Die jungen Heime für die Alten

jungen Heime fuer Alten
jungen Heime fuer Alten(c) Clemens Fabry
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Immer mehr Österreicher werden immer älter. Und die heute geplanten Pflege- und Seniorenheime werden immer intelligenter. Allerdings stellen diese Gebäude Architekten ziemlich auf die Probe.

Vielleicht haben sich manche schon mit dem Thema beschäftigt, weil es die eigene Großmutter betraf, die von einem Tag auf den anderen nicht mehr für sich kochen konnte. Oder den alternden Vater, den sein Orientierungssinn plötzlich verließ und der, in den Straßen Wiens umherirrend, von einem hilfsbereiten Passanten nach Hause gebracht wurde. Die Unterbringung, die Pflege der Alten wird meistens dann erst zum Thema, wenn es in der eigenen Familie auftaucht. Und das ist meist unangemeldet.

Und wenn sich die Frage nach dem Pflegeheim in der eigenen Familie nicht stellt? Dann macht man – seien wir ehrlich – einen großen Bogen um Pflege- oder Seniorenheime, da können ihre Cafés noch so freundlich zum offenen Treffen einladen.

Dabei ist es eine Frage, die unsere Gesellschaft als ganzes betrifft (und uns natürlich persönlich betreffen wird). Ein paar Zahlen: Zu Beginn der Fünfziger Jahre stand hundertzwanzig Erwerbstätigen eine demente Person gegenüber. Im Jahr 2050 wird das Verhältnis etwas anders aussehen: Eine demente Person kommt dann auf 15 Erwerbstätige. Anders gesagt: In Österreich wird es dann 270.000 an Demenz erkrankte Menschen geben, und drei Millionen über Sechzigjährige. Schon im Jahr 2020 werden in Wien 314.000 Menschen über 65 Jahre alt sein.

Breite Gänge statt Fluchten. Der triftigste Grund, womöglich doch einen Blick auf die Häuser der Zukunft zu werfen, ist jedoch folgender: Jene Einrichtungen, die wir in 20, 30 oder 40 Jahren bewohnen könnten, werden heute schon gebaut. In Wien sollen bis 2015 im gesamten Stadtgebiet acht neue Pflegeheime mit Krankenhausinfrastruktur errichtet werden. Aber auch in anderen Bundesländern wurden in den vergangenen Jahren viele Pflegeheime neu gebaut. Bei aller Unterschiedlichkeit der Projekte sind doch viele planerischen Gemeinsamkeiten festzustellen: übersichtliche Wohngruppen anstatt endloser Gänge mit legebatterieartigen Zimmern, großzügige und helle Gemeinschaftsflächen, ein Trend von Mehrbettzimmern hin zu Ein- und Zweibettzimmern, individuelle Gestaltungmöglichkeiten der eigenen vier Räume, sich verschiebende, breite Gänge anstatt endloser Fluchten, eine bunte, ja, verspielte Farbgestaltung und der zielgerichtete Einsatz von Therapieformen.

Großer Kasten, kleine Zimmer. In den neuen Pflegeheimen soll ein selbst bestimmteres Wohnen möglich werden. Früher war das anders. Als „Versorgungshäuser“ wurden Pflegeheime einst geplant, für alle die sich nicht mehr selbstständig ernähren konnten, erklärt die Architekturpublizistin Franziska Leeb. Und heute ist die Pflegeinfrastruktur in Wien veraltet: Lange Zeit galt das Geriatriezentrum am Wienerwald, besser bekannt unter der Ortsbezeichnung „Lainz“, das 1904 eröffnet wurde, als „Weltinnovation“: das Pavillionsystem, das eine Aufteilung nach Geschlecht und Krankheitssymptomen ermöglichte, mit Fließwasser und Badezimmer am Gang und im Grünen, auch wenn das aus heutiger Sicht – berechtigterweise – so wirkt, als wollte man die Alten einfach nicht in der Mitte der Gesellschaft haben.

Dann passierte lange Zeit nichts, bestehende Einrichtungen wurden ausgebaut. Der erste Neubau nach dem Zweiten Weltkrieg war das 1983 errichtete Geriatriezentrum in Donaustadt – „ein großer Kasten mit kleinen Zimmern im Stile eines Krankenhauses“, wie Leeb, Autorin eines Buches über die Geschichte der Pflegeheime der Bundeshauptstadt, kritisch anmerkt. Als Vorreiter der neuen, heutigen Welle gilt in Wien das von Anton Schweighofer geplante SMZ Süd (Geriatriezentrum Favoriten, fertiggestellt 2003) oder das Haus der Barmherzigkeit in der Tokiostraße in Wien-Donaustadt, geplant von Gustav Peichl. Leeb nennt sie „Schrittmacher“: Projekte, die zur Orientierung für die Folgeprojekte, darunter auch die neuen Wiener Geriatriezentren, dienten.


Treffpunkt für Generationen. Auch Andreas Doser vom Wiener Architekturbüro Cuubuus beschäftigt sich beruflich mit Pflegeheimen, hat in Niederösterreich und Vorarlberg einige Projekte geplant. Was er als entscheidend bei den Projekten beurteilt: Viele der neuen Heime werden mehrfach genutzt – soziale Durchmischung findet statt. Da sind neben den alten Bewohnern auch Kindergruppen, Vereine oder Mutter-Kind-Beratungsstellen im selben Gebäude untergebracht.

Bei einem von Cuubuus geplanten Pflegeheim in Hohenems etwa können die Bewohner durch Glasscheiben den Kindern beim Spielen zusehen. „Die Bereiche sind bewusst nicht getrennt“, sagt Doser und verweist auf die Möglichkeit der nonverbalen Kommunikation. Ein weiteres Feature von Cuubuus' Heimen, die für den Betreiber SeneCura geplant wurden: Die Gemeinschaftsflächen im Erdgeschoß sind stets großzügig gestaltet, sie sollen zum Aufhalten einladen. Das Schlagwort „Dorfplatz“ hat sich hierfür offenbar unter Architekten eingebürgert. Charakteristisch sind auch begrünte Innenhöfe oder Gärten: Da sind einerseits so genannte Demenzgärten, in Schleifenform angelegt, „damit die Bewohner wieder zurückfinden“, wie Andreas Doser erklärt. Im Cuubuus-Pflegeheimprojekt in Grafenwörth etwa nennt sich die Grünfläche „Memory-Garten“ und ist in vier Schleifen geteilt: riechen, schmecken, fühlen und hören– diese Sinne der Bewohner sollen angesprochen werden.

Auch im Leopoldstädter Geriatriezentrum des Architekten Helmut Wimmer ist auf dem Dach des ersten Geschoßes ein Demenzgarten geplant; in anderen Projekten werden Aquarien, Wintergärten mit zwitschernden Vögeln und aufwendige Windspiele strategisch eingesetzt. Inszenierungen, die stimulieren, die Aufmerksamkeit erregen sollen. „Die Leute sollen auch etwas zum Schauen haben“, sagt Franziska Leeb. „Das sind Dinge, die sich bewegen, denen man zuschauen kann.“

Aussicht für Bettlägrige. Viele dieser Elemente gab es auch in alten Pflegeheimen – allerdings oft vom Personal improvisiert. Nun ist es zum fixen Bestandteil der Planung geworden. Wie überhaupt „mehr Respekt“ (Leeb) und eine neue Aufmerksamkeit gegenüber den so wichtigen Kleinigkeiten festzustellen ist: Aufbahrungsräume, die nur nach außen hin betreten werden können (Abtransport des Sarges!), Erinnerungswände für verstorbene Heimbewohner, bis zum Boden reichende Glasflächen, damit auch Bettlägrige aus dem Fenster sehen können, Zimmer, die eine geschützte Nische für das Bett bereithalten, damit die Privatsphäre gewahrt bleibt, farbig gestaltete Wohneinheiten wie etwa in der Engerthstraße, die ein individuelles Erkennen der Wohnungen ermöglichen. Trotz der wachsenden Bedeutung von Pflegeheimen und der anspruchsvolleren Planung „reißen sich die Architekten nicht um diese Aufträge“, so Leeb: Denn die behördlichen Anforderungen sind hoch, Vorgaben wie Barrierefreiheit und hygienische Standards nicht leicht zu erfüllen, man hat es mit „sehr widersprüchlichen Anforderungen“ – der Bewohner, der Pfleger, der Betreiber – zu tun. „Moderne Architektur im Pflegeheim ist grenzgängerisch“, sagt Doser. Klingt spannend. Vielleicht also doch einmal auf einen Kaffee im neuen Heim ums Eck?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2010)

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