minus sechs Grad preisgab. Ein weiterer Exkurs: Der Ritterstern Hippeastrum wird hierzulande fälschlicherweise gern Amaryllis genannt. Doch während die echte Amaryllis in Südafrika beheimatet ist, stammt der Ritterstern aus Südamerika, wo er in gebirgigen Lagen wächst, wo es das halbe Jahr über sehr trocken ist. So eine Trockenphase braucht der Zwiebelgigant denn auch ab Spätsommer, um seine Blüten zu bilden.

Die bekamen meine zahllosen Hippeastrum-Exemplare, die stets den Sommer im Freien verbringen. Bis, wie gesagt, in den eisigen November hinein. Da fielen sie mir ein. Bereits eine Viertelstunde später waren alle in Sicherheit. Die spitze Bemerkung eines Gastes, man könne die Leichen eigentlich gleich entsorgen, überhörte ich mit der mir eigenen Nachsicht. Denn es handelt sich ja um Zwiebelpflanzen, und die sind, wie bereits erwähnt, hart im Nehmen. Jetzt, zwei Wochen später, haben alle 18 Rittersterne bereits mächtig ausgetrieben. Ich erwarte ihre Blüte. Sie wird, wie immer, wunderbar sein.

GARTENLAUBE

Kurzanleitung für Hippeastrumliebhaber: Nach der Blüte schneiden Sie diese ab und düngen die Pflanze regelmäßig bis in den Sommer hinein. Jetzt sammelt sie die Kraft. Den Sommer kann sie, wie erwähnt, idealerweise schattig bis halb schattig im Freien verbringen. Ab Ende August wird nicht mehr gegossen. Überhaupt nicht. Die Pflanze zieht ein. Bevor es friert, holen Sie sie wieder hinein und gießen sie langsam wieder an. Sie treibt sofort aus und setzt Blüten an.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.12.2013)

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