Knowing me . . .

Gerade fällt mir auf, wie wenig ich mich kenne.

Ich weiß nicht einmal, ob ich ein Hunde- oder ein Katzentyp bin. Sommer oder Winter (ich fühle mich immer leicht unwohl). Kunst oder Kommerz. Beatles oder Rolling Stones – gut, da kann ich eine Entscheidung treffen, aber schon bei Lennon oder McCartney gerate ich ins Schwanken. Ich kenne mich nicht. Und im Alltag ist das auch völlig egal. Haustiere kann man im Studentenheim ohnehin nicht halten. Auf die Hitze des Sommers bzw. die Kälte des Winters zu schimpfen gehört zum guten Ton, und der Schnee kommt sowieso nie zur richtigen Zeit. Kunst ist alles, wofür man zu wenig bezahlt bekommt, und Lennon/McCartney sind in Kombination eh am besten. Das Leben ist leicht, wenn man sich nicht definiert.
Schwierig aber wird es, wenn man eine Entscheidung treffen muss. Eine Entscheidung, die einen selbst betrifft. Und damit meine ich nicht so Lappalien wie was man zu Mittag isst oder welchen Beruf man erlernt oder wen man heiratet. Ich meine etwas wie: Welches Lied möchte man auf der eigenen Hochzeit hören? Ich frage mich ja immer noch, was aus der Ehe der beiden Leute geworden ist, auf deren Hochzeit „Someone like you“ (Adele) erklang.
Never mind, I'll find someone like you – Irgendwie sogar ganz optimistisch: Keine Sorge, wenn diese Ehe nicht funktioniert, finde ich schon wieder jemanden. „Lieben und ehren bis der Tod euch scheide“ ist ja ohnehin schon ein bisschen überholt.
Adele auf der Hochzeit ist natürlich trotzdem eher eine Ausnahme. Ein ewiger Hochzeitsklassiker hingegen ist Leonard Cohens „Hallelujah“ (bevorzugt in möglichst schmalziger Coverversion). She tied you to a kitchen chair, she broke your throne, and she cut your hair . . . Der Bräutigam soll ja wissen, was auf ihn zukommt. Und vermutlich findet man kaum einen schöneren Spruch zur Ehe als Love is not a victory march, it's a cold and it's a broken Hallelujah.
Und man glaube ja gar nicht, erzählte mir eine Sängerin letztens, wie oft sich Brautpaare „Tears in Heaven“ (Eric Clapton) wünschen. Und das ist dann schon ein wenig makaber. Clapton hat das Lied für seinen verunglückten Sohn geschrieben, und sofern nicht einer der Heiratswilligen todkrank ist (und selbst dann), eignet sich der Song nicht wirklich für eine Hochzeit, sondern mehr für ein Begräbnis.
Und das führt mich schon dorthin, worauf ich hinauswollte. Wenn es schon so schwierig ist, ein passendes Lied für die Hochzeit auszusuchen, wie sollte man dann den perfekten Song für sein Begräbnis finden? Textliche Peinlichkeiten wie die obengenannten sind ja bei Hochzeiten noch irgendwie lustig, aber bei einem Begräbnis sind die Grenzen des guten Geschmacks sehr schnell ausgereizt.
Eigentlich könnte es mir egal sein. Ich kriege von meiner Beerdigung ja nicht allzu viel mit. Von mir aus spielt „Live and let die“ (Paul McCartney), „Stayin' alive“ (BeeGees). oder was auch immer so gar nicht zu einem Begräbnis passt. Ich höre es ja nicht.
„Der Tod ist kein Unglück für den, der stirbt, sondern für den, der überlebt.“ Karl Marx hat das gesagt und damit wohl recht gehabt. Auch makabre Grabmusik ist das Unglück der Überlebenden. Man stirbt ja nur ein Mal, also ist da im Gegensatz zur Hochzeit auch wirklich nichts mehr gutzumachen. Daher habe ich beschlossen, die Betroffenen (also die, die mich überleben) meinen letzten Song auswählen zu lassen. Die Vorschläge waren teilweise klassisch (Cohens „Hallelujah“, Dylans „Knockin' on Heaven's Door“ . . . das Einheitsprogramm für Anlässe, die man einerseits nicht zu kirchlich gestalten möchte und denen man andererseits doch so einen Hauch Geistlichkeit verpassen will), teilweise aber überraschend. Zum Beispiel dachte ich immer, dass „Fix you“ (Coldplay) von Heroin handelt (ich höre wohl zu viel 60ies-Musik). In Wahrheit aber geht es um den Tod von Gwyneth Paltrows Vater. Aber will ich wirklich ein Secondhand-Begräbnislied? Ein letztes Lied, das schon irgendwem gehört? Aus demselben Grund scheidet neben „Tears in Heaven“ auch „Candle in the Wind“ (Elton John) aus (erst für Marilyn Monroe, dann für Lady Diana, endet schließlich bei Irene Diwiak?)
Ein befreundeter Songwriter schlug gleich ein Lied seiner eigenen Band vor – ein bisschen Publicity für den Fall, dass meiner Trauerfeier ein paar Plattenbosse beiwohnen. Letztendlich entscheidet aber die Mehrheit. Und die war sich sehr einig. Das perfekte Begräbnislied für mich ist . . . Trommelwirbel: „Always look on the bright side of life“ (Monty Python)! Wer Freund des gepflegten britischen Humors ist, ist auch mein Freund. Also waren alle Überlegungen betreffend guten Geschmack sowieso umsonst. Dieses Lied wurde übrigens auch beim Begräbnis von Graham Chapman gesungen, und John Cleese war da der Erste, der es wagte, auf einer Trauerfeier „FUCK“ zu sagen. Jetzt überlege ich schon die ganze Zeit, mit welchem Wort man das bei meiner Bestattung steigern könnte. Aber das ist dann ein anderer Text.

Zur Person

Die Autorin

Irene Diwiak (geb. 1991 in Graz) gewann mit der Kurzgeschichte „glück ist ein warmes gewehr oder wie ich paul mccartney erschoss“ den FM4-Literaturwettbewerb „Wortlaut“. Die Jungautorin studiert Slawistik und Judaistik.

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