Wenn die Midlife-Crisis zum ganz normalen Konsumverhalten wird

Es gab noch nie so viele, so selbstbewusst und so wohlhabend. Die 40- bis 60-Jährigenverändern als wirtschaftlich wichtigste Konsumentengruppe den Markt.

Man kritisiert am anderen ja gern das, was man an sich selbst nicht so mag. So weit die Küchenpsychologie, die auch außerhalb der Küche nicht immer stimmen muss. In einem Punkt fällt diese Alltagsregel aber besonders auf. Dann nämlich, wenn die Middle Agers, also jene Generation der 40- bis 60-Jährigen, der Jugend vorwirft, besonders konsumorientiert, markenfixiert und generell zu materiell zu sein.

Interessant an dieser Konstellation ist jedoch, dass gerade die Middle Agers die – zumindest seit dem Zweiten Weltkrieg – erste Generation bilden, die im Wohlstand aufgewachsen ist. Vorausgeschickt sei hier, dass von Europa und Nordamerika, also jenen Gebieten, die gemeinhin als „der Westen“ gelten, die Rede ist. Und: Natürlich gilt der Wohlstand nicht für alle. Denn auch bei den 40- bis 60-Jährigen gibt es Armut.

Für den Großteil der „Boomer“-Generation gilt aber: Sie sind viele und sie sind deshalb auch besonders heterogen und diversifiziert. „Gemeinsam ist ihnen, dass sie irrsinnig viele sind – und das ihr ganzes Leben lang. Das war deutlich, als sie in der Schule waren und wird auch zu deren Lebensende deutlich werden, wenn es zu wenig Pflegekräfte gibt“, sagt Thomas Reutterer, Leiter des Instituts Service Marketing und Tourismus der Wirtschaftsuniversität Wien. In Zahlen bedeutet das übrigens 2.535.271 Personen. So viele 40- bis 59-jährige Österreicher zählte die Statistik Austria im Jahr 2011. Im Verhältnis zur gesamten Bevölkerung (8.420.900) sind das ein wenig mehr als 30 Prozent.


Jugend prägt Konsumverhalten. Ein gemeinsames Konsumverhalten hat diese Generation nicht. „Das wird durch die Lebensgewohnheiten geprägt und besonders stark durch die Jugendjahre“, so Reutterer. Er arbeitet derzeit gemeinsam mit seinem Kollegen Wolfgang Lutz an einem Forschungsprojekt, das aufgrund des demografischen Wandels prognostizieren will, wie sich die Marktstrukturen in den nächsten Jahrzehnten verändern werden. Noch kann er kein Ergebnis verraten. Nur so viel: „Das ist die wirtschaftlich wichtigste Gruppe. Dass sie Einfluss hat, sieht man ja allein an den vielen Healthcare-Produkten.“ Und daran, dass in der Werbung längst nicht mehr die 20-Jährigen dominieren. Das 52-jährige Nespresso-Testimonial George Clooney oder die normalen, älteren Frauen aus der Dove-Werbung, die durch ihre Alltäglichkeit auffallen, sind nur zwei Beispiele dafür.


Aktivurlaub mit Ärzten. Deutlich wird der Einfluss der Middle Agers auch an den zahlreichen Produkten und Dienstleistungen, die auf diese Gruppe abgestimmt sind. Denn die Middle Agers haben nicht nur viel Geld, sie geben es auch gern aus. Der Tourismus hat darauf mit einem eigenen 50plus-Gütesiegel für Hotels und mit ärztlich betreuten Abenteuerurlauben, die mittlerweile sogar von der Kaffeekette Tchibo angeboten werden, reagiert. In Deutschland und Japan arbeitet man schon länger an altersgerechten Einkaufszentren, die mehr Platz und Service bieten, aber nicht bewusst als solche wahrgenommen werden wollen.

Denn: Fürs Alter geniert sich heute keiner mehr. Fürs Altsein hingegen schon eher. Nicht selten darf deshalb die Jugend als Vorbild herhalten, nicht nur bei der Kleidung. Problematisch ist das für niemanden mehr. „Was man früher als Midlife-Crisis belächelt hat, etwa, wenn sich ein 50-Jähriger einen Porsche kauft, ist heute ganz normales Konsumverhalten“, so Reutterer. Und: Es gibt auch den hybriden Konsumenten. In der Praxis sieht das so aus: Mit dem Porsche die Wochenendeinkäufe beim Diskonter erledigen.

Die Middle Agers leisten sich also gern etwas und gehen damit sehr selbstbewusst um. „Im Vergleich zur Generation davor empfinden sie gewisse Dinge nicht mehr so als Statussymbol“, sagt Reutterer. Der Konsum dürfte für diese erste Wohlstandsgeneration eine wichtige Konstante geworden sein. Denn neben der Krise gibt es für die Middle Agers noch einen beunruhigenden Faktor: die Sandwich-Situation. Auf der einen Seite stehen die eigenen Kinder, die noch nach finanzieller Unterstützung verlangen. Auf der anderen Seite die eigenen Eltern, die Betreuung oder Pflege brauchen. Noch ein Grund mehr, sich etwas zu gönnen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.02.2013)

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