Magenschutz-Medikamente werden wie Zuckerln verschrieben

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Nicht so harmlos: Arzneien, die zum Schutze des Magens gegeben werden, haben auf Dauer viel mehr Nebenwirkungen als bisher angenommen.

Der Istzustand ist besorgniserregend: Magenschutz-Medikamente werden wie Zuckerln verschrieben und verabreicht. „Es kann doch nicht sein, dass bis zu 90Prozent der Spitalspatienten einen Magenschutz verschrieben bekommen. Das ist ein europaweites Problem“, kritisierte Martina Anditsch, Klinische Pharmazeutin im Wiener Donauspital, bei der heurigen Sommerakademie der österreichischen Apothekerkammer.

Schutz vor Magenschutz-Hype

Man müsste den Patienten eigentlich Schutz vor diesem Magenschutz-Hype bieten, denn „auf lange Zeit genommen, haben diese Medikamente viel mehr Nebenwirkungen, als man bisher angenommen hat“, weiß die Expertin über die PPI zu berichten. PPI kommt von Protonenpumpeninhibitoren, auch Protonenpumpenhemmer genannt. Sie hemmen die Bildung der Magensäure (pH-Wert steigt an) und werden bei Krankheiten wie Magengeschwür oder Refluxoesophagitis (Sodbrennen) verordnet, aber noch häufiger als Schutz vor Magenblutungen durch andere Medikamente (vor allem Schmerzmittel). Wirkstoffe sind unter anderem Omeprazol, Pantoprazol oder Lansoprazol, die unter verschiedenen Namen im Handel angeboten werden.

Lungenentzündung, Osteoporose

„Bei Langzeitgabe können diese Magenschutzpräparate zu Lungenentzündung führen. Denn durch das veränderte Magensäuremilieu – der pH-Wert steigt durchschnittlich von 1,2 auf 3,5 – können Keime überleben, die ansonst abgetötet worden wären. Und diese Keime können dann wandern und so in die Lunge gelangen. Das ist mit ein Grund, warum man mit PPIs auf Intensivstationen gottlob sehr zurückhaltend ist“, erwähnt Anditsch.

Zu den weiteren unerwünschten Nebenwirkungen von lange eingenommenen PPIs gehören ein erhöhtes Osteoporoserisiko und damit eine Zunahme des Frakturrisikos sowie eine mögliche Veränderung der Darmschleimhaut und eine Zunahme des Allergiepotenzials. „Sie werden auch mit einer nicht ausreichenden Aufnahme von Magnesium, Eisen, Vitamin B12 und Kalzium in Verbindung gebracht.“

PPI sollten nur gezielt bei den zugelassenen Indikationen und in der vorgeschriebenen Therapiedauer verordnet werden, zum Beispiel bei Patienten mit einer NSAR-Dauertherapie. NSAR, nicht steroidale Antirheumatika, sind entzündungshemmende Schmerzmittel, die mit einem hohen Risiko von Magen- und Darmblutungen verbunden sind, etliche davon sind rezeptfrei erhältlich. Zu den bekanntesten NSAR gehören Aspirin, Ibuprofen, Voltaren, Deflamat, Diclofenac, Parkemed, Seractil, Miranax. Anditsch' Rat: „NSAR daher so kurz wie nötig nehmen und immer getrennt vom Magenschutzpräparat. Bei den Spitalsaufnahmen wegen gefährlicher Arzneimittel-Nebenwirkungen sind NSAR die führende Gruppe. Sie sind mit einem enormen Nebenwirkungsprofil behaftet, von Schwindel und Magen-Darm-Blutung über akutes Nierenversagen bis zur Zunahme von Herzinfarkt und Schlaganfall.“

Nierenversagen oder Schlaganfall können auch die PPIs nicht verhindern, sie sind lediglich ein Schutz vor Magenblutungen. Anditsch: „Wir haben im Donauspital als Hilfestellung für die gezielte Verordnung von PPIs einen Folder für die Kitteltasche gemacht. Mit Unterstützung der klinischen Pharmazeuten und mit intensiven Schulungsprogrammen der Ärzte konnten wir innerhalb eines Jahres den Verbrauch von Protonenpumpenhemmern um fast 45 Prozent reduzieren.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2012)

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