Contemporary Istanbul: Fröhliche Fülle in Istanbul

TURKEY ISTANBUL
TURKEY ISTANBUL(c) APA/EPA/SEDAT SUNA (SEDAT SUNA)
  • Drucken

Bei der in den vergangenen Jahren rasant gewachsenen Contemporary Istanbul kämpfen Galerien teils mit drastischen Mitteln um Aufmerksamkeit.

Die Stände der Galerien werden gestürmt, die Gänge sind übervoll, Mengen von roten Punkten erzählen von Geschäftsabschlüssen. Das Interesse an der Contemporary Istanbul (CI) ist enorm, 2013 kamen 72.000 Menschen, heuer wird ein neuer Rekord erwartet. „Die Contemporary Istanbul ist keine reine Kunstmesse, es ist ein großes Festival“, erklärt Programmdirektor Marcus Graf. Er ist verantwortlich für die Messeausstellung „90 Minutes“: In einem 20 Quadratmeter kleinen Kubus zeigen in fünf Tagen 25 Künstler ihre Werke. Zehn Minuten Auf- und Abbau, 90 Minuten Ausstellungszeit.

Die Contemporary Istanbul ist anders, und nicht nur der Festival-Charakter und die „90 Minutes“ irritieren. 2006 von dem Tourismusunternehmer Ali Güreli gegründet, ist die CI eine der ältesten Kunstinitiativen in der Stadt am Bosporus, in der der Markt für zeitgenössische Kunst seit gut zehn Jahren in einem atemberaubenden Tempo wächst. Innerhalb weniger Jahre vervielfachte sich die Zahl der Galerien, der Sammler, und seit 2012 ist in Istanbul noch eine zweite Kunstmesse, die Art International (AI), hinzugekommen. Seither kämpft der Platzhirsch CI mit allen Mitteln um seine Stellung, wozu rechtliche Klagen gegen die AI, aber auch eine Marketingoffensive gehören.

Lokaler Schwerpunkt

All das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die CI eine lokale Messe ist – obwohl heuer zur 9. Ausgabe von den 95 Galerien nur 42 aus der Türkei sind, 53 dagegen aus dem Ausland. Aber nicht die Herkunft, sondern das Profil der Stände prägt das Bild. Im unteren Geschoß gibt es einige bekanntere Galerien zu sehen, darunter Rampa aus Istanbul mit den wunderbar surrealen Bildern von Güçlü Öztekin. Irritierend dagegen tritt Lelong aus Paris auf: Sie zeigen Werke von Joan Miró, Etel Adnan und Nalini Malani, alles dicht nebeneinander – so kennt man die Galerie bisher nicht. Kuriose Kombinationen sieht man hier häufiger, da hängt einmal Damien Hirst neben Banksy, dann steht eine goldene Yoga-Figur von Marc Quinn neben kleinen George-Braque-Bildern.

Auf die Spitze getrieben wird die fröhliche Fülle in der oberen Ebene. Hier kämpfen die Werke mit drastischen Mitteln um Aufmerksamkeit. Starke Farben, plakative Formen und Effekte wie Glitzer und Leuchtröhren zielen auf schnelle Überrumpelung: Aus Skulpturen im Stil der Antike ragen Neonröhren heraus, ein Nashornkopf steckt in einem Stahlgitter, und an einem Stand lockt eine strahlend weiß gekleidete Frau mit silbernen Ballons. Über all diesem visuellen Lärm schallt noch laute Musik durch die Messehalle.

CI-Editionen

Diesem Festival-Charakter entsprechen auch die Auswahlkriterien für die Galerien. So sind heuer gleich drei Galerien zugelassen, die es erst seit einem Monat gibt. Woher nehmen so unerfahrene Galerien ihre Expertise als Kunsthändler? Die größte Irritation aber erzeugt Ali Gürelis Entscheidung, ein neues Geschäftsfeld zu beginnen: die CI-Editionen. Nicht kommerzielle Kunsträume finanzieren mit Druckgrafiken seit Jahren ihr Programm. Manche Editionen verzeichnen stolze Preissteigerungen wie Francis Bacons Triptychon, entstanden 1989 in einer 150er-Auflage, das Andipa (London) auf der CI für 45.000 Euro anbietet. Noch günstig sind die Drucke von Albert Oehlen, Francis Upritchard oder Laure Prouvost, die der Londoner Non-Profit-Ort Whitechapel Gallery anbietet. Sie sind heuer erstmals hier – mit einem kostenfreien Stand, wohl um den CI-Editionen Nachdruck zu verleihen.

Man könnte diese Entscheidung der Messe, Editionen anzubieten, als demokratischen Akt werten, in der Broschüre wird von einer „Alternative zu der elitären und exklusiven Vorstellung von Kunst“ gesprochen. Die 16 Drucke kosten je um die 300 Euro in einer Auflage von 20–30 Stück – Einsteigerkunst also. Noch sind es ausschließlich türkische Künstler, aber Güreli will sein Geschäftsmodell international ausbauen. Geplant ist auch ein Geschäft in Istanbul und sogar die Teilnahme an internationalen Kunstmessen.

Doch Halt: Da kommen schon die Auktionshäuser mit ihren Private Sales, also den Direktverkäufen im Sekundary Market, den Galerien ins Gehege. 2004 setzte Christie's 151 Mio. Dollar in diesem Segment um, sechs Prozent des Gesamtumsatzes. 2013 waren es bereits 1,19 Milliarden Dollar, 16,8% der Gesamteinnahmen. Jetzt steigt auch eine Kunstmesse in den Kunsthandel ein und konkurrenziert damit ihre eigene Klientel! Woher aber nimmt die CI ihre Kompetenz bei der Auswahl, wie kann die Messe Rendite garantieren oder wenigstens künstlerische Qualität zusichern? Sie würden mit Galerien zusammenarbeiten, erklärte Güreli – welche, sagt er nicht. Die CI gehöre zu den „zehn wichtigsten Kunstmessen“, beteuerte er. Noch ist es nicht so weit. Ob die Entscheidungen, Künstlern 90 Minuten Ausstellungszeit zu geben, unerfahrene Galerien zuzulassen und selbst als Kunsthändler aufzutreten, das ändern werden? (Bis 16. November.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.11.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.