Diedrich Diederichsen: Authentizität, Baby!

Diedrich Diederichsen Authentizitaet Baby
Diedrich Diederichsen Authentizitaet Baby(c) Michaela Bruckberger
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Zwang zur Selbstverwirklichung: Diedrich Diederichsen erklärt, warum Person und Beruf immer mehr verschmelzen und Manager sich mit Julia Roberts vergleichen – und das zu Recht.

Herr Diederichsen, wenn man Ihnen glauben darf, leben wir im Zeitalter des Authentizitätspornos, in dem Beruf und Person miteinander verschmelzen und man sich wortwörtlich mit Haut und Haar in den Job einbringt. Gilt das für uns alle?

Diedrich Diederichsen: Prinzipiell ja. Dieses Performativ-Werden von Berufen, sprich dass man eben nicht nur bestimmte Fähigkeit ausführt, sondern sie zugleich mit der ganzen Person verkörpert, stimmt für alle Branchen. Man verwertet weniger das objektive Erlernte als das subjektive Höchstpersönliche: Charme, Aussehen, Spontaneität. Einerseits weil die Firmen wollen, dass sich die Lohnarbeiter identifizieren, statt zu gehorchen. Andererseits weil im Dienstleistungssektor die Person des Verkäufers als Interface, als Schnittstelle zwischen Ware und Kunden, wichtiger wird.

Das trifft aber nicht auf Schönheitsverweigerer wie den zumindest im Klischee pickligen Computer-Nerd zu?

Doch insofern als dieser Typ nicht seine vordergründige Attraktivität, sondern, im Gegenteil, sein Desinteresse daran als sexy verwerten konnte: als mit sich selbst identifizierter Bewohner eines vermeintlichen Freiraums. Mittlerweile ist auch der Look des Nerds oder Geeks, wie er jetzt heißt, ein Style. In der britischen Comedy-Serie „IT-Crowd“ gibt es sogar einen Geek-Pin-up-Kalender.

Wie neu ist diese Entwicklung denn?

Früher hat sich der Selbstverwirklichungswunsch gegen die Arbeit gerichtet, Arbeit war Arbeit und Freizeit Freizeit. Mit der Durchsetzung des postfordistischen Produktionsmodells, sichtbar ab Mitte der Achtziger, hat sich das verändert. Inzwischen ist Selbstverwirklichung quasi angeordnet, wenn auch natürlich nicht in allen Industrien.

Warum machen wir das überhaupt? Warum tragen wir, wie Sie das formulieren, „unser Leben auf den Markt“?

Weil sich das Modell als erfolgreich erwiesen hat. Wenn andere Ressourcen an ihre Grenzen stoßen und sich auch technisch alle demselben Stand nähern, bleibt der Mensch als der Bereich übrig, wo man noch Profite abschöpfen kann, wie jeder Marxist weiß. Außerdem empfinden die Leute es zunächst als sinnvoll, als Fortschritt gegenüber früheren Modellen, ihre Privatkenntnisse und -fähigkeiten in die Arbeit einfließen zu lassen. Der Übergang von dem Moment, wo das freiwillig ist, zu dem, wo es zur Stress und Depression verursachenden Norm wird, ist fließend.

Die Creative Industries, wo man zwischen Freizeit und Arbeit oft kaum trennen kann, dürfen da wohl als besonders betroffen gelten?

Dass man Kreativität heute als Industriesektor beschreibt, liegt auch daran, dass man auf diesem Sektor genauso hart gegen den Konkurrenten kämpft, der sich noch intensiver ausbeutet, wie im herkömmlichen Karriereberuf.

Und wenn man will, ist die Selbstdarstellung auch eine Rund-um-die-Uhr-Angelegenheit, denn Facebook, myspace, linkedin sind ja auch Auslagen für Arbeitgeber und Geschäftspartner.

Genau. Die Leute haben keine Alternative.

Warum? Man muss ja nicht auf Facebook sein.

Aber das ist bei Ideologien ja nie das Problem, dass sie bloß deshalb funktionieren würden, weil mich jemand mit einer Pistole dazu zwingt. Ideologie bedeutet vielmehr, dass man das, was man tun soll, glaubt selber für richtig zu halten. Früher hieß es immer gegen das Argument, Fernsehen sei eine große Ideolgiemaschine, man könne den Apparat doch ausschalten. Technisch kann man das, aber ideologisch eben nicht. Und so wie man den Fernseher dann eben doch nicht abschaltet, weil es das ist, woran man glaubt, so kann man auch nicht nicht auf Facebook sein. An etwas zu glauben ist ja der Rohstoff für die Eigenproduktion, die Selbstverwertung, denn das gehört zu einer attraktiven Person, dass sie selbst für irgendetwas steht. Auf IT-Crowd gibt es übrigens eine sehr schöne Facebook-Parodie.

Die Kreativwirtschaft kämpft damit, dass ihre Leistungen, wie Design, schnell kopiert und für manches, wie Musik, auch gar nichts mehr gezahlt wird. Ist da die radikale Selbstverwertung, die Personalisierung die große oder gar die letzte Chance?

Das ist ähnlich wie in der Kunst: Man verkauft nicht das Produkt, sondern die Geschichte. Musiker müssen heute eben live auftreten und mit ihrer ganzen Person für ihre Musik eintreten, um Geld zu verdienen.

Diese Personalisierung hat aber absurde Seiten, nämlich dort wo sie an Startum erinnert. Der frühere Porsche-Chef Wendelin Wiedeking hat auf Kritik an seinem Gehalt mal gemeint: „Auch bei einer Julia Roberts wird es niemandem einfallen, den Stundenlohn auszurechnen.“

Aber da hat er doch recht! Julia Roberts und er sind vergleichbare Wirtschaftsfaktoren, ohne dass ich beide besonders mag. Die Personalisierung trifft auch das Management, die sind ja auch alle nur als Charismaträger da. Es ist nicht so, dass Wiedeking mehr weiß als ein anderer Manager oder eine andere Ausbildung hat. Seine besondere Position hat er, weil man ihm ein gewisses Charisma zuschreibt, und damit ist er ein Interface, über das Prozesse beschleunigbar und Dinge durchsetzbar sind. Das ist einer Starqualität ähnlich, auch insofern, als sehr schnell die Luft raus ist, wenn die anderen nicht mehr daran glauben.

Sie selbst sind als Kreativer auch eine Marke, „DD“ quasi ein Markenzeichen. Wie gehen Sie mit dem Thema Selbstverwertung um?

Wenn ich eine Marke wäre, wäre ich gut dran, ich könnte sie vermarkten, ohne mich persönlich zu beteiligen. Leider muss ich meine Texte aber immer noch selber schreiben und durch Auftritte beglaubigen – das macht mich mit jedem anderen Kreativarbeiter vergleichbar. Bis zu einem gewissen Grade schützt mich die Tatsache, dass ich an einer Hochschule tätig bin und nicht jeden Scheiß mitmachen muss.

Berufe in der Kreativwirtschaft gelten nach wie vor als besonders attraktiv. Warum eigentlich?

Das ist ein Schatten aus der Zeit, als sie noch die Befreiung versprochen haben, als die Welt noch in Reih und Glied marschierte, und sie das Antidot zur disziplinierenden Welt der Fabriken, Schulen und Armeen bedeutet haben. Und weil noch genug von der alten Ordnung übrig ist, sind solche Gegenwelten noch immer attraktiv, auch wenn sie inzwischen schon ganz ähnlich funktionieren.

Bedeutet das, dass die Attraktivität solcher Jobs künftig nachlassen wird?

Ich glaube, dass schon heute viele nicht deshalb in den Creative Industries sind, weil sie „etwas anderes“, „etwas Kreatives“ machen wollen, sondern weil für sie durch die Art und Weise, wie sie aufgewachsen sind, so ein Job das Naheliegende war. Als Alternative zum langweiligen, normalen Leben taugt ein Job in den Creative Industries nicht mehr.

Diedrich Diederichsen ist Kulturwissenschaftler, Autor und Publizist. Geboren 1957 in Hamburg, wurde er in den 1980er-Jahren als Poptheoretiker bekannt: Er arbeitete u. a. bei „Sounds“, von 1985 bis 2000 war er Redakteur und Herausgeber der bekannten deutschen Musikzeitschrift „Spex“.

Bekannte Bücher sind u. a. „Sexbeat“ (1985), „Freiheit macht arm“ (1993), „Politische Korrekturen“ (1996), „Musikzimmer“ (2005) und „Eigenblutdoping“ (2008), das sich mit Selbstverwertung, Künstlerromantik und Partizipation befasst.

Unikarriere
Daneben schlug Diederichsen in den Neunzigerjahren eine akademische Laufbahn ein: So unterrichtete er etwa an der Merz Akademie in Stuttgart und dozierte am Art Center College of Design in Pasadena. 2006 übernahm er eine Professorenstelle für Theorie, Praxis und Vermittlung von Gegenwartskunst an der Akademie der Bildenden Künste in Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2010)

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