Gemeinde als Marke: Orte ohne Eigenschaften

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Kann Marketing helfen zu definieren, was man eigentlich ist? Ja, wenn es um eine Gemeinde geht. Gemeindemarketing bedeutet nicht nur Werbung nach außen, sondern auch eine Identitätssuche mit den eigenen Bürgern.

Marketing?“, sagte der Bürgermeister einer kleinen niederösterreichischen Gemeinde eines Sonntagnachmittags am Stammtisch: „Ganz ehrlich: Wozu brauchen wir das? Ich will den Ort ja niemandem verkaufen...“ Diese Episode, die inzwischen einige Jahre zurückliegt, könnte noch immer symptomatisch für die Einstellung vieler österreichischer Gemeinden stehen, wenn es um ihre Werbung in eigener Sache geht.

Während schon seit geraumer Zeit in den größeren Städten und Großstädten des Landes, etwa in Wien, Graz oder Linz, eigene Abteilungen damit beauftragt sind, jene zu einer eigenen Marke zu machen, gelten kleinere Gemeinden auf dem Land, die sich in Sachen Eigenvermarktung engagieren, noch immer als Vorreiter. Dabei gäbe es für die Gemeinden viel zu gewinnen, findet Markenberater Thomas Hotko von der Brandingagentur Büro 16: „Alle Gemeinden stehen heute in einem Wettbewerb – um Aufmerksamkeit, Zuzügler oder Wirtschaftstreibende zum Beispiel.“ Und in diesem Wettbewerb könnte das Markenimage einer Stadt durchaus entscheidend sein – etwa, weil ein Ort gut an Verkehrsrouten gelegen ist, weil er besonders gute Wohnqualität hat oder ein funktionierendes Vereinsleben – oder zumindest, weil er eben einen solchen Ruf genießt.


Am Anfang war die Wirtschaft. Generell sind Stadt- und Gemeindemarketingmaßnahmen – sie reichen von der Schaffung eines einheitlichen Designs für alle Schriftstücke und Plakate über einen originellen Webauftritt bis hin zu klassischer Werbung –, wo es sie in österreichischen Gemeinden schon gibt, meist auf Initiative der Wirtschaftstreibenden in den Orten entstanden, um den Abfluss von Kaufkraft in die Einkaufszentren am Stadtrand zu bremsen und die Konsumenten in den Innenstädten zu halten. Die speziell dafür gegründeten Innenstadtmarketingverbände – es gibt sie beispielsweise in Wels oder Salzburg – arbeiten etwa bei der Gestaltung von Geschäftsstraßen ein einheitliches Erscheinungsbild aus oder organisieren Gutscheinaktionen für beteiligte Geschäfte.

Tatsächlich geht es beim Gemeindemarketing aber um wesentlich mehr als nur um die Kommunikation nach außen, zu potenziellen Kunden und Wirtschaftstreibenden: Es geht um die alte Frage, wie man den Menschen das Alltägliche einer Ortschaft schmackhaft machen kann, um die Frage, worauf die Einwohner einer Gemeinde stolz sind. Um das, was eine Gemeinde eigentlich ausmacht. „Jede Gemeinde hat etwas Einzigartiges“, sagt Markenberater Hotko. Dieses Einzigartige – „das kann eine Sehenswürdigkeit, ein berühmter Sohn des Ortes oder auch einfach nur die Lage sein“ – gilt es herauszuarbeiten, und gemeinsam mit den Gemeindebürgern muss herausgefunden werden, was denn eigentlich die unverwechselbaren, individuellen Merkmale des Ortes sind. Erst in der Folge kämen die klassischen Werbemaßnahmen, etwa die Erstellung eines Corporate Designs für die Gemeinde.

„Das ist ein umfangreicher Prozess, bei dem die Gemeinden gemeinsam mit ihren Bürgern in Arbeitsgruppen, Umfragen und Diskussionsrunden eintreten und nach dem Individuellen suchen, das das Markenimage prägen könnte“, erklärt Hotko.

Diesen Prozess hat etwa Herrnbaumgarten an der Grenze von Niederösterreich und Tschechien durchgemacht: Eine Marktgemeinde mit knapp 1000 Einwohnern, die zu einem guten Teil von Tourismus und Gastwirtschaft lebt. Um die Jahrtausendwende hat sich der Gemeinderat dort entschlossen, ein neues Leitbild für die Gemeinde zu entwickeln und darauf ein Marketingkonzept aufzubauen. Nach einem umfangreichen Diskussionsprozess habe man sich – angelehnt an einen der Vereine des Ortes, der sich der Umsetzung schräger und unsinniger Ideen verschrieben hat – auf die Linie „verrucktes Dorf“ (sic!) geeinigt, erzählt Vizebürgermeister Christian Frank. Seither – mit professioneller Unterstützung bei der Umsetzung in ein einheitliches Design – wirbt die Gemeinde unter diesem Motto um Besucher und stellt ihre Veranstaltungen unter das Motto „verruckt“. Durch die Linie hätten sich viele der Bürger stärker in die Ortsgemeinschaft einbezogen gefühlt, heute sei sie unumstritten – und ein wichtiges Identifikationsmerkmal für alle Herrnbaumgartner: „Wir sind durchaus stolz darauf.“


Der Name ist heilig. Ein Best-Practice-Beispiel findet Matthias Steinperl von der Agentur wagner steinperl in der 7000-Einwohner-Gemeinde Wilhelmsburg, knapp südlich von St. Pölten. Er hat der Stadt vor Kurzem eine neue Linie verpasst, die jetzt unter dem Motto „wümschburg – für alle!“ die Landgemeinde begleitet. Was nicht allen gefällt: „Dass dabei der richtige Name ,Wilhelmsburg‘ nicht vorkommt, hat viele Leute geärgert“, so Steinperl – was aber auch geplant war. „So denken die Wilhelmsburger einmal darüber nach, was die Stadt und ihr Name für sie bedeuten.“

Worin auch das Ziel der Kampagne besteht: Die Gemeinde hat – wie hunderte andere eben auch – auf den ersten Blick nichts Besonderes, Außergewöhnliches an sich. „Viele Leute suchen zuerst einmal nach einem Eiffelturm oder schiefen Turm von Pisa, wenn sie eine Markenlinie erarbeiten. Das gibt es dort aber nicht“, sagt Steinperl. Wenn eine Gemeinde eben nur ein schöner Ort zum Leben sei, ein gemütlicher Ort mit einigen Festen und Veranstaltungen, dann solle man das eben sagen – und genau das will die Kampagne mit der mundartlich-gemütlichen Bezeichnung „Wümschburg“ ausdrücken. „In erster Linie geht es bei Gemeindemarketing darum, den Menschen ein Gefühl für die Identität ihrer Heimat zu geben – und eine Identifikationsmöglichkeit.“


Der Haken? Es kostet. Was gar nicht so einfach ist, wie es sich anhört: „Viele Gemeinden, die ,Jetzt machen wir Marketing‘ sagen, nehmen sich zu viel vor“, sagt Markenberater Hotko. Besonders, wenn die Bürger in die Markensuche miteingebunden werden, kämen oft viele verschiedene Identitäten heraus: etwa, dass sich eine Gemeinde als Schul-, Wohn-, Einkaufs- und Sportstadt bezeichnet – und damit erst recht nicht mehr unverwechselbar wird. „Gemeindemarkenbildung heißt auch, auf manche Aspekte der Gemeindeidentität zu verzichten“, so Hotko.

Ein Grund dafür, dass bis jetzt nur wenige Gemeinden Bereitschaft zeigen, sich selbst zur Marke zu machen, sind wohl auch die Kosten: Will man in einer kleinen bis mittelgroßen Gemeinde mit professioneller Unterstützung und Bürgereinbindung ein Markenimage herausarbeiten, bewegt man sich preislich in einem Bereich von 20.000 bis 50.000 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2009)

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