Gesundheitsreform: Die Hausärzte fürchten ihre Entmachtung

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Ein brisanter Entwurf für die neue Primärversorgung versetzt die Ärztekammer in Aufruhr: Es soll Einzelverträge und pauschale Bezahlmodelle geben. Außerdem könnten Pfleger gewisse ärztliche Tätigkeiten übernehmen.

Wien. Bis vor Kurzem war es ruhig gewesen, ungewöhnlich ruhig, verdächtig ruhig für gesundheitspolitische Verhandlungen. Als hätte man sich die heiklen Punkte bis zum Schluss aufgehoben: Die Frage der Berufsrechte, der Kassenverträge und, nicht zuletzt, der Bezahlung.

Ende Juni muss das Konzept für die neue Primärversorgung in Österreich fertig sein. So steht es im Vertrag für die Gesundheitsreform, den Bund, Länder und Sozialversicherungen gemeinsam aufgesetzt und unterzeichnet haben. Sämtliche Gesundheitsorganisationen sind in den Prozess eingebunden, auch die Ärztekammer, die sich konstruktiv wie selten zuvor einzubringen schien. Bis vor Kurzem.

Mit der Ruhe ist es nun vorbei. Ende Mai legten die Geldgeber im Gesundheitssystem, also Bund, Länder und Kassen, einen Entwurf vor – und versetzten die Ärzte damit in Aufruhr. Die Wiener Ärztekammer malte am Freitag vor Pfingsten bereits die „Zerstörung der hausärztlichen Versorgung“ an die Wand und drohte mit Streik. Aus guten Gründen, wie sie meint:

Berufsrechte: Im Mittelpunkt der neuen Primärversorgung stehen Netzwerke: Verschiedene Gesundheitsdienstleister sollen zusammenarbeiten, entweder unter einem Dach oder dezentral, aber jedenfalls mit verbindlichen Kooperationsverträgen. Das Kernteam besteht aus einem Allgemeinmediziner, einem diplomierten Krankenpfleger und einem Ordinationsassistenten. Wobei der Gesetzgeber auch Zusatzkompetenzen vorschreiben will: Die Versorgung von Kindern und älteren Personen, psychosoziale Dienste und Prävention.

Wenn das Kernteam diese Bereiche nicht abdecken kann, muss das Netzwerk entsprechend erweitert werden. Je nach Bedarf können dann weitere Berufsgruppen eingebunden werden: Diätologen, Sozialarbeiter, Physiotherapeuten etc.

Die Hausärzte fürchten nun ihre Entmachtung, da sie innerhalb des Netzwerks keine Sonderstellung haben sollen. Sie koordinieren zwar weiterhin die Behandlung des Patienten, sind aber gleichberechtigte Partner. Denn die Entscheidungen sollen, anders als in der Einzelordination, im Team getroffen werden.

Darüber hinaus müssen die Ärzte gewisse Aufgaben delegieren – im Konzept ist von „ärzteentlastenden Tätigkeiten“ die Rede: Krankenpfleger sollen chronisch Kranke künftig eigenständig betreuen. Und auch die Ordinationsassistenten könnten für „unterstützende Tätigkeiten bei der Patientenbehandlung“ herangezogen werden. Damit wollen Bund, Länder und Kassen etwas gegen den fortschreitenden Landärztemangel unternehmen.
Kassenverträge: Bis 2016 muss die neue Struktur in allen Bundesländern umgesetzt werden. In der Anfangsphase will man Hausärzte zum Umstieg in ein Netzwerk motivieren – mit Anreizen, die vorerst noch nicht näher definiert sind.

„Mittel- bis langfristig“ sollen Kassenverträge allerdings nur noch an Allgemeinmediziner vergeben werden, die bereit sind, in einem Netzwerk zu arbeiten, heißt es in dem Entwurf. Für Einzelordinationen würden dann die Gesamtverträge nicht mehr gelten, also jene Verträge zwischen Sozialversicherungen und Ärztekammer, die – einem Kollektivvertrag ähnlich – regeln, welcher Arzt in welcher Region einen Kassenvertrag bekommt.

Während sich die Bundesärztekammer vorerst nicht dazu äußern wollte, sprach die Wiener Standesvertretung bereits von einer „Schwächung der Ärztekammer“. Würden nur mehr Einzelverträge mit den Ärzten abgeschlossen, wäre die Kammer tatsächlich weitgehend entmachtet: Sie hätte keinen Einfluss mehr auf die Honorierung.

Bezahlung: Wobei das Honorierungssystem ohnehin zur Debatte steht. Im Reformkonzept wird empfohlen, dass die Gesundheitsnetzwerke überwiegend durch „Budgets und Pauschalen“ entlohnt werden. Mit anderen Worten: Die Einzelleistungsvergütungen sollen reduziert werden. Dafür sind Bonuszahlungen geplant, die an bestimmte Ziele gekoppelt werden. Für die Ärztekammer ist auch das ein Casus Belli.

Stöger: Nur „Zwischenpapier“

Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ) versuchte am Donnerstag zu kalmieren. Man solle dieses Konzept nicht überbewerten, es handle sich um ein „Zwischenpapier“, das politisch noch nicht abgestimmt sei, ließ er der „Presse“ über seinen Sprecher ausrichten. Die finalen Verhandlungen fänden nämlich erst diese und nächste Woche statt.

Nur so viel könne man vorwegnehmen: Der Gesamtvertrag mit der Ärztekammer stehe definitiv nicht zur Debatte. Und auch sonst sei man um konsensuale Lösungen mit den Ärzten bemüht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.06.2014)

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