Turnusärzte: Am Tag frustriert, in der Nacht überfordert

Turnusaerzte frustriert Nacht ueberfordert
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Sie halten Krankenhäuser am Laufen, dafür leidet ihre Ausbildung. Die Turnusärzte werden ausgebeutet. Der Politik ist das Problem bekannt, zu einer grundlegenden Verbesserung ist es aber nicht gekommen

Es sind Situationen wie diese, die die Turnusärztin Teresa Ammer schaudern lassen: Eine Kollegin wird auf eine Station gerufen, um einen Patienten für tot zu erklären. Kurz vor dem Zimmer findet sie ein EKG. Sie fragt noch nach, ob es das richtige sei, geht zur Leiche, findet kein Namensschild darauf. Fragt wieder nach, ob es der richtige Patient sei. Ja, sei er, heißt es. Und sie informiert prompt die falschen Angehörigen vom Tod.

„Wenn wir nicht ständig so überfordert wären und auch auf anderen Stationen Dienst machen müssten, dann wäre das nicht passiert. Dann hätte meine Bekannte den Mann nämlich gekannt“, sagt Teresa Ammer (Name geändert). Die 27-Jährige kennt viele solcher Geschichten: Überforderung, bei gleichzeitig zu wenig Information, auch zulasten von Patienten, die mit diffusen Schmerzen in die Klinik kommen, aber nicht gleich behandelt werden, weil die Turnusärzte nicht wissen, was sie tun sollen. Denn das Problem ist systemimmanent und seit Jahren bekannt: Turnusärzte werden als Systemerhalter in Krankenhäusern für einfache Arbeiten verwendet, während die eigene Ausbildung auf der Strecke bleibt.

„Die Ausbildung der Turnusärzte ist im freien Fall nach unten“, sagt etwa Oberarzt Andreas Brennauer (Name geändert), der seit mehr als 25 Jahren als Arzt in verschiedenen Krankenhäusern tätig ist. Wobei auch die ausbildenden Ärzte ihren Teil dazu beitragen: „Weder die Turnusärzte noch die Ärzte haben Zeit für die Ausbildung. Deswegen werden Leistungsnachweise unterschrieben, obwohl jeder weiß, dass der Turnusarzt diese Tätigkeit niemals gesehen oder ausgeführt hat“, erzählt er. Seine Bilanz: „Ich weiß nicht, was die Turnusärzte können, wenn sie die Station wieder verlassen.“

Die Ausbildung: ein Witz. Teresa Ammer kann das bestätigten: Untertags müsse sie Arbeiten erledigen, die ihr beruflich nicht weiterhelfen. Dafür würden sich im Nachtdienst Probleme auftun: „Da stehst du vorm Patienten und sollst sagen, was er haben könnte. Aber du hast keine Ahnung, weil du ja nichts gelernt hast. Es ist ein Witz.“

Wobei sie sich weniger über ihre Vorgesetzten beschweren möchte: „Es gibt viele, die dir was zeigen wollen, aber du hast untertags keine Zeit.“ Ihren Tagesablauf beschreibt die 27-Jährige etwa so: „In der Früh musst du Blut abnehmen und Infusionen anhängen, dann bereitest du die Patienten auf eine Operation vor. Währenddessen macht der Oberarzt schon Visite, von der du deswegen nichts mitkriegst. Nach der Visite geben dir die Schwestern die Ergebnisse zum Eintragen, in der Zwischenzeit passieren in der Ambulanz all die spannenden Sachen, bei denen du was lernen könntest. So vergeht der ganze Tag.“

In der Politik ist die schlechte Ausbildung schon seit Jahren ein Thema, zu einer grundlegenden Verbesserung ist es aber nicht gekommen. Erst Anfang Dezember 2011 hätte eine Novelle zum Ärztegesetz Verbesserungen bringen sollen: Den Turnusärzten wäre dann nur noch Dienst auf einer einzigen Abteilung erlaubt gewesen. Doch die Novelle wurde von den Ländern blockiert. Sonja Wehsely, Wiener Gesundheitsstadträtin (SPÖ), erklärt das so: „Aus Sicht der Krankenhausträger (die Länder, Anm.) ist es auch wichtig, dass Mitarbeiter dort eingesetzt werden, wo sie gerade notwendig sind.“

Doppelt so viele Ärzte notwendig. Teresa Ammer hört solche Aussagen nicht gerne: „Wenn wir mehrere Stationen bespielen, lernen wir erst recht wieder nichts.“ Ihrer Meinung nach braucht es doppelt so viele Turnusärzte. „Dann könnten wir die Hälfte der Zeit in die Ausbildung investieren.“ Außerdem sieht sie ein Problem in der Aufgabenteilung mit dem Pflegepersonal: „Wir übernehmen ja auch viele Dinge, wie Infusionen anhängen, die man delegieren könnte.“ Ursula Frohner, Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbands, sieht das freilich anders: „Pflegeberufe sind nicht dazu da, Mängel im System zu kompensieren.“ Sie wünscht sich Hilfskräfte für die Station, die dafür Aufgaben des Pflegepersonals übernehmen. „Oft wird ja das Pflegepersonal für Reinigungsarbeiten und Essenbringen missbraucht.“

Katharina Gordon, Obfrau in der Sektion Turnusärzte der Österreichischen Ärztekammer, will mit einem gesetzlich verankerten Tätigkeitsprofil die Fronten zwischen Turnusärzten und Pflegepersonal klären: „Darin ist die Aufgabenverteilung zwischen ärztlichem und nicht ärztlichem Bereich für den Routinebetrieb geregelt.“ Weiters sollten Ausbildner mit mehr Zeit undfinanziellen Anreizen unterstützt werden. Sie macht sich auch für ein verpflichtendes Lehrjahr beim niedergelassenen Hausarzt (Lehrpraxis, Anm.) stark: „Es ist falsch zu glauben, dass die Ausbildung zum Allgemeinmediziner im Krankenhaus passieren kann.“ Die Jungärzte selbst will sie nicht aus der Pflicht nehmen: „Ihr müsst anfangen, eure Rechte einzufordern.“ Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ) sieht die Verantwortung bei den Ärzten: „Der Chef jedes Turnusarztes ist ein Arzt, und der kann das morgen ändern. Er soll die Turnusärzte für ärztliche Tätigkeiten einsetzen, das ist auch der gesetzliche Auftrag“, sagt er im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“.

Teresa Ammer hat sowieso schon längst beschlossen, ihre Ausbildung selbst in die Hand zu nehmen. Und auch zu bezahlen. Sie besucht jetzt einen externen Kurs um rund 500 Euro, in dem sie ultraschallen lernt. Das Gerät auf ihrer Station hat sie bis jetzt noch nicht benützt.

Übrigens: Niederösterreichs Gesundheitslandesrat Wolfgang Sobotka (ÖVP) hat unlängst eine Powerpoint-Präsentation an die Landeskrankenhäuser geschickt, mit der nun Turnusärzte Maturanten auch noch für die mangelhafte Ausbildung begeistern sollen. „Was denkt sich der eigentlich?“, sagt Ammer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2012)

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