Seifenblasen und Rollenspiele als Therapie

(c) FABRY Clemens
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Ob ein Frühchen Probleme bei der Nahrungsaufnahme oder ein alter Mensch nach einem Schlaganfall die Sprache verloren hat: Logopädie hilft hier ebenso wie Legasthenikern oder Schauspielern mit Stimmproblemen. Ganz anders die Logotherapie.

Andreas pustet voller Vergnügen Seifenblasen in die Luft. Hinter diesem Spaß aber steckt Therapie: Logopädie, die dem heute Siebenjährigen sehr geholfen hat. Das lustige Seifenblasen soll die geschwächte Mundmotorik und -muskulatur des Buben stärken: Als Kleinkind hatte Andreas ein beidseitiger bösartiger Nierentumor befallen. Die Krankheit und die Behandlungen aber hinterließen Spuren: einen allgemeinen Entwicklungsrückstand, Schwächen in der Motorik, Sprachstörungen, Verständnisprobleme.

„Der Bub hatte Schwierigkeiten mit etwas komplexeren Sätzen, auch bei Texten und Aufgaben, wie etwa ein Spielzeug aus dem Kasten holen, hatte er Probleme“, erzählt Christa Zeba, Logopädin im Ambulatorium Mosaik in Kapfenberg. Sie und Kollegen haben Andreas – unter anderem mit Rollen- und Bewegungsspielen, mit Lege- und motorischen Übungen, mit Silbenklatschen – so weit geholfen, dass er heute, nach dreieinhalbjähriger Therapie, eine normale Schule besuchen kann. Rollenspiele beispielsweise können zur Stimmtherapie eingesetzt werden: Das Kind schlüpft in die Rolle eines Bösen, seine Stimme soll lauter werden, als gute Fee hingegen wird der kleine Patient angehalten, leise zu sprechen – damit wird der bewusste Einsatz der Stimme geübt. Beim Silbenklatschen wiederum werden einzelne Silben in bestimmten Rhythmen geklatscht, das unterstützt das rhythmische Sprechen.

Vollkommen bewegungslos. Kunibert Geiger, 54, hat mittels Logopädie das Sprechen wieder ganz neu lernen müssen. Verloren hat er die Sprache ganz plötzlich, von einer Sekunde auf die andere: 1996 war er in ein Locked-in-Syndrom gefallen (LiS: seltenes neurologisches Krankheitsbild mit völliger Bewegungsunfähigkeit, aber bei voll erhaltenem Bewusstsein). „Drei Tage war ich vollkommen bewegungslos, dann dauerte es rund acht Monate, bis ich, Schritt für Schritt, fast wieder alles konnte, zum Beispiel reden. Der erste Ton kam nach Monaten. Erst nur ein Buchstabe, dann zehn und nach zwei Wochen war's wieder ein ganzer Satz“, erzählt der Sachbearbeiter aus Heiligenkreuz. Aber nicht nur die Sprache war weg, sondern unter anderem auch die Mimik. „Die habe ich auch allmählich wieder mit Hilfe von Logopädie zurückgewonnen. Ich musste täglich, und das monatelang, ganz bestimmte Übungen machen, die Therapeuten haben unter anderem auch mit Vibrationen und Eisstäbchen gearbeitet.“

Die Logopädie kennt verschiedene Übungen – von Körperübungen, die unter anderem Koordination und Gleichgewicht fördern über Mundfunktionsübungen, die auch der Stärkung der Lippen-, Wangen- und Zungenmuskulatur dienen, bis zu Atemübungen, die nicht nur die Atmung verbessern, sondern auch Stimmstörungen mindern oder beheben sollen.

„Die Techniken der Logopädie sind so vielfältig wie ihr Einsatzgebiet“, erläutert Karin Pfaller, Präsidentin des Berufsverbandes Logopädie Austria. Eingesetzt wird Logopädie bei Störungen des Sprechens, der Sprache, der Stimme, des Schluckens, des Hörens. „Wir behandeln Frühchen mit Problemen bei der Nahrungsaufnahme genauso wie Kinder, die stottern oder lispeln, deren Sprachentwicklung verzögert ist oder die Legastheniker sind, Schauspieler mit Stimmproblemen genauso wie alte Menschen mit Schluckstörungen infolge einer neurologischen Erkrankung.“ Auch Menschen, die nach Schlaganfall oder Schädel-Hirn-Trauma die Sprache verloren haben, kann die Logopädie helfen.

„In der Logopädie ist es ganz wichtig, die Kommunikation zu erhalten, zu verbessern oder wieder herzustellen, so weit wie möglich“, ergänzt Rosemarie Paldele, Logopädin, Psychotherapeutin und Professorin am FH Campus Wien im Studiengang Logopädie – Phoniatrie – Audiologie. Zugewiesen werden die Patienten von Ärzten. „Der Logopäde entscheidet, welche Methoden und Übungstechniken beim jeweiligen Problem am meisten Erfolg versprechen. Es handelt sich dabei um wissenschaftsbasierte und evidenzorientierte Therapiekonzepte und Übungsverfahren. Behandlungsintensität und -frequenz werden individuell und bedarfsorientiert angepasst.“

Von den vielen Methoden seien nur einige geschildert: „Wenn Frühgeborene noch nicht schlucken können, setzen wir im Gesicht bestimmte, sanfte Reize und erleichtern so die Auslösung eines Schluckreflexes“, schildert Paldele. „Das erfolgt über sensomotorische Reize, da spielen Nerven, Muskeln und Gehirnregionen mit.“ Mit Patienten, die nach einem Schlaganfall die Sprache nicht mehr oder nur eingeschränkt verstehen oder Wörter und Sätze nicht mehr bilden können, werde am Sprachverständnis oder an der Sprechmotorik gearbeitet. In der logopädischen Behandlungs-Palette gibt es zudem noch Fitnesstraining für Lippen, Zunge, Gaumen und Stimmbänder, Atemtechnik, Schlucktraining, Artikulationsübungen und vieles mehr. „Durch muskuläres Training, Herstellung des korrekten Atemmusters, Regulierung von Haltung und Bewegung, Wiederholung systematischer Sprechabläufe, Aktivierung aller Sinne und vor allem durch Einbeziehung emotionaler Befindlichkeit kommt es zur Wiederherstellung der Kommunikationsfähigkeit.“ Aber auch in der Prävention, so Paldele, seien Logopäden tätig. „In Kindergärten und Schulen klären wir auf, wie Sprachentwicklung ablaufen sollte, Personen mit Sprechberufen, wie Lehrern und Schauspielern, geben wir Tipps, wie sie ihre Stimme gesund erhalten können.“ Ein Beispiel von vielen: Vor einer Sprechbelastung sollte man Milchprodukte meiden, da diese zu erhöhter Schleimbildung führen.

Frankl und die Logotherapie. Den Begriff Logopädie prägte übrigens der Wiener Mediziner Emil Fröschels 1913 mit seinem „Lehrbuch Sprachheilkunde (Logopädie) für Ärzte, Pädagogen und Studierende“. Ebenfalls ein Wiener war es, der die oft mit der Logopädie verwechselte Logotherapie entwickelte: Der Wiener Psychiater und Neurologe Viktor Emil Frankl (1905 bis 1997) war der Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse, die er aus drei philosophischen und psychologischen Grundgedanken ableitete (Freiheit des Willens, Wille zum Sinn, Sinn im Leben).

„Logotherapie ist eine anerkannte und sinnorientierte Form der Psychotherapie. Sie legt großen Wert darauf, dass der Mensch ein freies Wesen ist“, erklärt Alexander Batthyany, Psychologe, Professor und Leiter des Viktor-Frankl-Instituts in Wien. Gefühle wie Angst, Eifersucht, Kummer sollen einen Menschen und sein Handlungsmuster nicht diktieren können. „Der Mensch ist frei, nicht seine Angst, sondern er entscheidet“, detailliert Batthyany. „Wenn jemand ein musikalisches Talent hat, spielt ja auch nicht das Talent Klavier, sondern der Mensch selbst muss es bespielen. Ebenso wenig handelt die Angst, sondern die Person handelt mit der oder gegen die Angst. Hier ist ein großer Spielraum der Freiheit.“ Freilich, so der Fachmann, gebe es Menschen, die sich von ihrer Angst oder Eifersucht unterkriegen ließen, und je mehr man diesen Gefühlen nachgebe, desto stärker würden sie. „Logotherapie will die Fähigkeit vermitteln, sich davon zu distanzieren und wieder selbst entscheiden zu können.“

Ebenso wichtig ist es für Logotherapeuten, dem Menschen ein Rüstzeug in die Hand zu geben, dass er die Sinnhaftigkeit seines Daseins und des Lebens für sich selbst erkennt. „Er soll feinfühlig werden für den Sinn des Augenblicks und eine gewisse Begeisterung für das Leben entwickeln.“ Die ist vielen abhanden gekommen in einer schnelllebigen, hochtechnisierten, narzisstischen und leistungsorientierten Powerwelt wie der heutigen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.01.2014)

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