Sitz nicht herum, fang einfach an

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Gemeinschaftsgärten erfreuen sich immer größerer Beliebtheit,Mietergärten sind auf Jahre hinaus ausgebucht. Vielleicht gibt es noch weitere Möglichkeiten, die Finger in der Erde zu versenken. Man muss nur selbst die Initiative ergreifen.

Wie viele Leute haben keinen Garten, würden sich aber freuen, könnten sie zumindest hin und wieder einen betreuen. Wie viele Menschen wären froh, dürften sie in der Erde wühlen und ein kleines Stückchen Welt schöner machen. Wie viele Gärten liegen hingegen brach und dämmern dem Moment entgegen, in dem sie wieder wenigstens ein bisschen wertgeschätzt, bepflanzt und gepflegt werden.

Eine aufmerksame Fahrt über die Lande und durch die Dörfer offenbart das. Abgesehen von den vielen, ihre Besitzer offensichtlich erfreuenden Freiflächen, in denen es blüht und summt: Über manchen, über zu vielen Gärten dazwischen liegt eine Tristesse, die jeden tatkräftigen Grünfinger in der Seele anrührt. Braunes Gras. Von der Vorgängergeneration noch geliebte, heute vernachlässigte Obstbäume, die keiner mehr aberntet. Kahle Erde. Kein Strauch, keine Blüte weit und breit.

Möglicherweise ergeht es Ihnen ähnlich, und Sie überlegen in den kurzen Momenten, während Sie an solchen Wüsteneien vorübergleiten, was man hier nicht alles schneiden, pflanzen, säen könnte. Keine Angst, wir rufen an dieser Stelle nicht eine Art gärtnerischen Kommunismus aus. Aber die Idee, insbesondere Alten, Schwachen und Kranken, die aus welchem Grund auch immer nicht in der Lage sind, ihre Freiflächen zu bewirtschaften, unentgeltlich unter die Arme zu greifen, wird man ja noch spinnen dürfen. Wie viele rüstige Pensionisten, aber auch andere, Jüngere sitzen daheim herum und fadisieren sich. Wie viele Gartenfexe wissen oft nicht, wohin mit ihren Ablegern und Sämlingen. Verbündet euch, Leute, organisiert euch. Schultert die Schaufeln. Wer darauf wartet, dass irgendetwas passiert, liegt schon halb begraben unter der schönen Erde.

Nicht für alles verantwortlich. Die Voraussetzung für sinnvolle Aktionen aller Art sind der unternehmungslustige Tatendrang, vor allem aber die gründliche Abkehr vom hierzulande doch recht kräftig in der Volksseele verwurzelten Gefühl, dass das, was gemeinhin die Obrigkeit genannt wird, für alles verantwortlich wäre. „Sitz nicht herum, sondern fang einfach an“, sprach schon der alte Goethe, und mit genau dieser Mentalität bringt man immer etwas weiter.

Läge etwa ein Stückchen öffentlicher Grünfläche vor meiner Haustür und wäre die von der Gemeinde mehr schlecht als recht betreut und eher von Disteln, Giersch und Quecke als von Erfreulicherem bewachsen – ein Straßenrandbeet-Zustand, den man ja doch recht oft zu Gesicht bekommt –, so würde ich sofort den Krampen schultern und mich lustvoll über die Brache hermachen. In pfleglichen freundlichen Gesprächen mit den Gemeindeverantwortlichen könnte man mit Sicherheit einen gemeinsamen Weg beschreiten, und alle wären glücklich. Die einen, weil es vor der Haustür blüht und summt, die anderen, weil ihnen Arbeit und Kosten abgenommen werden.

Die passionierte Gärtnergemeinschaft ist längst gut vernetzt. Setzlinge, Gemüsepflanzen und ausgefallene Gewächse wechseln ihre Besitzer über die Gartenzäune und Dorfgrenzen hinweg. Tipps und Tricks werden bereitwillig untereinander ausgetauscht. Bricht der Marillenbaum unter der Last seiner Früchte fast zusammen, obwohl schon die gesamte Sippschaft in Marillenmarmelade schwimmt, kommen auch die anderen stets gern zu Hilfe und stellen sich mit Kübeln und Schaffeln ein. Als Gegenleistung gibt es dann Kirschen und Zwetschken im Austausch, Äpfel, Birnen, Zucchini oder Gießdienst, wenn die anderen einmal auf Urlaub fahren. Kinder rennen vergnügt durch die Gärten und jausnen sich durch Himbeerstauden. So soll's sein.

Kurz noch einmal zu den Gemeindegärtnern, die von Ortschaft zu Ortschaft höchst unterschiedliche Performance hinlegen. Noch vor ein paar Jahren war in unserer Gegend hier ein Kreisverkehr zu betrachten, der in der Mitte von der Gemeindegrenze geteilt wird. Ein großartiger Anblick! Die eine Hälfte wurde von der einen Gemeinde bestens gepflegt und originell bepflanzt. Die andere, der Nachbargemeinde zugehörige Hälfte war eine wüste Gstätten. Gelegentlich kam jemand, der wühlte dann mit der Motorsense lustlos im vertrockneten Gras und hinterließ eine Art Heuhaufen neben dem Gärtchen. Möglicherweise kam dieses Gleichnis irgendwann einmal an verantwortlicher Stelle zur Sprache. Denn nunmehr findet auf diesem kreisrunden Stück Erde eine Art gärtnerischen Wettbewerbs statt, und beide Hälften sind schön, satt blühend und erfreulich anzuschauen.

Nach Jahrzehnten gärtnerischer Fadesse leben wir wieder in Zeiten, in denen Gemeinschafts- und Mietergärten boomen. Manch ein von der Hausgemeinschaft gemeinsam genutzter Wiener Innenhof wurde aus dem Dornröschenschlaf wachgeküsst. Partizipationsprojekte schießen überall aus den Böden. Also: Einfach anfangen. Gärtnern kann schließlich Ihre Seele retten.

Lexikon

Gemeinschaftsgärten.Eine Plattform für Nachbarschaftsgärten und andere Garteninitiativen bietet der Gartenpolylog. www.gartenpolylog.org

Bodenbündnis. Übersichtskarten zu bereits bestehenden Gemeinschaftsgärten findet man auf der Website von www.bodenbuendnis.or.at

Wien. Es tut sich viel in der Bundeshauptstadt in Sachen gemeinschaftlich gärtnern. Einen guten Impuls liefert beispielsweise die Seite www.wiengestalten.at/graetzloaseH.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2015)

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