Bienenpflege: Dazu gehören einfach die Jahre

(c) Ute Woltron
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Wie ein alter Imker seine Bienenstöcke mit Ruhe und Bedacht, mit Beobachtung und richtigem Handeln im Gegensatz zur überwältigenden Mehrheit seiner Kollegen über den Winter gebracht hat. Ein Lehrstück in Bienenpflege.

Stärke und Schönheit seien die Vorzüge der Jugend, schreibt Demokrit, doch des Alters Blüte sei die Besonnenheit. Euthymia, wörtlich das „gute Gemüt“, also eine heitere, gleichmütige Grundgelassenheit, galt dem griechischen Philosophen vor 2500 Jahren schon als das wichtigste Gut des Menschen.

Je älter man wird, desto inniger fühlt man sich dieser Ansicht verbunden, desto gründlicher schätzt man auch die dem Demokrit und den Stoikern Nachgefolgten, die Epikureer etwa, und 1300 Jahre später den guten alten, nicht hoch genug zu verehrenden Michel de Montaigne. Wobei man mitunter, insbesondere beim genüsslichen Bestellen seines Gartens, innehalten und sich selbst erstaunt fragen kann, warum nur man mit dieser so wohltuenden Übung des Geistes erst so spät begonnen hat.

Ruhe und Gelassenheit bei gleichzeitiger Zielstrebigkeit sind in der Tat segensreiche Charakterzüge, weil sie denjenigen, der sie trägt, unbeirrt von Ablenkung in Richtung Ziel führen. Einer, der damit in besonderem Maß gesegnet zu sein scheint, ist ein betagter ehemaliger Schustermeister, wohnhaft am Fuß der Flatzer Wand im südlichen Niederösterreich.

Er schafft, woran alle scheitern. Sein Name geistert derzeit durch die Imkerszene der Region. Man flüstert ihn ehrfurchtsvoll und mit Hochachtung. Denn der Mann hat zusammengebracht, woran die anderen Imker, nicht nur dieser Gegend, sondern praktisch des gesamten Kontinents, so gut wie alle gescheitert sind: Seine Bienenvölker sind gut über den Winter gekommen. Daran kann man sich dieser Tage wahrlich freuen. Darüber kann man in diesen Zeiten tatsächlich stolz sein. Nur ein einziger seiner 17 Stöcke ist verwaist und damit verloren. In den restlichen summt es, und die Völker darinnen erfreuen sich vitaler Gesundheit. Das ist, angesichts der in diesem Winter extrem miesen Bedingungen für Bienenvölker, eine Leistung, die wahrscheinlich nur hoch genug schätzen kann, wer sich zumindest ein bisschen mit Bienenvölkern und ihrer komplizierten Zucht und Hege auskennt.

Für die Bienenvölker wären kalte Winter ohne dauernde Wärmeunterbrechung weit günstiger als die zuletzt so schwankende Witterung. Dazu kommt, dass aufgrund der milden Herbst- und Wintertemperaturen und der dadurch beeinflussten Grundbedingungen im Bienenstock auch die Varroamilbe, dieses aus Asien importierte Todesurteil der europäischen Honigbiene, ausgezeichnete Lebensumstände vorgefunden und sich entsprechend vermehrt hat.
Übersteigt die Anzahl der Varroamilben in einem Stock ein kritisches Maß, verlieren die Bienen gewissermaßen Sinn und Verstand. Sie schwärmen aus, büßen jeglichen Zusammenhalt ein, der Stock dreht durch und kollabiert. Colony Collapse Disorder wird dieses schaurige Phänomen in der Fachwelt genannt. Für den Imker ist es ein Trauerspiel. Jetzt im Jänner steht das Ausmaß des jeweiligen Massakers fest. Fast alle haben zumindest ein Viertel ihrer Völker verloren, die meisten noch viel mehr. Manche verzeichnen Totalausfälle.

Mit Säuren und Ölen. Nicht so, wie gesagt, der alte Imker aus Flatz. Neugierige Imkerjünglinge, die auch schon auf die 70 zugehen, wurden bereits bei ihm vorstellig und ließen sich genau erklären, wie er es geschafft habe, die Varroa im Zaum zu halten. Denn der Umgang mit der Milbe ist eine überaus knifflige Aufgabe. Man kann dem ekelhaften Spinnentier etwa mit dem fein dosierten Verdampfen von Zitronensäure oder Oxalsäure zu Leibe rücken, mit ätherischen Ölen wie Thymol und anderem. Doch muss der Imker ganz exakt dosieren, variieren und außerdem zu den genau richtigen Zeitpunkten aktiv werden.

Denken, beobachten, handeln. Dazu gehört Erfahrung. Dazu gehören, wie man so schön sagt, die Jahre. Tatsächlich ist die Angelegenheit noch viel komplizierter als hier beschrieben. Denn der Bienenzüchter muss auf diverse weitere Faktoren wie den eingetragenen, jedoch noch nicht geschleuderten Honig achtgeben, auf den Zustand der Bienenbrut, auf die Menge der Drohnenwaben, die von der Varroa besonders intensiv befallen werden, und noch auf vieles andere mehr.

Das Geheimnis des Flatzer Imkers besteht im Grund aus seiner Bedachtsamkeit, aus Ruhe, aus Nachdenken, genauem Beobachten und daraus folgendem richtigen Handeln. Das sind philosophisch definierte Tugenden, die in Kombination ordnungsgemäß zur Anwendung kommen.
Er zählte jeden Tag die abgefallenen Varroa-Mengen unter den Waben und konnte sich so ein genaues Bild über den jeweiligen Zustand jedes Bienenstocks machen. Dann dosierte er die verschiedenen zur Verfügung stehenden Maßnahmen geschickt und in Kombination miteinander, sodass er folgende Gratwanderung meisterte: nicht nur ausgewachsene Milben zu beseitigen, sondern auch deren Brut bei gleichzeitiger Schonung des Bienenvolkes in allen Stadien zu reduzieren.

So, wie man alles angehen sollte. So müsste man alles im Leben angehen. Solchen Geistes wünschte man sich Unternehmer, Politiker, Mitmenschen: Erfahrung sammeln, viel nachdenken, nicht aus der Ruhe bringen lassen, richtige Entscheidungen zum richtigen Zeitpunkt treffen, dann handeln, und bei alledem insgesamt stets Euthymia verpflichtet bleiben.

Lexikon

Varroa. Seit Mitte der 1970er-Jahre auch in Europa eingeschleppt, vernichtet die Milbe, wenn sie nicht bekämpft wird, ein Bienenvolk in längstens zwei Jahren.
Bienenvölker. Seit Mitte der 1980er-Jahre hat sich die Anzahl der westeuropäischen Bienenvölker von rund 4,32 Millionen auf 2,64 Millionen krass reduziert.
Imker. Laut Österreichischem Imkerbund steigt dagegen die Zahl der heimischen Imker neuerdings wieder an, zuletzt waren es mehr als 25.200.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.01.2015)

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