Im Sitzen den Raum erobern

(c) Mirjam Reither
  • Drucken

Spielerisch, nicht martialisch: Architekten und Designer gehen mit ihren Entwürfen und Ideen auf die Straße, um sich von Autos und Kommerz den öffentlichen Raum zurückzuholen.

Millionen Quadratkilometer Freigehege hat der Urknall den Lebewesen geschenkt. Doch nur in winzigen Räumen darf sich der Mensch so richtig austoben: Der Bewohner Wiens ist Herr über durchschnittlich 40 Quadratmeter Wohnfläche. Dort darf er nackt herumlaufen, laut schreien bis 22Uhr und andere Dinge aus dem Katalog „Handlungsfreiheit“. Die meisten leisten sich noch ein paar Kubikmeter Privatsphäre dazu, eingekastelt in Blech und Glas, abgestellt dort, wo gerade etwas frei ist: Bis zu 80 Prozent des städtischen Raums vor den privaten Haustüren gehören den Autos. Große Teile des kläglichen Restes wiederum dem Kommerz. Allzu viel Nutzungsoptionen bieten die meisten Städte Österreichs den Bewohnern nicht. Außer man will sich um vier Euro für einen Latte macchiato ein Stündchen lang urbanen Raum erkaufen. Irgendwie ist der öffentliche Raum der Stadtgesellschaft entglitten, dafür schwärmen jetzt vermehrt die Stadt-Guerillas aus, um sich Flächen wieder hartnäckig zurückzuertrotzen. Sie frühstücken und campen auf Verkehrsinseln, gärtnern in Lücken zwischen dem Beton. Und bekommen schließlich auch Unterstützung von Designern und Architekten, die mit ihren Ideen und Entwürfen ebenso auf die Straße gehen.


Sitzgelegenheiten. Hartnäckig war auch dieser Fernsehredakteur aus den USA. Unbedingt wollte er den Entwurf des Salzburger Designer- und Architektenduos „undpartner“ in seiner Sendung haben. Nachdem er 50 Mal beteuert hatte, wie „cool“ er das Ding nicht finde, packten Barbara Gollackner und Michael Walder schließlich doch das Paket. Destination: die Fernsehsendung „Beats per Minute“. Der Inhalt: dreimal Prototypen aus der Kollektion „Reconquer Urban Space“. Nur ein Schauobjekt blieb in Österreich, am Karlsplatz in Wien haben sie der „Presse am Sonntag“ gezeigt, wie selbstverständlich man plötzlich auch auf den Holzbehältern sitzen kann, in denen der Streusplitt auf den nächsten Winter wartet. Mit dem flexiblen Sitz von „undpartner“ hängt man sich einfach an den Stadtraum an, sprich an die Objekte, die dort rumstehen. Eine Brüstung, ein Geländer, ein Zaun, ein Brunnen, ein Schild. Um endlich auch mal dort zu sitzen, wo nicht gleich ein Kellner kommt. Oder die Polizei. Wie an der Salzach, erinnert sich Gollackner: „Als 16-Jährige sitzt man gerne an der Salzach. Aber nur bis zur Festspielzeit, dann hat uns immer die Polizei vertrieben.“ Auf dem Streifzug durch die Stadt, bis man den idealen Ort gefunden hat, kann man den Sitz bequem am Körper tragen, wie ein Statement. Quasi als Modeaccessoire zur eigenen „Ich sitze, wo ich will“-Philosophie. Man schlüpft einfach mit Kopf und Arm durch. „Es war uns schon wichtig, dass der Sitz auch als Erkennungsmerkmal funktioniert“, erklärt Walder.

Als Zeichen einer Gesinnungscommunity. Und bequem und einfach mitzunehmen sollte er natürlich auch sein. „Sonst hätten wir ja auch einen Klappsessel nehmen können“, sagt Gollackner. Der Stadtraum sei vielfach schlichtweg nicht „benutzbar“, meint Walder. Das Konzept „Reconquer Public Space“ könnte der Adapter sein, der Raum und Mensch wieder verbindet. Denn plötzlich erschließen sich Winkel und Ecken, an denen man früher achtlos vorbeigegangen ist, auf einmal drängen sich ganz neue Orte im Stadtraum zur Nutzung auf. Schon während ihrer ersten Fotosession sei ihnen das aufgefallen, berichtet Gollackner. Nicht als Rebellen, mehr als Entdecker sind sie in der Stadt unterwegs. Der „spielerische Zugang“ stehe für die Salzburger Designer im Vordergrund, nicht das politische Statement. Da gehe es eher um die Freude, wenn einer ruft: „Schau da oben wär's cool zum Sitzen“, erzählt Gollackner. Und wenn man dann ein paar Momente später tatsächlich die Stadt mal von einem Verkehrsschild aus betrachtet.


Injektionen im Stadtkörper. Dort, wo die Nutzung des öffentlichen Raums besonders paradox anmutet, dort hat Architektin und Designerin Anja Aichinger, die auch an der Kunstuniversität Linz unterrichtet, angesetzt. Und zwar ganz vorne in der Straßenverkehrsordnung, im ersten Paragraf, der meint, dass „Straßen von jedermann unter gleichen Bedingungen benützt werden können“. O.k., dachte sich Aichinger und begann ihre zehn Quadratmeter grüne Parkfläche in der Kurzparkzone auszurollen. Mit offiziellem Parkschein natürlich. So verwandelte sie mit dem Projekt „Kurzpark“ (aktuell ist es im Rahmen der Ausstellung „Im Garten“ im Nordico Stadtmuseum Linz zu sehen) Kurzparkzonen in in Kurzzeitparks, sprich Aufenthaltsräume für Autos in ebensolche für Menschen. „Ein Ziel des Projektes war es, wieder Bewusstsein für den Raum zu schaffen“, erklärt Aichinger.

„Im öffentlichen Raum können sich die Menschen auf gleicher Ebene begegnen. Es ist ein neutraler Möglichkeitsraum, in den sich jeder einbringen kann“, betont Aichinger die Wichtigkeit. Mit „Urbanen Injektionen“ hat sie Anfang Sommer auch in Attnang-Puchheim gemeinsam mit ihren Studenten versucht, dem Ort Ideen und Impulse einzuimpfen. „Beim Festival der Regionen ging es darum, zu schauen, was den öffentlichen Raum definiert und was ihm fehlt“, erklärt Aichinger. Die Studenten entwarfen dafür kleine, öffentliche Architekturen, die den öffentlichen Raum für neue Nutzungen erschließen sollten. Etwa durch eine temporäre Bibliothek auf dem Rathausplatz. Kontakte und Austausch sollte sie fördern, zwischen den vielen sozialen Gruppen, die in Attnang-Puchheim noch nebeneinander leben statt sich zu mischen. „Der Raum formt ja auch das Verhalten der Menschen“, meint Aichinger.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.