Pop und Geld: Als die Rolling Stones vor der Steuer flohen

(c) EPA (Dominic Tarle HO)
  • Drucken

42 Jahre vor Gérard Depardieu (und Bardot?) zog die archetypische Rockband aus Finanzgründen um – allerdings aus England nach Frankreich. Das Album „Exile On Main Street“ entstand an der Côte d'Azur.

Gérard Depardieu ist schon russischer, bald auch belgischer Bürger (und muss nur noch für einen Gerichtstermin wegen Trunkenheit am Steuer nach Paris); dass er erklärt, es sei nicht wegen der Steuern, ist Ehrensache. Wie bei Brigitte Bardot, die nicht über hohe Staatsabgaben empört ist, sondern über die geplante Tötung zweier kranker Zirkuselefanten. Auch sie will Russin werden: Putin habe, sagt sie, „mehr für den Tierschutz getan als alle unsere Präsidenten“.

Die Frau, die den Franzosen vor 13 Jahren das war, was ihnen Bardot vor 50 Jahren war (und die diese auch im Film „Gainsbourg – Der Mann, der die Frauen liebte“ spielte), drohte bereits im Jahr 2000, Frankreich zu verlassen und nach London zu ziehen: Laetitia Casta, Mannequin und Schauspielerin, die Film-Falbala für Obelix Depardieu. Ihr Umzugsplan erregte die Nation besonders, da sie soeben als deren Symbol Marianne posiert hatte. „Ich kann nichts Schlechtes darin finden, wenn Marianne auswandert“, erklärte Casta: „London ist eine lebendige und kosmopolitische Stadt.“

Marianne soll keine Patriotin sein?

Sie selbst bestritt, dass hohe Steuern ihr Motiv seien (und blieb tatsächlich französische Staatsbürgerin). Doch konservative Politiker wie der Gaullist Patrick Devedjian erklärten ihre angebliche Steuerflucht prophylaktisch zum „wunderbaren Symbol für das Scheitern des Sozialismus in Frankreich“, während der Chef des Gemeindebunds beklagte, dass es Casta an „fiskalischem Patriotismus“ mangle.

Tatsächliche Steuerflüchtlinge – aber in der umgekehrten Richtung, nämlich von England nach Frankreich – waren die Rolling Stones im Jahr 1971. Nur kurz behauptete ihr PR-Mann, es ginge ihnen nicht darum, „vor dem Finanzamt zu fliehen“, nein, sie seien „begeistert von Frankreich“. Ihr neuer, adeliger Finanzberater, Rupert Prinz Loewenstein, hatte ihnen eröffnet, dass Manager Allen Klein jahrelang keinerlei Einkommensteuer für sie abgeführt habe – mit einem seltsamen Trick: Er hatte die Vorschüsse an die Stones als Kredite verbucht.

So waren mit der Trennung von Klein auf einmal alle Schulden und damit Steuern fällig; und Großbritannien war damals ein Hochsteuerland mit einem Spitzensteuersatz von 90 Prozent. So riet ihnen Prinz Rupert dringend 1) zu einer großen Amerikatournee und 2) zum Steuerexil. Und so zogen Bill Wyman und Mick Taylor nach Grasse, Mick Jagger nach Antibes und Keith Richards nach Ville-franche-sur-Mer, in eine Villa namens Nellcôte. Charlie Watts entschied sich für Arles, weil „seine empfindsame Seele vor dem Glamour der Côte d'Azur zurückschreckte“, wie Philip Norman, Autor einer neuen Mick-Jagger-Biografie, anmerkt. Norman, der Jagger hauptsächlich als geizig und geil beschreibt und dessen Sympathie offenbar eher Keith Richards gehört, schildert dessen französisches Domizil: „In seinem über dem Meer thronenden Art-nouveau-Palast entwickelte er sich zu einer Art vagantenhaften Reinkarnation des Dick Diver aus F. Scott Fitzgeralds Roman ,Zärtlich ist die Nacht‘ und scharte einen riesigen, sich ständig verändernden Kreis von britischen, amerikanischen und französischen Freunden um sich. Das Haus zählte selten weniger als 20 Einwohner.“

Und dort entstand das Stones-Album, das viele für ihr zentrales Werk halten: „Exile On Main Street“. Im Keller, bei schlechter Belüftung: Daher rühre der Songtitel „Ventilator Blues“, erklärte Keith Richards in seiner Autobiografie „Life“. Und bei quälender Hitze: Arbeitstitel für das Album war „Tropical Disease“.

Im Steuerexil? In der Gosse!

In diesem drückend schwülen Keller an der Côte d'Azur gelang den Stones eine geniale Umdeutung ihrer Situation als steuerflüchtige Reiche mit starkem Hang zur Dekadenz. Sie machten daraus Kunstfiguren: am Leben gescheiterte Existenzen, die bestenfalls noch davonlaufen können („Turd On The Run“). Schon im eröffnenden „Rocks Off“ fand Jagger sein lyrisches Ich am Boden, „splattered on the dusty road“; im vorletzten Song „Shine A Light“ singen die Engel für den „in the cold grey dawn“ in der Gosse Gelandeten, auf dem schon die Fliegen sitzen. Und die Musiker, um die's ja auch immer geht? Sie spielen nur mehr in „ballrooms and smelly bordellos“, in den Garderoben haust Ungeziefer, und der Mantel des Gitarristen ist zum Erbarmen schäbig („Torn And Frayed“).

Das ganz und gar nicht „französisch“ klingende Produkt – brütender, manisch-depressiver Bluesrock, der Generationen von Bands beeinflussen sollte – spricht für sich; zur Mystifikation der Entstehung trug der nächtliche, von Opiaten geprägte Lebensstil von Keith Richards bei, und eine Geschichte, die fast zu gut ist, um wahr zu sein: Um die Stromversorgung in der alten Villa zu sichern, sollen die Rolling Stones die Leitung der staatlichen Bahngesellschaft Frankreichs angezapft haben: Was für Outlaws! Eine solche Story aus Russland muss Depardieu erst einfallen . . .

George Harrison beklagte den „Taxman“

Vier Jahre später schon weigerte sich die ersten Punks vehement, den Rolling Stones solche Image-Basteleien abzunehmen (während sie sich ihren eigenen widmeten). Ultravox, eine frühe britische New-Wave-Band (aus der später die Kitschtruppe mit dem Hit „Vienna“ werden sollte), spielten gar in einem Songtitel auf „Exile On Main Street“ an: „Life at Rainbow's End (For All the Tax Exiles on Main Street)“.

Auch manche Musiker dieser Generation sollten später ihre Wohn- respektive Firmensitze steuergünstig „optimieren“, das regte freilich kaum mehr auf, der Fall von U2 (die ihren Hauptsitz in die Niederlande verlegten) wurde nur deshalb debattiert, weil Sänger Bono Vox gar so penetrant sein eigenes soziales Engagement pries, seiner Heimat Irland und deren Sozialsystem aber möglichst wenig Steuern gönnte.

Die erste Popband, die explizit über ihre Einstellung zur Einkommenssteuer sang, waren freilich die guten alten Beatles, 1966 in „Taxman“, in dem sich George Harrison mit etwas verkrampfter Ironie über den hohen Steuersatz beklagte: „If you try to sit, I'll tax your seat, if you get too cold, I'll tax the heat, if you take a walk, I'll tax your feet . . .“ Es ist bis heute der einzige weltbekannte Song, in dem zwei Premierminister eines Landes beim Namen genannt werden: der Labour-Politiker Harold Wilson (Amtszeiten 1964 bis 1970, 1974 bis 1976) und der Konservative Edward Heath (1970 bis 1974). Man sieht: Mit hohen Steuersätzen kommt man zumindest in die Kulturgeschichte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.