Alte Formen, neue Wege

„Gott sieht alles im heiligen Land Tirol. Ein Erbauungsbuch“
„Gott sieht alles im heiligen Land Tirol. Ein Erbauungsbuch“Parth/editiones
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Bücher als Flugschriften, das Kunstbuch als Ausstellung: Im Grenzbereich von Literatur und Kunst entstehen neue Buchtypen, Textsorten und Lesarten.

Breiter Rücken, blutrote Seitenränder, bunte Bänder. Es wunderte einen nicht, träten beim Aufschneiden des dicken schwarzen Deckels Folianten – also alte Blätter – zutage. Denn in der mittelalterlichen Buchproduktion wurden manchmal beschriebene Seiten dazu verwendet, Einbände zu versteifen. Wie aus der Zeit gefallen liegt „Gott sieht alles im heiligen Land Tirol“ nun da, weil unser säkularer Alltag solche spirituellen Publikationen kaum mehr hervorbringt. Bis sich eben Thomas Parth des Themas angenommen hat. Und mit diesem „Erbauungsbuch“ ein Gesamtkunstwerk geschaffen hat, in dem er für Texte, Fotos, Konzept und Design, kurzum für alles verantwortlich war. „Die äußere Form leitet sich von Werken wie dem ,Gotteslob‘ ab, Büchern aus der Kirche mit Liedern, Gebeten und Litaneien“, erklärt er.

Inhaltlich umfasst das Werk kurze, gewitzte Erklärungstexte und viel volks- und kunstgeschichtlich interessantes Sammelgut: Kruzifixe, Kapellen und Krippen, Herzjesudarstellungen, heilige Geister und Verkündigungen – Zeugnisse verschwindender Tiroler Volksfrömmigkeit. Heutig betrachtet. Mittlerweile ist dieses „Erbauungsbuch“ ein Klassiker, weil seine Form einen Typus intendiert, der vom Inhalt nicht bedient wird. Nun trägt es den „German Design Award 2014“, nachdem es bereits „schönstes Buch“ und Träger des „Red Dot Design Award“ war.

Nicht nur Romane. Welche Erwartung hat man an ein Buch? Dass Inneres dem Außen entspricht? Einen linearen Text, wenn nicht schon die Einheit von Zeit und Raum? Zumindest eine gewisse Menge regelmäßig über Seiten verteilte Buchstaben? Auch angesichts der Medienöffentlichkeit, die vor allem klassisch erzählende Literatur forciert, „könnte man glauben, dass alle Autoren nur Romane schreiben. Aber so ist es ja nicht“, meint Schriftsteller Dieter Sperl, der durch lange publizistische Arbeit Kontakt zu vielen Kollegen hat, die an der Schnittstelle von Text und Bild, Sound und Film arbeiten. Deren Möglichkeiten, ihre Arbeiten zu publizieren oder auszustellen seien aber gering, weil sich ihr Tun nicht den üblichen Kategorien im Kulturbetrieb zuordnen ließe.

Sperl geht manchmal selbst gern über diese Genreschwelle, obwohl ein neuer Roman auf seinem Schreibtisch liegt und er mit dem Filmtagebuch „Random Walker“ oder „Absichtlos“ ganz literarische Arbeiten verfasst hat. Gemeinsam mit Barbara Zwiefelhofer entwickelte er die „Flugschrift“. Dreimal gefaltet und geöffnet so groß wie ein kleines Fenster, widmet sich dieses Medium der „Literatur als Kunstform und Theorie“.

Eine solche Flugschrift funktioniert wie eine „kleine Galerie“, die die eingeladenen Künstler dann auch so nutzen, etwa Anselm Glück, der ja Maler und Autor ist. Viermal im Jahr erscheint sie. Durch die Kooperation mit dem Literaturhaus Wien ergeben sich Präsentationen vor Ort. Die jüngste Flugschrift etwa ist jene von Thomas Raab, dem Kognitionsforscher (Cover im Bild rechts unten), die die Doppelseite eines Buches zeigt, „das es noch nicht gibt“. Dieses Buch wird mit jeder Auffaltung detaillierter. Zuerst wird der Text mit Post-its kommentiert, dann die Post-its mit Infografiken und Skalen erläutert. Am Ende liegt ein ganzer Bogen da, der tief in den Kopf des Autors blicken lässt. Zugleich erinnert die Struktur an die unendlichen Verweisprozesse im Digitalen. Im Gegensatz dazu wurde auf einer anderen Flugschrift „ein ganzes Buch abgedruckt. Klaus Händls ,Legenden‘, die es schon seit Jahren als Buch nicht mehr gibt.“ Zu sehen sind keine neu gesetzten Texte, sondern gescannte Buchseiten.

Bücher nach Farben. Genauso wie Literatur nicht bloß erzählt, funktioniert bildende Kunst nicht nur als Bild, Plastik oder Installation, sondern erscheint als Buch selbst oder nimmt darin eigenständig Form an. Seit 2007 versammelt Bernhard Cella einen bemerkenswerten Teil von Kunstbüchern in seinem „Salon für Kunstbuch“ in der Mondscheingasse in Wien-Neubau. Und dort sieht sich der Künstler einem wachsenden Berg an Neuerscheinungen gegenüber, zumal die Produktionsmethoden für Kreative zunehmend einfacher werden. Neue Zusammenhänge entstehen hier auf Displays, wenn Literatur zur Kunsttheorie, zu Werken über Fotografie, zu Grafikarbeiten führt. Geordnet sich Cellas Kunstbücher sind nur nach Farben.

Zudem ist der Salon wiederum Teil eines größeren Diskurses: Cella, der sich immer schon dafür interessiert hat, wie sich künstlerische Arbeit dokumentieren und festhalten lässt (wie etwa in dem Aquarell seines neuen Kunstbuches unten links), hat den Salon als Ausstellung selbst angelegt. Und mittlerweile auch im 21er-Haus eine weitere gestaltet hat, die er selbst kuratiert: „Der erste Museumsshop, der ein Kunstprojekt ist.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2013)

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