Das Nichtstun erhöht den Schmerz

Röntgenbild Wirbelsäule
Röntgenbild WirbelsäuleClemens Fabry
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Doppelt so viele Männer wie Frauen sind von der rheumatischen Erkrankung Morbus Bechterew betroffen. Sie beginnt meist in jungen Jahren und kann im schlimmsten Fall mit einer Versteifung der Wirbelsäule enden.

Ein schlanker, sportlicher Mann, der ordentlich zupacken kann. Der 35-Jährige ist Landwirt im steirischen Vorau, baut Getreide an, mäht, sät, versorgt das Milchvieh, leistet mitunter Schwerarbeit. Vor rund zehn Jahren jedoch schien es, als müsste Johann Pinter vieles aufgeben, konnte nicht einmal mehr richtig gehen. „Auf einmal hatte ich einen stechenden Schmerz im Beckenbereich, wie wenn ein Nerv eingeklemmt wäre“, erinnert sich der Steirer. „Es fühlte sich an, als würde man mir das Becken sprengen, am allerschlimmsten war es nach dem Aufstehen in der Früh. Wenn ich Bewegung gemacht hatte, wurde es ein bisschen besser.“ Immer wieder wachte Pinter gegen vier, fünf Uhr früh mit wahnsinnigen Kreuzschmerzen auf. „Allein das Umdrehen hat so große Schmerzen verursacht, dass ich oft aufgewacht bin. Dann musste ich aufstehen, im Liegen war der Schmerz schier unerträglich.“

„Kreuzschmerz“, so Thomas Schwingenschlögl, Rheumatologe in Wiener Neudorf, „der besonders am Morgen oder in den frühen Nachtstunden stark bis extrem ist und der durch Bewegung ein wenig nachlässt, ist ein Frühzeichen und überhaupt ein typisches Merkmal für Morbus Bechterew“. Diese Krankheit, in internationalen medizinischen Fachkreisen Spondylitis ankylosans genannt, wird vom Volksmund mitunter als „entzündlicher Kreuzschmerz“ bezeichnet. Er wird – anders als beispielsweise degenerative Kreuzschmerzen – bei Belastung besser und beim Nichtstun schlechter.


Gegen den eigenen Körper. Eine Entzündung ist bei Morbus Bechterew, einer Krankheit des rheumatischen Formenkreises, immer vorhanden. Es handelt sich um eine Autoimmunkrankheit, eine Überreaktion des Immunsystems, das sich gegen den eigenen Körper richtet. Entzündungen treten daher auch an anderen Stellen im Körper auf. „Bis zu 50 Prozent der Betroffenen haben auch eine Augenentzündung, 40 Prozent leiden auch an schmerzhaften Entzündungen an Hüften, Knien und Schultern.“ Darmentzündungen kommen ebenfalls oft vor, es können auch Organe wie Herz oder Lunge betroffen sein.

Über den genauen Auslöser weiß man wenig. „Es ist eine Störung des Immunsystems, aber die Hintergründe kennt man nicht.“ Möglicherweise begünstigen andere Krankheiten wie Infektionen oder psychische Belastungen den Ausbruch von Morbus Bechterew. Der ist nicht, wie man noch vor wenigen Jahren angenommen hat, eine reine Männerkrankheit. „Das Verhältnis Mann zu Frau ist etwa zwei zu eins“, so Schwingenschlögl. Bei Frauen verläuft die Krankheit jedoch viel milder, sodass viele Fälle erst gar nicht erkannt werden. Bei Männern – der Altersgipfel des Krankheitsbeginns liegt übrigens zwischen dem 20. und 35. Lebensjahr – droht im Falle keiner oder einer falschen Behandlung eine Verknöcherung der Wirbelsäule. Je nach Schweregrad und Verlauf der Erkrankung kann das zwei bis 30 Jahre dauern, kann die Wirbelsäule teilweise oder komplett versteift sein.

„Im letzteren Fall können sich Betroffene nicht mehr bücken, können nicht mehr am Bauch liegen, den Hals kaum mehr drehen oder gehen bis zu 45 Grad vornübergebeugt.“ Im Schnitt dauert es fünf bis sieben Jahre, ehe das Leiden richtig diagnostiziert wird, mitunter sind es auch 15 Jahre und mehr. Johann Pinter hatte da fast noch Glück, bei ihm wurde die Krankheit bereits gut ein Jahr nach Ausbruch erkannt. Anfangs hat Pinter ein halbes Jahr nichts unternommen, ehe er seinen Hausarzt aufsuchte. Der fand nichts und der damals rund 25-jährige Patient lebte weiter nach dem Motto: Was selbst gekommen ist, wird auch selbst wieder vergehen. Doch die Schmerzen vergingen nicht. „Manchmal konnte ich mich am Morgen fast drei, vier Stunden kaum bewegen, wegen der extremen Schmerzen und auch, weil ich die ersten paar Stunden nach dem Aufstehen ziemlich steif war. Manchmal war ich auch fast wie gelähmt.“

Keine Erbkrankheit.
Der junge Mann ging zu einem anderen Arzt. Der veranlasste korrekterweise eine spezielle Blutuntersuchung sowie eine Magnetresonanztomografie. „Bei mehr als knapp 90 Prozent der Betroffenen ist der genetische Marker HLA-B 27 im Blut positiv, aber Morbus Bechterew ist keine Erbkrankheit“, erklärt der Rheumatologe. „Im Röntgen sieht man eine Veränderung häufig erst sehr spät im Krankheitsverlauf, das MRT bringt viel früher Befunde, noch bevor ein gravierender Schaden da ist.“

Bei Patient Pinter wurde also mittels Bluttest und MRT Morbus Bechterew diagnostiziert, ein schmerzlinderndes Medikament verschrieben. „Die Schmerzen wurden wohl weniger, aber die Krankheit wurde nicht besser. Ich konnte oft nicht richtig gehen, ich fühlte mich, als wären Kreuz und Beine eingegipst. Meine Frau und Freunde sagten, ich ginge wie ein 70-Jähriger.“

Therapie gefunden.
Zwei, drei Jahre machte Johann Pinter so weiter. „Es waren keine schönen Jahre, Jahre voller Einschränkungen.“ Dann kam er über einen Zeitungsbericht zu Schwingenschlögl. Der verordnete ihm Biologika.

Der Steirer ist heute „ein neuer Mensch“. Er geht gerade, kann seine sportlichen Hobbys – Radfahren, Schwimmen, Skifahren – wieder problemlos ausüben und wild mit seinen zwei Kindern, sechs und acht Jahre alt, über die Wiese toben. „Ich stehe in der Früh auf, als wenn nichts wäre, ich kann wieder alles machen. Wenn mir einer sagt, dir fehlt nichts, dann glaube ich das sofort. Obwohl ich weiß, dass Morbus Bechterew nicht heilbar ist. Aber ich fühle mich gesund, das ist ein gutes Gefühl.“

TIPPS

Bewegung. Geeignete Sportarten für Morbus-Bechterew-Patienten sind unter anderem Rückenschwimmen, Wandern, Skilanglauf.

Zu meiden sind Tätigkeiten, bei denen man längere Zeit nach vorne gebeugt ist.

Rat und Hilfe gibt es bei der Österreichischen Vereinigung Morbus Bechterew, Telefon und Fax. +43/(0)1/ 332 28 10 sowie mobil +43/(0)676/406 44 28, www.bechterew.at

Weitere Infos unter www.dr-schwingenschloegl.at

Morbus Bechterew ist eine entzündliche Rheumaform, die unbehandelt mit der Verknöcherung der Wirbelsäule enden kann. Typisch ist, dass sich der Schmerz in Ruhe verstärkt, bei Bewegung jedoch kleiner wird. Doppelt so viele Männer wie Frauen sind betroffen, der Gipfel des Erkrankungsbeginns liegt zwischen 20 und 35 Jahren. Insgesamt haben etwa 0,3 bis 1,4 Prozent der Österreicher einen diagnostizierten Morbus Bechterew, die Dunkelziffer dürfte mindestens das Doppelte betragen.

Bewegung wichtig. Eckpfeiler jeder Therapie ist Gymnastik: Eine spezielle Bechterew-Gymnastik sowie andere Bewegungsarten (Schwimmen, Tanzen, Nordic Walking) sind ein genauso wichtiger Bestandteil der Therapie wie Medikamente und beeinflussen den Krankheitsverlauf stark.

Bei der konventionellen medikamentösen Therapie kommen oft nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) zum Einsatz. Sie sind symptomlindernd, entzündungshemmend und schmerzstillend, haben aber auf den Verlauf der Erkrankung keinen positiven Einfluss – dennoch sind sie vor allem bei Schmerzschüben unverzichtbar.

Biologika und Heilstollen. Anders die neuere Medikamentengeneration der Biologika, die als Injektion oder Infusion verabreicht werden. „Damit gibt es zum ersten Mal eine Therapie, die Morbus Bechterew komplett zum Stillstand bringen und etwa eine Versteifung der Wirbelsäule verhindern kann“, betont Rheumatologe Thomas Schwingenschlögl. Ob eine Verknöcherung endgültig ausgeschlossen werden kann, ist allerdings noch Inhalt von Untersuchungen. Es gibt noch keine relevanten Langzeitergebnisse dazu. Ein definitiver Nachteil dieser Medikamentengruppe ist ihr hoher Preis von rund 1000 € im Monat (die Therapie ist meist lebenslänglich nötig).

Der Gasteiner Heilstollen ist das weltweit größte Therapiezentrum für Bechterew-Kranke. Studien und Erfahrungsberichten zufolge können Radon und Wärme (Low-Dose-Radon-Hyperthermie-Therapie) Schmerzlinderung und Entzündungshemmung von sechs bis zwölf Monaten bringen. Ob auch eine Versteifung der Wirbelsäule verhindert wird, ist noch nicht geklärt.

Böse Fette, gute Öle.
Eine eigene Bechterew-Diät gibt es nicht, empfehlenswert aber ist eine mediterrane Kost mit viel Fisch, Gemüse, Obst, wenig magerem Fleisch. Tierische Fette und zu viel Zucker sind schlecht, da sie entzündungsfördernd wirken, Fischöle (Omega-3-Fettsäuren) können Entzündungen indes eindämmen. Rauchen hat einen sehr schlechten Einfluss auf die Erkrankung.

Auch komplementärmedizinische Therapien haben einen Stellenwert. Ob Akupunktur, Homöopathie oder Magnetfeldtherapie, sie werden am besten komplementär, also zusätzlich zur Schulmedizin, angewandt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.08.2014)

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