Telefon-Hotline: Zuhören am Heiligen Abend

Telefon
Telefon(c) Bilderbox
  • Drucken

Seit 18 Jahren verzichtet Sozialberaterin Majda Moser auf ihren Weihnachtsurlaub und bietet Einsamen von 24. bis 26. Dezember Trost mit ihrer kostenlosen Telefonhotline.

Wie kamen Sie auf die Idee zu dieser Hotline?

Majda Moser: In meiner Praxis habe und hatte ich viele Klienten mit unerklärlichen Beschwerden. Sie sind ärztlich untersucht, es wurde aber nichts gefunden, ihre Verspannungen, ihre Kreuzschmerzen, ihr wiederholtes Kopfweh, ihre Verdauungsstörungen bleiben. In Gesprächen mit den Betroffenen und den behandelnden Ärzten habe ich dann herausgefunden, dass diese Beschwerden sehr oft psychosomatisch sind und dahinter in sehr vielen Fällen Einsamkeit steckt. Und das war und ist um die Weihnachtszeit immer besonders schlimm, das ist eine echt kritische Zeit. Ich habe mich immer mehr mit Einsamkeit auseinandergesetzt, dann eine Selbsthilfegruppe gegen die Einsamkeit gegründet und schließlich die Hotline eingeführt. Denn ich weiß aus eigener Erfahrung, wie weh Einsamkeit tut.

Wie viele Menschen rufen zwischen 24. und 26. Dezember an?

Zwischen 30 und 50 sind es jährlich. Was mich fast ein wenig überrascht hat, war, dass etwa gleich viele Männer wie Frauen anrufen. Ich hätte eigentlich mit mehr Frauen gerechnet. Ein viel beschäftigter Geschäftsmann rief an und erzählte mit tränenerstickter Stimme, was ihm widerfahren war. Er musste am Heiligen Abend noch in die Firma, sagte zu seiner Frau, sie solle zum Friseur gehen und ins Café, er sei um 17Uhr wieder zu Hause. Als er dann kam, war die Frau weg und die Wohnung leer geräumt, der Mann war gebrochen. Ein anderer wiederum konnte es nicht verkraften, dass ihn seine Frau wüst beschimpft und verprügelt hat, weil er ihr nur eine CD zu Weihnachten geschenkt hat. Sie fühlte sich wohl abgewertet durch dieses Geschenk.

Worum geht es sonst noch?

Es geht, wie gesagt, sehr oft um Einsamkeit, aber auch um Streitereien, Prügeleien, Todesfälle, unheilbare Krankheiten, Missbrauch, Aggression. Am Heiligen Abend explodieren unausgesprochene Konflikte oft, da genügt schon falsches Atmen.

Rufen auch Kinder an?

Ja, es gibt sehr viele verzweifelte Kinder.

Welche Sorgen haben Kinder und Jugendliche?

Bevor ich jetzt aus der Praxis plaudere, möchte ich betonen, dass meine Beispiele durchwegs von anonymen Anrufern stammen. Viele Kinder aus Patchworkfamilien fühlen sich einsam oder zurückgesetzt. Letztes Jahr beispielsweise rief ein Neunjähriger an und weinte bitterlich. Der Sohn der neuen Freundin des Vaters habe eine Eisenbahn bekommen, die er sich selbst so sehr gewünscht habe. Der Vater habe ihn wohl nicht mehr lieb, schluchzte er ins Telefon. Das hat schon sehr viel mit Verlustängsten zu tun, unter denen sehr viele Kinder leiden. Viele leiden auch darunter, dass die Eltern zu wenig Zeit für sie haben. Sie bekommen zwar die tollsten Handys und die neuesten Computer und werden zu Weihnachten mit Geschenken überhäuft, was ihnen aber fehlt, sind Nestwärme, Geborgenheit, Liebe.

Ist Ihnen ein Kinderschicksal besonders zu Herzen gegangen?

Das kann man so nicht sagen. Mich berührt jedes Schicksal, sonst würde ich das ja gar nicht machen. Aber eine Geschichte ist da schon besonders tragisch. Eine 65-jährige Frau hat sich vor drei Jahren am Heiligen Abend umgebracht, weil ihre 30-jährige Tochter und die zehnjährige Enkelin an diesem Tag nicht zu ihr gekommen sind, erst am 25. Dezember kommen wollten. Seither hat das Mädchen panische Angst, dass auch ihre Mutter sich zu Weihnachten das Leben nehmen könnte. Sie ruft mich jetzt immer an und fragt, wie sie das verhindern könnte.

Haben Sie schon Selbstmorde verhindert?

Ja viele. Vor allem Menschen, die rund um das Jahr gut funktionieren und sich gerade zu Weihnachten total verlassen, ja mitunter sogar verstoßen vorkommen. Bei ihnen ist der Suizidplan eine Art Hilferuf, eine Momentaufnahme, jedoch durchaus ernst zu nehmen. Da versuche ich auch im Gespräch, Namen und Adresse herauszufinden. Wenn diese Menschen dann jemanden zum Reden haben, sehen sie oft für sich selbst einen Ausweg. Außerdem müssen sie mir alle versprechen, dass sie mich am nächsten Tag wieder anrufen, sonst würde ich die Polizei rufen. Das gibt den Verzweifelten auch das Gefühl, dass sie für jemanden wichtig sind.

Was war Ihr schrecklichstes Erlebnis?

Es gibt viele schreckliche Dinge, aber besonders schlimm habe ich jenen Fall erlebt, wo eine Alkoholikerin ihre alte Mutter gezwungen hat, das Geld, das sie ihr zu Weihnachten geschenkt hat, zu essen. „Friss, Alte“ soll sie gesagt und die gebrechliche Frau dann malträtiert haben. Die aggressive Tochter hätte in Wahrheit nicht das Geld, sondern mehr Zuneigung gebraucht. Unvergesslich wird mir auch folgender Vorfall bleiben: Ich gehe zu Weihnachten auch in die Gruft und bringe Kekse vorbei. Dort stand einmal ein elegant gekleideter Herr und stürzte sich mit Tränen in den Augen auf meine Kekse. Er war ein hart arbeitender Manager, der seiner geliebten Frau jeden Wunsch von den Augen ablas und sie mit sehr teurer Kleidung, mit exquisitem Schmuck und tollen Reisen verwöhnte. Als er dann einmal überraschend früher nach Hause kam, fand er seine Frau im Bett mit dem besten Freund. Daran zerbrach der Manager, verlor Frau, Freund, Job, Haus und Hof, verlor sich selbst. Ich erinnere mich aber auch an jenen Mann, der angerufen und gefragt hat: „Frau Moser, wie soll ich Weihnachten feiern, was soll ich tun? Voriges Jahr ist meine 22-jährige Tochter am Heiligen Abend von mir um 19Uhr weggegangen, zu ihrem Freund. Zwei Stunden später läutete bei mir die Polizei an der Tür und sagte mir, dass meine Tochter bei einem Autounfall tödlich verunglückt sei.“

Was haben Sie dem Mann geraten?

Ich habe gesagt: „Reden Sie, weinen Sie, lassen Sie die Trauer zu. Dann aber stellen Sie ein Bild Ihrer Tochter auf, und beziehen Sie sie in das Geschehen mitein. Wenn Sie in Liebe an sie denken, ist sie da. Es sind nur jene tot, die vergessen sind.“

Bekommen Sie auch Dankesworte zu hören?

Sehr viele, sehr schöne. Der eine ruft vielleicht nach einem Gespräch am Heiligen Abend am nächsten Tag an und sagt: „Danke, ich bin jetzt nicht mehr so einsam.“ Andere wieder bedanken sich, dass ich ihnen das Leben gerettet habe. Es gibt auch Postkarten und Blumen. Sehr berührend war auch eine Frau, mit der ich an einem 25. Dezember lang geredet habe. Drei Tage später kam eine Postkarte mit den Worten: „Danke, dass es Sie gibt.“

Info

Majda Moser ist Bioenergetikerin, diplomierte Lebens- und Sozialberaterin und leitet seit 1990 das Bioenergetische Institut für ganzheitliche Bioenergetik. www.bioenergetik.at

Seit 18 Jahren bietet sie jedes Jahr von 24. bis 26. Dezember kostenlos Rat und Zuspruch mit ihrer Weihnachtshotline an. Telefonnummer: 0664/356 80 48.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.12.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.