Psychologin: "Ratschläge will man in dieser Situation nicht hören"

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Im Umgang mit Betroffenen nach einer Fehlgeburt ist vor allem Zuhören wichtig, sagt Psychologin Daniela Renn.

Warum ist es nach wie vor so ein Tabu, über eine Fehlgeburt zu sprechen?

Es hat viel mit dem eigenen Selbstwert und Verantwortung zu tun. Bei einer Fehlgeburt taucht die Frage auf, ob die Frau etwas getan oder unterlassen hat, weshalb das eigene Kind nicht auf die Welt gekommen ist.

Was läuft im Körper und Kopf einer Frau ab, wenn eine Fehlgeburt passiert?

Es kommt schon zu einer Bindung zum Kind, wenn sich eine Frau ein Kind wünscht. Darum ist das Verlustereignis ein ganz schweres. Man unterscheidet im medizinischen und psychologischen Bereich zwischen Fehl- und Totgeburten. Bei einer Fehlgeburt ist das Geburtsgewicht noch unter 500 Gramm. Ein großer Teil der Fehlgeburten vor dem dritten Monat ist unerwartet, wird also nicht vorher diagnostiziert. Es kommt meistens zu einem spontanen Abortus.

Frauen sollten ja drei Monate warten, ehe sie über die Schwangerschaft reden.

Das hat unter anderem damit zu tun, dass prinzipiell jede Schwangerschaft das Risiko in sich birgt, dass es zu einer Fehlgeburt kommt. Bei einer Totgeburt merkt die Frau meist schon vorher, dass etwas nicht stimmt. Man kann sich in seinen wildesten Albträumen nicht vorstellen, was dann auf eine Mutter zukommt – wenn die Schwangerschaft so weit fortgeschritten ist, dass das Kind tot zur Welt gebracht wird.

Je fortgeschrittener die Schwangerschaft, desto mehr Bindung hat man aufgebaut?

Ja, prinzipiell kann man das sagen. Je früher die Schwangerschaft, desto weniger ist das eigene Leben schon ausgerichtet auf das kleine Lebewesen, das da kommen wird.

Sollte man sich in einer Schwangerschaft angesichts des Risikos vielleicht emotional zurücknehmen?

Studien zeigen, dass es ganz wichtig für die psychische Entwicklung des Kindes ist, dass es zu einer vorgeburtlichen Bindung kommt. Die Bindung zwischen Eltern und Kind ist lebensnotwendig.

Die drohende Gefahr sollte man also gar nicht aktiv andenken?

Genau. Und das gilt für alle Beteiligten.

Wie geht man als Außenstehender mit Frauen in so einer Situation um?

Manche Frauen möchten darauf angesprochen werden, manche wollen das nicht, um Zeit zu haben, das für sich selbst zu verarbeiten. Wird eine Fehlgeburt angesprochen, ist es wichtig, dass man sich Zeit nimmt, also nicht zwischen Tür und Angel fragt, wie es einem geht. Sondern dass man sich zum Beispiel mit einem Kaffee hinsetzt, die Tür zumacht und fragt: „Wie geht es dir?“ Und dass man Zeit für die Antwort hat.

Und mit welchen Worten spricht man es an?

Wenn die Frau darüber reden möchte, ist sie prinzipiell dankbar für ein offenes Ohr, dass jemand ohne werten und bewerten einfach zuhört. Da reicht oft eine offene Frage: Ich habe gehört, was passiert ist. Wie geht es dir?

Das Wort Fehlgeburt explizit zu verwenden ist also nicht notwendig?

Je offener die Frage ist, desto eher geben Sie dem Gegenüber die Chance, auf alle möglichen Dinge zu antworten. Natürlich kann man das Wort Fehlgeburt verwenden oder Abort. Oder man sagt zum Beispiel: „Ich habe gehört, dass du dein Kind verloren hast.“

Wie sieht es dann mit der Planung für ein weiteres Kind aus?

Es kommt darauf an, warum es zu einer Fehlgeburt gekommen ist. Je weiter fortgeschritten die Schwangerschaft war und je häufiger eine Fehlgeburt passierte, desto schwieriger wird es psychisch, das auch zu tragen.

Was geht im Partner vor, der den körperlichen Verlust nicht erleidet?

Klar ist, dass die Bindung eine andere ist, wenn das Lebewesen in einem selbst heranwächst. Bei Männern findet aber auch schon eine Bindung statt während der Schwangerschaft. Je gewünschter das Kind ist, desto eher wird es zu einer Bindung kommen. Ein Mann wird aber vor allem bemerken, wie sehr die Partnerin psychisch und körperlich leidet.

Muss er dann den Starken spielen?

Nein. Einfach zuhören, aber sich auch selbst mitteilen. Wenn eine Partnerschaft gut läuft, hat einmal der eine, einmal der andere die stärkere Schulter.

Sind Ratschläge hilfreich?

Gerade von Familienangehörigen ist es wichtig, zuzuhören, keine Richtlinien vorzugeben wie „Jetzt schauts, dass gleich wieder eines bekommts.“ Ratschläge und Vorgaben sind genau das, was Frau und Mann in dieser Situation nicht hören wollen.

Steckbrief

Daniela Renn ist klinische Psychologin, Gesundheitspsychologin und Sexualpsychologin mit eigener Ordination (www.psypraxis.org) und Vorstandsmitglied des Berufsverbands Österreichischer PsychologInnen.

Renn

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.08.2015)

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