Crossfit: "Das härteste Training der Welt"

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An die Grenzen gehen: Der US-Ausdauersport Crossfit verlangt den Trainierenden viel ab. Ärzte raten Anfängern zur Vorsicht, Profis bescheinigen den Kombinationen aus Kniebeugen und Klimmzügen Suchtpotenzial.

Die Ärzte nannten es Hangman's Fracture.“ Genau der Wirbel, der auch bricht, wenn man sich aufhängt, war auch bei Jo Neusser gebrochen. Zwei Wochen Spitalsaufenthalt folgten. Der fatale Unfall ereignete sich während eines Footballtrainings: „Ich bin Helm an Helm mit einem Gegenspieler zusammengestoßen.“

Eigentlich wollte er ja gleich wieder weiterspielen, „der Teamarzt hat mich aber ins Spital geschickt“, erzählt Neusser, ehemaliger professioneller Footballspieler. Zum Glück, denn es wurde eine Fraktur des zweiten Halswirbels diagnostiziert. Die relativ rasche Genesungsphase hatte er seinen ausgeprägten Nackenmuskeln zu verdanken, die ein Verschieben der Wirbel verhindert hatten. „Die Ärzte sind im Fünf-Minuten-Takt in mein Zimmer gekommen, um zu schauen, ob ich meine Beine noch spüren kann. Ich glaube sogar, sie waren ziemlich erstaunt.“ Ein Freund gab ihm während dieser Zeit eine DVD über eine damals noch unbekannte Sportart – Crossfit. „Ich fand es beeindruckend, wie die Leute im Video so an ihre Grenzen gegangen sind, und dann noch den Willen hatten, weiterzumachen.“ Kurze Zeit später fand er sich in London wieder, um die Trainerausbildung zu absolvieren. Im November 2011 folgte die Eröffnung seines Studios Crossfit ACE.

Effektiv, aber anstrengend. Der amerikanische Trendsport setzt sich aus allen möglichen Bereichen zusammen, sei es Turnen, Ausdauer oder Gewichtheben. Durch den Einsatz freier Gewichte wie Stangen oder gar des eigenen Gewichts wird mit jeder Übung der gesamte Körper gezielt auf einmal trainiert – und nicht wie im Fitnesscenter nur einzelne Körperpartien. Auch in Sachen Zeit kann Crossfit punkten: Zwar dauert eine Einheit eine Stunde, das eigentliche Work-out ist aber meist nicht länger als zehn, fünfzehn Minuten. Und davon gibt es jeden Tag ein anderes.

Heute steht in Großbuchstaben „Fran“ am Whiteboard des Studios in der Blümelgasse 1, darunter drei Zahlen: 21, 15, 9. Ein Raunen geht durch die Menge. Die meisten wissen nämlich schon, was das bedeutet: Thrusters, also Kniebeugen mit einem Gewicht, das dann über Kopf gedrückt wird, und Klimmzüge, jeweils 21-, 15- und neunmal. Und natürlich so schnell wie möglich. „Bei solchen Work-outs frage ich mich manchmal, warum ich mir das eigentlich antue“, scherzt ein Teilnehmer, „aber ohne Schweiß kein Preis.“ Und diesem erzielt man bei Crossfit schnell: Bei einer Einheit werden durchschnittlich 450 Kalorien verbrannt – etwa so viel wie bei eineinhalb Stunden Joggen. „Es macht aber viel mehr Spaß. Man ist in einer Gruppe und wächst irgendwie zu einer großen Familie zusammen.“

Die Medaille hat jedoch eine Kehrseite, wie Mathias Kovacev, Strength and Conditioning Coach der Vienna Vikings, weiß. Er kritisiert die Selbstüberschätzung und den Wettbewerbsdrang, der aus dieser Gruppendynamik oft entsteht. Und auch, dass es viel zu einfach ist, Trainer zu werden: „Nach einem Wochenendkurs ist man zertifizierter Crossfit-Trainer und kann eine Box eröffnen.“ Es profitiert vor allem das US-Unternehmen Crossfit durch Lizenz- und Kursgebühren.

Auch dem Sportmediziner und Chefarzt des Vienna City Marathons, Christian Gäbler, sind Crossfit-Verletzungen nicht unbekannt: „Meist sind es Achillessehnen- und Schulterprobleme. Generell ist Crossfit in meinen Augen nichts für Sportanfänger.“ Diese Meinung kann Jo Neusser jedoch nicht teilen: „Natürlich braucht man jemanden, der die Ausführung überwacht. Deshalb sind die Trainer ja da. Allerdings kann das Work-out beliebig abgeschwächt werden. Auch meine Mutter, die 58 Jahre alt ist und noch nie Sport gemacht hat, trainiert seit knapp zwei Jahren und ist höchst zufrieden.“

Stangen, Gewichtsscheiben, Kettlebells, Medizinbälle, vielleicht noch zwei, drei Rudergeräte. Und viel Platz. Mehr braucht ein Crossfit-Studio, unter Insidern Box genannt, nicht. In Österreich gibt es bislang zehn lizenzierte Boxen, fünf davon in Wien. Der Preis variiert je Standort und Vertragsbindung, generell ist aber mit einem Monatsbeitrag von mindestens 100 Euro zu rechnen. Ein weiterer Ansporn, den inneren Schweinehund zu überwinden und öfter trainieren zu gehen. Übertreiben darf man es aber nicht. „Ich rate meinen Kunden, nicht öfter als viermal die Woche zu kommen. Man muss dem Körper Zeit geben, sich zu regenerieren. Das ist fast genauso wichtig, wie das Training selbst“, sagt Neusser. Besonders am Anfang soll man die Dinge eher gelassen angehen.


„Uncle Rhabdo“. Denn der rasche Muskelaufbau kann auch negative Folgen haben. So kann die extreme Belastung zu schweren Nierenproblemen führen, in der Szene als „Uncle Rhabdo“ bekannt. Crossfit-Anhänger können aber aufatmen: Rhabdo tritt nur extrem selten auf und kann komplett verhindert werden. Und zwar durch genügend Flüssigkeit vor, während und nach dem Training. Resümee von Footballcoach Kovacec: „Crossfit ist eine gute Sache, was die Grundidee anbelangt– aber in der Umsetzung fehlt es oftmals an Qualität.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2013)

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