Herzinfarkt: Frauen sterben öfter

(c) APA (Frank May)
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Gender-Medizin: In Österreich erliegen mehr Frauen einem Herz-Kreislauf-Leiden als Männer, dennoch erhalten sie seltener Therapie.

Jährlich sterben in Österreich 32.500 Menschen an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, 60Prozent davon sind Frauen. „Wenn man bedenkt, dass mehr Frauen einen Herztod erleiden, ist es schon sehr eigenartig, dass sie nur halb so viele Herzkatheter-Untersuchungen erhalten wie Männer“, ätzte Univ.-Prof. Dr. Margarethe Hochleitner, Vizerektorin der Medizinischen Universität Innsbruck, bei der Sommerakademie der österreichischen Apothekerkammer mit dem Schwerpunkt Gender-Medizin und Gender-Pharmazie.

„Bis vor Kurzem“, so Hochleitner, „war der Mann die Norm, von Experimenten mit Zellkulturen über Tierversuche bis zu klinischen Studien am Menschen. Alle Erkenntnisse wurden ungeprüft eins zu eins auf Frauen übertragen. Sie wurden als Variante oder als ,kleine Männer‘ gesehen. Dass das diskriminierend ist, steht außer Zweifel, die Frage ist, ob das nicht auch ein Gesundheitsrisiko für Frauen darstellt“.

Doppelt so hohe Sterblichkeit

Denn obwohl bei einem akuten Herzinfarkt Frauen unter 50 Jahren eine doppelt so hohe Sterblichkeit wie Männer gleichen Alters aufweisen, ist der Herzinfarkt noch immer männlich besetzt. Erhalten Frauen (deswegen?) seltener und später entsprechende Therapien?

Fakt ist: Sie bekommen seltener Betablocker und Statine verschrieben. Auch mit Bypass-Operationen ist man bei Patientinnen wesentlich zurückhaltender als bei Männern. Bis zum 70. Lebensjahr finden sich unter den Herzoperierten lediglich 20 Prozent Frauen, und das entspricht ganz und gar nicht der Häufigkeit von Herzinfarkten in der Bevölkerung. Wenn dann an einer weiblichen Kranken endlich ein Eingriff vorgenommen wird, ist die Krankheit meist schon weiter fortgeschritten. Dass Frauen da schlechtere Prognosen haben, verwundert nicht.

Hochleitner zitiert immer wieder gerne den Begriff des „Yentl-Syndroms“, der Anfang der Neunzigerjahre von einer US-Ärztin aufgebracht wurde: „Frau muss erst beweisen, so herzkrank zu sein wie ein Mann, um dieselbe Behandlung zu erhalten.“

Sicher: Die Zeichen eines Infarkts sind bei der weiblichen Bevölkerung anders, „aber man soll nicht sagen atypisch, denn immerhin sind 52 Prozent der Bevölkerung Frauen“, betonte Univ.-Prof. Dr. Vera Regitz-Zagrosek vom Zentrum für kardiovaskuläre Forschung in Berlin und Direktorin des Instituts für Geschlechterforschung in der Medizin. Auch EKG und Ultraschall liefern bei Frauen häufiger als beim Mann falsch negative Ergebnisse. Regitz-Zagrosek: „Kranke Frauenherzen pumpen oft noch gut und kräftig, aber sie dehnen sich schlecht. Doch dafür gibt es weder Leitlinien noch Therapien.“

Aspirin wirkt bei Frauen anders

Vielfach unbeachtet bleibt auch die Tatsache, dass Frauen anders auf Medikamente reagieren als Männer. Geschlechtsspezifische Faktoren wie Hormone, Stoffwechsel oder Körperfett beeinflussen die Aufnahme, Wirksamkeit und Abbaugeschwindigkeit von Arzneimitteln. Tabletten etwa verweilen im Schnitt bei Frauen um ein Drittel länger im Magen als bei Männern.

Digitalis (zur Behandlung von chronischer Herzschwäche) etwa führte bei Frauen zu einer deutlichen Übersterblichkeit (höher als bei Placebo!), bei Männern half es indes. Wurde die Dosis aber niedriger angesetzt, profitierten auch Patientinnen. Oder ACE-Hemmer: Der von ihnen induzierte Reizhusten tritt beim weiblichen Geschlecht häufiger auf. Oder Gerinnungshemmer: Sie erzeugen bei Frauen häufiger Blutungskomplikationen. Oder Aspirin: In der Primärprävention senkt es bei Männern das Risiko für Herzinfarkt signifikant, für Schlaganfall jedoch kaum. Bei Frauen ist es genau umgekehrt.

Viel mehr Nebenwirkungen

„Die Rate von Arzneimittelnebenwirkungen ist bei Frauen durchschnittlich doppelt so hoch wie bei Männern“, betonte Regitz-Zagrosek. „Ich denke, das hat viel damit zu tun, dass Frauen in klinischen Studien noch immer unterrepräsentiert sind. Auch die Forschung findet in der Regel an jungen, männlichen Mäusen statt. Die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Wirkung von Medikamenten werden bei der Arzneimittel-Entwicklung nicht berücksichtigt.“ In Deutschland setzen sich Apotheker bereits dafür ein, geschlechtsspezifische Dosierangaben bei der Neuzulassung von Medikamenten verpflichtend einzuführen.

Frauen bleiben länger jünger

Der „kleine Unterschied“ wirkt sich auch recht deutlich bei der Zuckerkrankheit aus: Sie verfünffacht bei Frauen die Gefahr eines Herzinfarktes, bei Männern ist diese „nur“ verdreifacht. Dafür dürfte das weibliche Geschlecht von körperlichem Training noch mehr profitieren als die Herren der Schöpfung. Und auch das abendliche Glas Rotwein scheint der weiblichen Gesundheit noch mehr zu nützen als der männlichen. „Aber das ist noch nicht ganz eindeutig bewiesen“, betonte Regitz-Zagrosek.

Bewiesen ist indes: In der fruchtbaren Phase wird die Biologie der Frau um sechs bis acht Jahre angehalten. „Eine 65-jährige Frau entspricht also einem 60-jährigen Mann, eine 75-Jährige einem 70-Jährigen“, so die Kardiologin. Medizinisch und biologisch ist also die oft anzutreffende Vorliebe älterer Herren für jüngere Frauen keineswegs zu erklären.

AUF EINEN BLICK

Der Unterschied: Obwohl mehr Frauen als Männer an einem Herzleiden sterben, ist der Herzinfarkt nach wie vor männlich besetzt.

Frauen erhalten seltener und später Therapien, auch bei Operationen ist man bei ihnen wesentlich zurückhaltender.

Zwiebel schützt: Entzündungen spielen eine wichtige Rolle bei der Verengung von Arterien, die zu Herzinfarkt und Schlaganfall führen können. Quercetin, in Zwiebeln, Rotwein und Tee enthalten, hat auf solche chronischen Entzündungen einen positiven Einfluss.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2009)

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