Pre-Order-Konzepte: Das Defilee als Verkaufsevent

Defilee Verkaufsevent
Defilee Verkaufsevent(c) Reuters (OLIVIA HARRIS)
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Heute auf dem Catwalk, morgen gekauft - und in sechs Monaten geliefert. Pre-Order-Konzepte des E-Commerce brechen mit Gewohnheiten und bieten Chancen für kleine Labels.

So intensiv sie ihre Bewunderer lockt, so frustriert hinterlässt sie sie bisweilen – die auf dem Laufsteg gezeigte Mode der nächsten Saison. Schließlich vergehen um die sechs Monate zwischen der Präsentation neuer Modelle und ihrem Eintreffen in den Boutiquen. Das stiftet sogar bei Spezialisten mitunter Verwirrung, und Endverbraucher fragen sich angesichts der – besonders von Onlinemedien verbreiteten – Bilderflut wohl nicht selten: Gibt es wirklich erst in einem halben Jahr zu kaufen, was da so schön über den Catwalk paradiert?

Bei dieser Frage setzten vor einigen Saisonen die E-Commerce-Strategen von Burberry Prorsum an: Da konnten User, die sich die Modeschau als Livestream ansahen, Kollektionsteile vom Fleck weg ordern – eine Sublimierung des Habenwollens quasi, die Lieferung erfolgte Monate später. Doch existiert das hier aufgegriffene Pre-Order-Prinzip auch in der analogen Modewelt, in der es besonders guten Kunden, Freunden der Designer und Insidern vorbehalten ist – in den USA spricht man von „Trunk Shows“. Zu Zeiten des Onlineshoppings bietet sich eine Ausweitung des Konzeptes aber an, denn die Konstellation ist für Labels und Händler günstig. Steht doch das Bestellvolumen bereits vor Anlaufen der Produktion fest: So kann ein Retailer auch kleinere Labels risikolos ins Programm aufnehmen, ohne befürchten zu müssen, auf bereits gelieferter Ware sitzen zu bleiben.

Mediale Unterstützung. Als Anfang 2011 mit „Moda Operandi“ eine öffentliche Online-Trunk-Show startete, war das Interesse in der Branche groß. „Die typische Reaktion war: Warum ist bis jetzt noch niemand auf die Idee gekommen?“, bemerkt Aslaug Magnusdottir. Die Isländerin sammelte zuvor bei der auf Diskont-Onlineshopping spezialisierten Gilt Groupe einschlägige Erfahrungen. Ihre Geschäftspartnerin bei Moda Operandi, Lauren Santo Domingo, arbeitet unter anderem für die US Vogue. Aus dieser Konstellation leitet sich auch die Glaubwürdigkeit des Unternehmens ab, Investoren wie Kreativen gegenüber. „Immer wieder haben Designer geklagt, dass Kollektionsteile, auf die die Presse gut reagiert, von Buyers verschmäht werden. Ihrer Meinung nach irren sich die Shops in ihrer Einschätzung des kommerziellen Potenzials einzelner Stücke“, erinnert sich Magnusdottir. Durch das Pre-Order-Prinzip wird direkt bei den Konsumenten ihr Interesse an den Kreationen erhoben: „In manchen Hinsichten ist das Modesystem ineffizient. Unser Ansatz bringt die Designer und die Konsumenten in direkten Kontakt.“

Sobald die von einem Label festgesetzte Mindestbestellmenge erreicht wird, geht ein Teil in Produktion. Die Bezahlung durch die Kunden erfolgt zur Hälfte gleich, zur Hälfte bei Auslieferung; ein Rückgaberecht besteht. Im ersten Jahr haben sich über 100.000 Interessenten bei Moda Operandi registriert, 150 Labels sind im Programm, der durchschnittliche Umsatz pro Transaktion liege, so Magnusdottir, bei 1400 Dollar, während der Modewochen sogar 1800 Dollar. Entscheidend für den Erfolg seien Partnerschaften mit Onlinemedien wie Vogue.com und anderen Condé-Nast-Titeln. Der Medienkonzern beteiligte sich außerdem bei einer Kapitalerhöhung im September 2011 an Moda Operandi.

Berlin und Wien. In Deutschland startete eine Saison nach Moda Operandi ein ähnliches Portal: „Couture Society“ basiert ebenfalls auf dem Pre-Order-Prinzip, hier gibt es eine direkte Anbindung an Labels, die auf der Berlin Fashion Week zeigen. „Das Geschäftsmodell funktioniert langfristig aber nur mit einem Long-Tail-Konzept“, stellt Geschäftsführer Martin Genzler klar. „Den Shop allein regional auszuspielen hat keinen Sinn.“ Auch bei Couture Society wende man sich „an die Spitzensparte der an High Fashion interessierten Kunden“ – darum sei das Geschäftsvolumen einstweilen bescheidener als bei anderen Onlineshops. Um die 9000 Interessenten haben sich bis dato registriert, und die Kollektionen von etwa vierzig Labels werden angeboten. Über den Umsatz gibt es keine Angaben. Ende Jänner brachte eine Kooperation mit Vogue.de neue Besucherströme, auch hier besteht also Interesse seitens Condé Nast. Eine langfristige Partnerschaft ist noch nicht besiegelt: „Die Medien konvertieren unterschiedlich; wir sondieren das Umfeld“, so Genzler. Neben Medien kommen auch Designer auf den Geschmack: „Immer häufiger kommen Labels direkt auf uns zu“, unterstreicht Genzler. Auch österreichische Labels seien willkommen; mit Lena Hoschek stehe man sogar schon in Kontakt.

Konsumenten, die vor lauter Pre-Order-Wahn plötzlich ihren Kleiderschrank ausmisten müssen, werden sich über ein anderes Portal freuen: Im März soll in den USA „Bib + Tuck“ online gehen, eine Kleidertauschbörse für besonders Modeaffine. „Wir nennen das Prinzip ,The Sartorialist meets eBay‘“, fasst Mitinitiatorin Sari Bibliowicz die Idee zusammen. „Nur wer eine Einladung bekommt, darf mitmachen. Eingeladen zu werden ist nicht einfach, so stellen wir ein exklusives Profil der Community sicher.“ Hier soll also eine Plattform für die Crème de la Crème der New Yorker Hipster entstehen. Ideal für alle, die immer schon an die getragenen Manolos von Anna Wintour kommen wollten. Weniger ideal aber, wenn man nicht als High-End-Stylist im Big Apple werkt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.03.2012)

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