Wie uns das Getreide domestizierte

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Ein paar weit gefasste Literaturvorschläge für grüne und schwarze Daumen, für Gärtner und Nichtgärtner, für Herbstabende und Wintermorgen, kurzum für jeden, der sich für Pflanzen, Menschen und das Leben im Allgemeinen interessiert.

Am Sonntag endet in Wien die internationale Buch Wien. Da will die „Gartenkralle“ nicht hintanstehen, ebenfalls ein wenig im fruchtbaren Humus diverser Publikationen zu schürfen und ein paar Lektürevorschläge hervorzuwühlen. Die üblichen großformatigen Hochglanzpublikationen mit Abbildungen unerreichbar gekonnt angelegter und gepflegter Gärten, die jeden Normalsterblichen mit leichter Melancholie auf die eigenen und vergleichsweise mager erscheinenden Schrebergärtchen schielen lassen, schieben wir lieber beiseite. Viel zu interessant und vielschichtig ist des Menschen Beziehung und Umgang mit der Natur, um sich lediglich in glatter Perfektion kunstvoller Gartenanlagen zu verlieren.

Der erste Lektürevorschlag trägt denn auch den optimistisch-herausfordernden Titel „The Indestructible Houseplant“ und stellt 200 Gewächse vor, die, wie die US-amerikanische Autorin Tovah Martin behauptet, kaum umzubringen sind. Sie beschreibt die genügsamen Compagnons mit Humor und Eleganz, vor allem aber mit jener gewissen Lässigkeit, die in den gern entweder todernsten oder ins Sülzige lappenden deutschsprachigen Garten-Publikationen offenbar nicht erlaubt ist. Ausnahmen bestätigen selbstverständlich die Regel.

Wir leben, so Tovah Martins kaum zu widerlegende These, in einer imperfekten Welt, in der die Hektik den Takt angibt. Die von ihr vorgeschlagenen Pflanzen für die eher schwarzen Daumen unter uns – von A wie Agave bis Z wie Zamioculcas zamiifolia – verzeihen zuwendungsfreie Phasen und strecken nicht sofort die Blätter, wenn man sich eine Zeit lang nicht um sie kümmert.


„Unsterbliche“ Pflanzen.
Was das Buch jedoch so richtig reizvoll macht, ist die Präsentation der „Unsterblichen“, wie sie die Pflanzen nennt. Die residieren in Flohmarktfunden wie Suppenschüsseln und Zinkgefäßen, in altem Emaillegeschirr und schönen Gläsern. Formen und Farben der Behältnisse passen perfekt zur Gestalt der darin wachsenden Pflanze, und die Arrangements sind von großer Ästhetik, jedoch frei von Kitsch. Sie sind einfach elegant und lässig. Ein Buch, das viel Inspiration, Witz und Wissen in sich vereint. Empfehlung!

Wer sich eine Zeit lang mit Pflanzen beschäftigt und Erfahrungen im Umgang mit ihnen sammelt, beginnt sie, so eigenartig das für Nichtgründaumen klingen mag, recht gut zu verstehen. Erfahrene Gärtner wissen instinktiv schon lang, bevor eine Pflanze dann wirklich zu kränkeln beginnt, ob sie sich wohlfühlt oder nicht. Das sehen die den Pflanzen ganz einfach auf den ersten Blick an, wobei es egal ist, ob es sich um Zimmerpflanzen oder Gartenpflanzen handelt.

Wie dieser vermeintliche Instinkt funktioniert und dass es tatsächlich kein solcher ist, beschreibt der amerikanisch-israelische Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman in seinem viel gepriesenen Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“. Er legt darin die Erkenntnisse langjähriger Forschungen dar, die er gemeinsam mit dem bereits verstorbenen Kollegen Amos Tversky angestellt hat und die zu dem hier natürlich sehr vereinfacht dargelegten Schluss führten, dass der Mensch grundsätzlich zwei „Selbste“ in sich vereint, und zwei Systeme, was das „denkende Gehirn“ anlangt. Das eine, dem wir Abendländer traditionell mehr Beachtung schenken, könnte mit dem logischen, berechnenden, bewussten Denken gleichgesetzt werden. Das andere, möglicherweise viel interessantere System funktioniert automatisch, emotional und unbewusst und subsumiert in Windeseile alle gemachten Erfahrungen, um eine Situation zu erfassen. Ein faszinierendes Buch, für Gärtnerinnen und Gärtner genau so wie für alle anderen.

Wenn Sie nun im Herbst über die abgemähten Felder wandeln, am Waldrand entlang, und ihren Gedanken nachhängen, so dürfte Sie vielleicht noch ein Lektürevorschlag interessieren: In „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ stellt der israelische Historiker Yuval Noah Harari unter anderem die provokante These auf, dass die weitverbreitete Ansicht, die Menschheit habe mit all ihren Erfindungen und Fortschritten eine stete Entwicklung hin zum Besseren genommen, eine jedenfalls fragwürdige Sicht der Dinge, vielleicht aber sogar blanker Unsinn sei. Er setzt zum Beispiel die Sesshaftwerdung durch den Ackerbau mit dem Beginn der Selbstversklavung der Menschheit gleich: „In Wirklichkeit waren es diese Pflanzen, die den Homo sapiens domestizierten, nicht umgekehrt.“

Damit schließt sich der Kreis dieser Kolumne für heute. Wählen Sie also vielleicht besser eine der von Tovah Martin als unzerstörbar beschriebenen Zimmerpflanzen aus als ein zickiges, anspruchsvolles Gewächs, dann laufen Sie wenigstens nicht im eigenen Heim Gefahr, Sklave zu werden.

Lexikon

Tovah Martin. „The Indestructible Houseplant“. Brandneu, eben erst erschienen, und zwar im Verlag Timber Press (22,87 Euro)

Daniel Kahnemann. „Schnelles Denken, langsames Denken“. Übersetzt von Thorsten Schmidt, erschienen 2012, erhältlich in der mittlerweile 23. Auflage bei Siedler Verlag (26,99 Euro)

Yuval Noah Harari. „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ Erschienen 2013 in der Deutschen Verlags-Anstalt, übersetzt von Jürgen Neubauer, als Hardcover oder Taschenbuch zu haben (24,99 bzw. 14,99 Euro)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2015)

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