Das schwierige Reden über eine Fehlgeburt

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Über manche Dinge spricht es sich nicht so leicht. Etwa darüber, dass man sein Kind verloren hat. Eine Fehlgeburt muss kein Tabuthema sein.

„Ich habe an alles gedacht. Wer wird wann in Karenz gehen? Wie werden sich die Rollenbilder in der Partnerschaft verändern? Wer wird uns wie unterstützen? Nur an eines habe ich nie gedacht – dass ich eine Fehlgeburt haben könnte.“ Auch als Susi Scheucher Mitte April mit Schmerzen in die Ambulanz kam, dachte sie noch nicht, dass etwas schiefgegangen sein könnte. Erst als die Ärzte keinen Herzschlag in ihrem Bauch registrierten, wurde ihr bewusst, was geschehen war. Das kleine Wesen, das in ihr herangewachsen war, war tot. Gerade einmal 4,12 Zentimeter groß war es in den 13 Wochen ihrer Schwangerschaft geworden.

Ein Schock. Ein Gefühl der Ohnmacht. Viele Tränen. Und die Frage, ob man vielleicht etwas falsch gemacht hat. Fehlgeburt – da steckt „Fehler“ drin. Ein Fehler, den in der sprachlichen Logik irgendjemand gemacht haben muss. „Das darf man nicht“, hatten viele gesagt, als sie gleich zu Beginn von ihrer Schwangerschaft erzählte. „Nicht vor dem dritten Monat.“ Aber es war ihr egal gewesen. Zu groß war die Freude, das Bedürfnis, anderen von ihrem Glück zu erzählen. Auch nach der Fehlgeburt hatte sie das Bedürfnis, darüber zu sprechen. Über ihre Enttäuschung. Ihre Hilflosigkeit. Ihre Trauer. Und dass sie unmittelbar nach der Diagnose gleich zur Ausschabung des Fetus da bleiben musste.

Darüber reden. Tut man das? Bei zehn bis 20 Prozent aller Schwangerschaften kommt es noch vor der 20. Woche zu einer Fehlgeburt. Die Wahrscheinlichkeit, eine Frau zu kennen, die eine derartige Erfahrung machen musste, ist also nicht so gering. Und doch ist es oft so, dass mehr hinter dem Rücken der Betroffenen getuschelt wird. Da war doch etwas. Kann es sein, dass sie das Kind verloren hat? Reden wir sie lieber nicht darauf an, wer weiß, ob sie das möchte.

Es hat etwas von einem Tabu. Etwas, worüber nicht einfach so gesprochen wird. Der Tod eines Partners, eines Familienmitglieds – da ist klar, was passiert. Mein Großvater ist gestorben. Ein betroffener Blick, ein fester Händedruck. Mein herzliches Beileid. Doch beim eigenen Kind, das noch gar nicht auf der Welt war. Ein Embryo, ein Fetus, eine Leibesfrucht. Wie soll man darüber sprechen, wenn man noch nicht einmal weiß, wie man dieses kleine Lebewesen nennen soll, das gerade gestorben ist, noch ehe man es kennenlernen konnte?

Einsame Erfahrung

„Es ist eine einsame Erfahrung“, schrieb Mark Zuckerberg vor einigen Tagen. „Die meisten Menschen trauen sich nicht, über Fehlgeburten zu sprechen, weil sie denken, dass sie selbst an dem Verlust schuld sein könnten.“ Das wolle er ändern, schrieb der Facebook-Gründer. Und enthüllte, dass seine Ehefrau bereits drei Fehlgeburten erlitten hatte. Ein Ansporn sollte es sein, auf dass auch andere Menschen über dramatische Erfahrungen wie diese offen sprechen. Klar, gerade soziale Netzwerke wie Facebook leben ja davon, die eigenen Erfahrungen mit anderen zu teilen. Nur dass ein Gruß aus dem Urlaub oder ein Foto vom Mittagessen dann doch eine andere Dimension hat, als wenn man gerade sein Kind verloren hat.

Und doch gibt es bei all der Unsicherheit und Tabuisierung offenbar ein Bedürfnis betroffener Menschen, über ihre Erfahrungen zu sprechen, sich mit anderen auszutauschen. In unzähligen Internetforen vernetzen sich Frauen, die eine Fehlgeburt erlitten haben. In Selbsthilfegruppen treffen Betroffene einander und versuchen, über ihren Schmerz hinwegzukommen. „Manche kommen gleich“, sagt Claudia Weinert, Obfrau der Gruppe Regenbogen, „manche erst nach Jahren.“ Es gebe viele Verdrängungsstrategien, mit denen man das Erlebte in ein Hinterstübchen schiebt. „Aber es holt einen in der Regel ein.“

Einmal im Monat veranstaltet der Verein ein Treffen. Fünf bis zehn Betroffene sind im Schnitt dabei. Früher fast ausschließlich Frauen, heute auch vermehrt Paare. Sterneneltern werden sie genannt, jene Menschen, die ihr Kind während der Schwangerschaft verloren haben. Durch eine Fehlgeburt, wenn der Fetus noch unter 500Gramm wiegt. Oder durch eine Totgeburt zu einem späteren Zeitpunkt der Schwangerschaft.

Man setzt sich dann zusammen, entzündet Kerzen. Es gibt ein kurzes Ritual, etwa das Vorlesen eines Gedichts. Man kann sich den anderen vorstellen, muss aber nicht. „Dann ergibt es sich von selbst, wie der Abend weiter verläuft“, sagt Weinert. „Manchmal wird viel geweint, manchmal aber auch gelacht.“ Was paradox klingen mag – aber auch das Lachen beim Erinnern an schöne Erlebnisse kann ein Schritt zur Verarbeitung sein. Wobei es nicht den einen Weg gibt, der allen gleichermaßen hilft. Die einen fühlen sich in der Gruppe geborgen, die anderen suchen lieber ein Gespräch mit Psychotherapeuten. Der Verein bietet auch Kontakte für betroffene Sternenväter an – die dann etwa gemeinsam mit einem ebenfalls Betroffenen auf ein Bier gehen, um über ihre Trauer zu sprechen.

„Mir hilft Reden“, sagt Petra Lichtenberger. „Auch von meiner Profession her – ich bin Psychotherapeutin – weiß ich das.“ Die 41-Jährige hat gleich zweimal die Erfahrung machen müssen, ihr Kind zu verlieren. „Meine erste Tochter, Katrin, wäre am 1. Juli fünf Jahre alt geworden.“ Die Schwangerschaft selbst war problemlos verlaufen, dann ging die Geburt los – zunächst etwas schleppend, aber nicht ungewöhnlich. Plötzlich aber wurde die Hebamme nervös, meinte, dass man die Herzschlagfrequenz des Kindes messen müsse. Dann wurde die Gebärende vom Geburts- in ein Krankenhaus verlegt. „Alle haben sich in einem Raum versammelt, Ärzte und Schwestern. Ihnen war das sehr unangenehm. Irgendwann habe ich dann gefragt, ob das Kind tot ist. Dann haben sie genickt.“ Selbst den Professionisten fiel es schwer, die richtigen Worte zu finden. Ihr zu sagen, dass das Baby gestorben war.

Ein Kind begraben

Die Geburt ging dennoch weiter – nur, dass das Kind, als es da war, nicht lebte. „Wir haben sie gebadet, angezogen, willkommen geheißen. Und mussten sie auch gleich wieder verabschieden.“ Es war eine surreale Situation für sie und ihren Mann. „Da hat man neun Monate ein Kind im Bauch, daheim ist alles hergerichtet – und dann kommt man ohne Baby nach Hause. Statt ein Baby zu stillen, mussten wir Beerdigungsinstitute abklappern.“ Darüber zu reden war für sie wichtig. Sie schickte Mails an Freunde und Verwandte – mit einem Foto des Babys. Und bekam viel Unterstützung und tröstende Worte.

Wobei das persönliche Gespräch auch etwas war, vor dem sie Angst hatte. Vor der Frage auf der Straße, ob das Baby schon da ist. Und vor den Reaktionen der Menschen, denen sie dann sagen musste, was passiert war. „Es ist schwierig, mit dem Nichtaushalten der Menschen umzugehen.“ So zog sie sich im ersten Monat sehr zurück, ging kaum auf die Straße. Auch deswegen, weil sie Angst davor hatte, jemanden mit Kinderwagen zu sehen. Oder schwangere Frauen: „Da hat jemand etwas, das du nicht hast.“

Es dauerte eine Zeit, bis Petra Lichtenberger den Verlust der Tochter so weit verarbeitet hatte, dass sie einen weiteren Anlauf wagte. Etwa ein halbes Jahr später wurde sie wieder schwanger. „Ich war hoffnungsfroh und guter Dinge, denn ich habe gedacht, so etwas kann nicht noch einmal passieren.“ Dann kam der erste Termin beim Frauenarzt – in der 8. Woche. „Da war plötzlich auch kein Herzschlag mehr.“ Auch das zweite Kind, das sie zur Welt bringen wollte, war gestorben. „Ich habe mich gefragt: Wird uns das immer passieren? Kann ich nur tote Kinder zur Welt bringen?“

Neue Hoffnung

In dieser Situation dachte sie lang nach, ob sie es noch einmal versuchen sollte. Und obwohl ihre Hoffnung zweimal so enttäuscht worden war, beschlossen sie und ihr Mann, nicht aufzugeben. Zwei Monate später war Petra Lichtenberger wieder schwanger. „Ich hatte sehr viele Ängste“, sagt sie. Was, wenn es wieder nicht klappen würde? All die aufmunternden Worte wie „aber diesmal wird nichts passieren“ – sie wollte sie nicht hören.

Neun Monate später kam Marie gesund zur Welt. Ohne Probleme. Auch die nächste Schwangerschaft verlief problemlos. Für Petra Lichtenberger ist es also am Ende gut ausgegangen. „Ich weiß von Frauen, die dieses Glück nicht hatten und dann keine Kinder geboren haben. Das verändert noch einmal das Gewicht, das man trägt. Ich habe ja jetzt Kinder.“

Für Susi Scheucher läuft die Aufarbeitung nach ihrer Fehlgeburt im April noch. „Es hat mich jedenfalls nachdenklicher gemacht.“ Nachdenklich im Hinblick auf das Leben. Aber auch wegen so mancher Reaktion auf ihre Erfahrung: „Viele haben sehr unbeholfen reagiert. Haben gesagt, dass ich es gleich noch einmal versuchen soll. Mir wäre lieber gewesen, sie hätten einfach gar nichts gesagt.“

Begriffe

Fehlgeburt. Eine vorzeitige Beendigung der Schwangerschaft, bei der das Kind unter 500 Gramm wiegt. Ist es schwerer, spricht man von einer Totgeburt. In der Regel wird dieses Gewicht ab der 22. Woche der Schwangerschaft erreicht.

Vollständiger Abort. Der Embryo oder Fetus (ca. ab der 11.Schwangerschaftswoche) wird komplett aus der Gebärmutter ausgestoßen. Verbleiben noch Teile des Mutterkuchens, spricht man von einer inkompletten Fehlgeburt.

Verhaltener Abort. Wenn der Embryo abgestorben ist, jedoch nicht aus der Gebärmutter ausgestoßen wird, spricht man von einer „missed abortion“. In der Regel wird dieses Phänomen bei einer Vorsorgeuntersuchung entdeckt – wenn keine Herztöne mehr zu hören sind.

Habitueller Abort. Ab drei Fehlgeburten in Serie spricht man von einer „wiederholten Fehlgeburt“. Etwa ein Prozent der Paare mit Kinderwunsch ist davon betroffen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.08.2015)

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