Boogie und Polka gegen Burn-out und Fett

In der Tanzschule Arthur Murray in Wien beugt man bei fröhlichen Rhythmen einem Burn-out vor.
In der Tanzschule Arthur Murray in Wien beugt man bei fröhlichen Rhythmen einem Burn-out vor.Stanislav Jenis
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Tanzen ist Jogging für das Gehirn, aber auch Sexualität, Stimmung, Ausdauer, Muskulatur und Knochen profitieren. Die Bewegung auf dem Parkett macht sogar den Besuch eines Fitnesscenters überflüssig.

Das Tanzen erspart ihr seit Jahren das Krankenhaus. Bis vor vier Jahren war sie immer wieder krank und jedes Jahr mindestens einmal in einem Spital – kein einziges Mal mehr, seit sie regelmäßig sportelt und das Tanzbein schwingt. Heidi Schaller, 42, Mutter von zwei Kindern, sieben und elf Jahre alt, und geschäftsführende Hoteldirektorin der drei Werzer Hotelbetriebe am Wörthersee, hat mit Samba und Sport ihre stressbedingten Krankheiten kuriert. „Vorher habe ich mich wenig bewegt, weil ich glaubte, keine Zeit zu haben.“ Bei zwei Kindern, drei Hotels mit 400 Betten und 170 Mitarbeitern bleibt einem auch wirklich wenig Zeit. Deswegen tanzt die zweifache Mutter bereits um fünf Uhr Früh, fast täglich. Der Lohn dafür: Statt Krankenhaus und Tabletten Gesundheit und Wohlgefühl. „Ich trainiere verschiedene Schritttechniken, bin da meilenweit vom Jobstress entfernt und nehme Gelassenheit und Frische mit in den Tag.“ Einmal pro Woche perfektioniert Heidi Schaller ihr tänzerisches Können mit Andy Kainz.

Andy Kainz, bekannt aus der ORF-Show „Dancing Stars“, weiß es aus langjähriger Erfahrung: „Frauen erlangen durch das Tanzen häufig ein anderes Körper- und mehr Selbstbewusstsein.“ Und für beide Geschlechter gilt: Beim Tanzen purzeln nicht nur ordentlich die Kilos, es werden auch Bauch-, Rücken- und Beinmuskulatur trainiert. „Das wird aber nicht als anstrengend empfunden“, erklärt Kainz.

Die Merkfähigkeit steigt. Hans Holdhaus, Direktor des Instituts für medizinische und sportwissenschaftliche Beratung, High Performance Center Südstadt, hat Studien zum Tanz gemacht: „Die intensiven Bewegungen, sowohl bei Standardtänzen als auch bei Latino-Varianten, machen sogar den Besuch eines Fitnesscenters überflüssig.“ Tanzen fördert aber nicht nur Fitness, Kondition und gute Haltung, sondern auch Ausdauer, Anmut, Geschicklichkeit sowie Merkfähigkeit und Gedächtnisleistung. Denn das Lernen von Schrittkombinationen und Figurenfolgen im rhythmischen Zusammenhang schult das Gedächtnis besonders intensiv. Beinbewegung auf dem Parkett ist also auch Jogging für das Gehirn.

Boogie und Polka können aber noch viel mehr: „Viele können beim Tanzen endlich wieder loslassen, endlich wieder abschalten. Cha-Ch-Cha und Co. sind wirklich hervorragend gegen Stress“, so Andy Kainz, „man müsste es fast auf Rezept bekommen.“

„Tanzen ist auch eine ideale Methode der Burn-out-Prophylaxe“, sagt Elke Doppler-Wagner, diplomierte Trainerin für Stressmanagement und Burn-out-Prophylaxe, die in der Tanzschule Arthur Murray in Wien immer wieder Aktiv-Workshops für die Vermeidung von Burn-out, Stress und Depression mitveranstaltet. „Menschen mit viel Stress verlieren sehr häufig den Bezug zu ihrem Körper, sie spüren sich nicht mehr, haben den Draht zum eigenen Selbst verloren. Das ist schon ein ernst zu nehmendes Warnzeichen, da sollte man gegensteuern. Mit Tanzen ist das möglich, es stellt den Kontakt zum eigenen Körper wieder her.“ Man würde sich dann selbst wieder mehr schätzen, mehr auf sich achten, mehr für sich selbst tun und sich selbst aus der Sklaverei von Mails und Meetings befreien.

Gemessen wurde der Stresspegel unter anderem im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie mit Tango Argentino: Der sinnliche Tanz lässt das Level der Stresshormone sinken, erhöht wird jedoch – bei Mann und Frau – die Ausschüttung des Sexualhormons Testosteron. Tanz fördert also Erotik und Paarbeziehung. Wie sagte Georg Bernard Shaw? „Tanz ist die senkrechte Ausdrucksform horizontaler Begehrlichkeiten, legalisiert durch Musik.“ Und Andy Kainz sagt in Richtung Männer: „Gute Tänzer wirken sehr attraktiv auf Frauen. Zudem verbessert Tanzen erwiesenermaßen die Befindlichkeit und beflügelt die Sinne.“ In der Leichtigkeit von Dreivierteltakt und Samba-Feuer stecken aber noch weitere Trainingseffekte: Rhythmusfähigkeit, Orientierung im Raum, Gelenkigkeit und Reaktionsfähigkeit werden geschult und verbessert, beide Hirnhälften trainiert.

Mehr Lebensfreude. Eine weitere Variante der Tanz-Positiva bringt Birgit Jung, Direktorin in der Tanzschule Arthur Murray, ins Spiel: „Nach einer Stunde voller Rhythmus und Bewegung sieht man viele Probleme von einer anderen Seite und findet neue Lösungen.“ Ein gutes Training für die seelische und freilich auch körperliche Fitness sowie zur Burn-out-Prävention sei das lateinamerikanische Programm Core Rhythms. „Das ist für fast jedes Alter möglich, wir haben auch einige Kursteilnehmer, die über 80 sind.“

Apropos Alter: 70-jährige Männer und Frauen, die regelmäßig tanzen, sind geschickter, haben mehr Lebensfreude, gleichzeitig seltener Durchblutungsstörungen und Hüftleiden. Außerdem werden bei Wiegeschritt und Walzertakt Stoffe produziert, die die Gelenke geschmeidig halten. Die rhythmische Arznei ist aber auch Sturzprävention, beugt Wirbelsäulenproblemen und Osteoporose vor und kann zudem mehreren Studien zufolge den Ausbruch der Alzheimer-Krankheit hintanhalten. „Die Verbindung von Bewegung, sozialer Interaktion und Freude ist eine der besten Schutzmöglichkeiten gegen eine Demenzerkrankung“, betont Christoph Gisinger, Institutsdirektor im Haus der Barmherzigkeit. Im Haus in der Wiener Tokiostraße wird einmal im Monat zum therapeutischen Demenz-Tanzcafé gebeten. Gisinger: „Tanz steigert bei Demenzpatienten die kognitive Leistung und hellt ihre Stimmung auf.“

Auch das Herz liebt Walzer: Italienische Wissenschaftler und Ärzte haben eine Gruppe von Herzpatienten regelmäßig Walzer tanzen lassen, eine andere sportelte auf dem Laufband und Fahrrad. Tanzen brachte hinsichtlich Kondition und Sauerstoffaufnahme mehr. Aber auch Schlaf, Stimmung und Sexualität profitierten. Tänzer bessern also nebenbei ihr Herz-Kreislauf-System, ihr Sexualleben und ihre Laune.

„Die Stimmung bessert sich auch deshalb, weil beim Tanzen erwiesenermaßen Glückshormone ausgeschüttet werden. Das Lustgefühl für den eigenen Körper und für die Bewegung wird gesteigert. Während des Tanzens gibt es keinen Liebeskummer und keine Geldsorgen“, erklärt Lua Virtual, Tanzpädagogin in Wien.

Was kann Tanztherapie? „Über kreatives Tanzen lassen sich hervorragend Blockaden lösen, auch das Selbstbewusstsein wird gesteigert“, sagt Veronika Fritsch, Obfrau des österreichischen Berufsverbandes für Tanztherapie. „Man darf sich das aber bitte nicht als Tanzstunde vorstellen, wo etwas vorgegeben wird. Es wird schon getanzt, nur geht es da nicht um Schrittfolgen, sondern um Rhythmus und individuellen Ausdruck. Der Therapeut inspiriert, der Klient tanzt so, wie er will, wie er fühlt.“ Es ginge dabei auch sehr stark darum, die positiven Anteile in einer Person sowie die psychische Stabilität zu stärken, „es geht um Kreativität, Ausdruck, Freude, positives Lebensgefühl“. Was den Unterschied zum bloßen Tanz ausmacht, ist neben der Freiheit der Bewegung die Reflexion in einem anschließenden Gespräch.

„Körper- und Bewegungsübungen ermöglichen einen anderen Zugang zu sich selbst. Tanztherapie ist demnach nicht nur Therapie, sondern neue Selbsterfahrung und sehr effektive Burn-out-Vorbeugung“, ergänzt Sanja Pastar, Tanz- und Physiotherapeutin sowie Sportwissenschaftlerin, die seit vielen Jahren im Hotel und Spa Der Steirerhof in Bad Waltersdorf arbeitet und dort auch Tanztherapie anbietet.

Geeignet ist diese bewegte Behandlung unter anderem auch für Menschen mit psychosomatischen Problemen, mit Burn-out, Essstörungen. „Es gibt auch eine spezielle Tanztherapie für Krebspatienten. Sie soll dabei helfen, das Trauma der Erkrankung über kreative Arbeit im Tanz zu bewältigen“, sagt Fritsch. Außerdem wird auch das positive Lebensgefühl gefördert. Und dazu ist jeder Tanz per se imstande. Taktvoller und fröhlicher kann Medizin nicht sein.

ADRESSEN & TERMINE

Antistress. „Burn the floor“, ein Tanz-Workshop zur Verminderung von Stress, findet bei Arthur Murray, The Social Dance Academy, am 29.November von 10.00 bis 12.00 Uhr statt. Mit dabei: Elke Doppler-Wagner, diplomierte Trainerin für Stressmanagement und Burn-out-Prophylaxe, und Birgit Jung, Direktorin der Tanzschule Arthur Murray (45 Euro). www.arthurmurray.at

Weitere Adressen:

www.tanztherapie.at

www.andyandkelly.com

www.burnout-vorsorgeaktiv.at

www.dersteirerhof.at (eine Einheit Tanztherapie um 70 Euro).

www.luavirtual.at

www.werzers.at (immer wieder Tanzwochenenden mit Andy und Kelly Kainz).

LEXIKON

Tanz und Figur: Wer eine Stunde lang Walzer tanzt, verbraucht 300 bis 400 Kalorien, beim Tango sind es 400 bis 500 und bei Rock 'n' Roll 500 bis 600.

Tanz und Therapie: Die Tanztherapie ist keine anerkannte Psychotherapie, sondern eine begleitende Maßnahme mittels Tanz, Bewegung und verbaler Reflexion. Ziele sind unter anderem: Förderung der Körperwahrnehmung und Steigerung des Selbstbewusstseins. Einsatzbereiche zum Beispiel (als Begleittherapie): psychosomatische Beschwerden, Angst- und Essstörungen, Lebenskrisen, Burn-out, Herzrhythmusstörungen, Suchtbehandlung, Osteoporose.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.11.2014)

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