Porno im weißen Raum

Kultur und Sex: Gelassen bis interaktiv – wie Museumsbesucher auf explizite Kunst reagieren.

Was würden Sie machen, wenn Sie eine Frau mit den Worten „Zeig mir deins, dann zeig ich dir meins“ hinter die Schranktür bittet? Mitgehen und die Hosen (auch die untere) runterlassen – und hinschauen?

Circa 70 Besucher trauten sich bei der Eröffnung der „Porn Identity“-Schau in der Kunsthalle vergangenen Februar mit Künstlerin Marlene Haring in den Schrank – und viel mehr: Mindestens drei Paare hatten in der Schrankinstallation sogar Sex. Eines davon fragte Haring höflich, ob sie mitmachen wolle. Sie lehnte ab: Danke, aber... Zugegeben, das typische Verhalten des Museumsbesuchers in der Großstadt sieht anders aus. Herrscht doch im Kunstraum eigentlich klare Etikette: Man wird nicht rot, lacht nicht kindisch, hat sich unter Kontrolle – egal, ob in der Kunsthalle Explizites über den Bildschirm flimmert oder beim Imagetanz-Festival im Künstlerhaus bei „Pâquerette“ nackte Menschen eine Choreografie mit Glasdildo im Anus tanzen.

Genau dieser Verhaltenskodex aber, der die kollektive entspannte Pornobetrachtung (aber eben nicht den zweckgerichteten Porno-„Konsum“) erlaubt, ermöglicht auch das andere: den Sex im Kasten. Weil diese stille Übereinkunft Sicherheit gibt: Kontextverschiebung oder Transfer in den White Cube nennen Experten das bekannte Phänomen. „Es ist halt Kunst“, sagen die Laien – und haben Vertrauen, dass es hier und jetzt in Ordnung ist. Nämlich zu schauen, zu fragen oder eben bei Installationsspielen mitzumachen (im von der Künstlerin erlaubten Rahmen), kurz: neugierig zu sein, ohne sich ertappt zu fühlen. Ohne allzu große Peinlichkeit. Denn Ausstellungen wie diese bieten neben intellektueller Beschäftigung mit dem heiklen Thema auch ein Stück Distanz zum Persönlichen, zur eigenen Scham.


Kein Skandal. Ein Skandal? Und auf derlei „Schamlosigkeit“, in der Kunstszene „Porn Chic“ genannt, gibt es scheinbar viel Lust. Im Gegensatz zu jener auf Skandal: Sieht man vom selbst auferlegten Jugendverbot und den schwarzen Balken auf den „Porn Identity“-Plakaten ab, blieb die Empörung, wenn auch nicht die Berichterstattung aus. Man habe ursprünglich, sagt Kurator Thomas Edlinger, mit mehr Erregung gerechnet. Öffentlicher – nicht der im Schrank. uw

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.03.2009)

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