Blütenglocken im Advent

Weihnachtskaktus
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Auch schwärzeste Daumen werden diese Pflanze nicht ums Eck bringen. Der Weihnachtskaktus ist ein Geschöpf für die Ewigkeit. Er überlebt uns alle.

Als der Schotte Allan Cunningham im Jahr 1814 in See stach, war er gerade einmal 23 Jahre alt. Als er zwei Dekaden später in Sydney an Tuberkulose starb, galt er als Pionier der Erforschung der australischen Pflanzenwelt. Das ist bis heute so geblieben, Cunningham huldigt man immer noch als jenem großen Botaniker, der sich quer über den damals noch von großen weißen Flecken durchzogenen Kontinent schlug – die Botanisiertrommel in der Hand, um Pflanze um Pflanze einzusammeln, zu beschreiben und zu beschriften und schließlich wohlverpackt nach England zu verschiffen. Dort erwartete sein Auftraggeber in Person des Obergärtners von Kew Gardens die kostbare Fracht, und zahllose Pflanzen tragen bis heute den auf ihren Entdecker verweisenden Namenszusatz cunninghammii.

All diese Reisen Cunninghams sind gut dokumentiert und wissenschaftlich aufgearbeitet. Doch auf dem Weg nach Australien machte der Botaniker auch einen von der Fachwelt wenig beachteten Zwischenstopp an der südöstlichen Küste Brasiliens. Dieser Abstecher, der immerhin fast zwei Jahre währte, wird kaum je erwähnt, doch eine der Pflanzen, die der Schotte dort einsackte und nach Europa schickte, macht bis heute Furore. Sie blüht derzeit auf zahllosen Fensterbänken und erhellt mit ihrem Anblick die dunkle Zeit des Jahres: der Weihnachtskaktus.


In Bäumen und Felsspalten. Er wächst in seiner Heimat Brasilien lediglich in einem vergleichsweise winzigen Areal, und zwar in den der Küste vorgelagerten gebirgigen Regenwäldern rund um den Bundesstaat Rio de Janeiro. Die Pflanze ist erst ab einer Seehöhe von etwa 700 Metern zu finden, wo es nicht mehr so heiß, aber dennoch dank der aufsteigenden Atlantikwinde feucht ist. Dort gedeiht er auf Bäumen und in Felsspalten, und er wächst sich zu Höhen von über einem Meter aus.

Die Pflanze selbst ist unscheinbar: Reich verzweigte, segmentierte, abgeflachte Triebe streben erst in die Höhe, um sich später wasserfallartig Richtung Boden zu ergießen. Ältere Triebe verholzen, insgesamt kann eine gewisse Struppigkeit über die Jahre entstehen, ein Gewirr aus dunkelgrünem Wuchern. Möglicherweise erinnert sich jetzt so mancher von Ihnen an bestimmte, über Ewigkeiten gepflegte Weihnachtskaktusexemplare auf den Fensterbänken von Tanten und Großmüttern, wo sie ab den 1950er-Jahren neben Schwiegermutterzungen und Usambaraveilchen zum pflanzlichen Mobiliar jeder guten Stube gehörten. Gelegentlich abgestaubt, den Sommer über neben den Blütenpflanzen der Saison in ihrer Unscheinbarkeit fast vergessen, im Herbst wieder aus der Ecke hervorgeholt.

Wenn das Kaktusgewächs dann allerdings im hiesigen Winter, der natürlich der südamerikanische Frühling ist, zu blühen beginnt, kann es einem adventlich warm ums Herz werden. Denn dann tauchen an allen Ecken und Enden dieses grünen Gewirrs farbintensive, seidige Blüten erstaunlicher Dimension auf. Sehr schön. Und da die Briten, sobald der Kaktus vor genau 200 Jahren bei ihnen angekommen war, sofort ihrer Leidenschaft, dem Veredeln, Kreuzen und Neuzüchten, frönten, gibt es diese Blüten mittlerweile in allen Farbschattierungen zwischen Cremeweiß, Rosa, Lila bis hin zum kräftigsten Zinnoberrot.

In manchen Familien gehört es zur Tradition, den Weihnachtskaktus zu vermehren und weiterzugeben wie eine Fackel im Lauf der Familiengeschichte. Dazu bricht man einfach ein Ästchen ab, versenkt es in der Erde und wartet, bis es neue Triebe treibt. Klein sollte der Topf sein, gering die Wassergaben, nicht zu vollsonnig der Standort. Wenn man ihn nicht zu viel gießt, den Weihnachtskaktus, überlebt er uns alle, denn er ist unverwüstlich und die ideale Pflanze für all jene, die jedes andere grüne Geschöpf unweigerlich ums Eck bringen.


Erbarmen mit der Gießkanne. Kaum je wird er an Schädlingen leiden. Auch verträgt er es geduldig, wochenlang vergessen und gar nicht gegossen zu werden. Dann schrumpelt er ein wenig ein, trinkt sich aber sofort wieder glatt, wenn jemand Erbarmen hat und mit der Gießkanne herbeispringt.

Wer jetzt allerdings nach dem Namen des Entdeckers sucht, wird ihn an dieser Stelle leider nicht finden. Die Bezeichnung des Weihnachtskaktus ging an einen gewissen Fréderic Schlumberger, einen französischen Kakteensammler und Züchter, der gerade geboren wurde, als Cunningham zu neuen Ufern aufbrach. Schlumbergera heißt er. Warum? Keine Ahnung. Vielleicht war es ein Weihnachtsgeschenk, wer weiß.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2014)

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