Necla Kelek: "Sarrazins Gegner haben ihr Ziel erreicht"

Necla Kelek Sarrazins Gegner
Necla Kelek Sarrazins Gegner(c) FABRY Clemens
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Seit ihrem Buch »Die fremde Braut« prägt die deutsch-türkische Publizistin Necla Kelek maßgeblich die deutsche »Islamdebatte«. Der "Presse am Sonntag" erzählte sie, warum sie das Kopftuch nicht mehr kritisiert, warum Studentinnen keine Professoren finden, wenn sie zur Migration forschen wollen, und warum die Linke Salafisten lieber hat als Neonazis.

Frau Kelek, haben Sie gelesen, was im englischen Wikipedia über Sie steht? Den Eintrag haben offenbar Ihre Gegner redigiert.

Necla Kelek: Was über mich so steht, ist sehr beeinflusst von bestimmten Leuten, die großen Wert drauf legen, dass gegen mich was erscheint, und es wird immer schlimmer. Es gibt einen kleinen, aber gut vernetzten Kreis in Deutschland, nicht nur von Islamisten, sondern auch von türkischen Nationalisten. Nach deren Wunsch müsste ich verschwinden.


Patrick Bahners, bis 2011 Feuilleton-Chef der „FAZ", und der deutsche Historiker Wolfgang Benz haben Bücher gegen Sie und andere „Islamkritiker" geschrieben. Und schon 2006 haben 60 Migrationsforscher öffentlich gegen Ihr Buch „Die verlorenen Söhne" protestiert: Sie würden unwissenschaftlich arbeiten und unzulässig verallgemeinern . . .

Hätte ich mit der gleichen Arbeitsmethode gesagt, dass Migranten unterdrückt werden, hätten sie das glaube ich gar nicht unwissenschaftlich gefunden. Es passt ihnen das Ergebnis nicht! Für mein Buch „Die fremde Braut" über Zwangsheiraten habe ich mit 40 bis 50 Frauen gesprochen, die nach Deutschland verheiratet wurden, unzählige Bücher gelesen und recherchiert. Für „Die verlorenen Söhne" habe ich zwei Jahre mit Männern im Gefängnis Interviews geführt und analysiert. Was ich sage, belege ich. Allerdings bin ich freie Autorin und habe kein wissenschaftliches Institut hinter mir, das durfte ich ja auch nicht . . .


Was heißt, Sie durften nicht?

Den Protest der 60 Migrationsforscher hat meine frühere Doktormutter organisiert! In meiner Doktorarbeit hatte ich herausgefunden, dass der Islam noch die Integration in der dritten Generation behindert. Sie sagte, stimmt nicht, die werden nur vorübergehend streng, dann gibt sich das wieder. Mir schien das letztlich plausibel. Als ich bei weiteren Untersuchungen zu anderen Schlüssen kam und sie öffentlich präsentierte, war ich für sie erledigt.


Hätten Sie es nicht an einer anderen Uni probieren können?

Die sozialwissenschaftliche Forschung in Deutschland ist total ideologisiert. Konsens ist, dass die Gesellschaft versagt hat, die Menschen zu integrieren. Wenn es Probleme bei den Migranten gibt, hat das für sie soziale Gründe. Kultur als determinierend zu bezeichnen, ist tabu. Und es wird immer schlimmer. Iranische, türkische, deutsche Studentinnen erzählen mir, dass sie sofort gemobbt werden, wenn sie z. B. über Familienstrukturen forschen wollen: Für Fragestellungen wie „Sind Ehrenmorde symptomatisch? Gibt es Zwang zur Ehe, woher kommt das historisch?" finden sie keine Professoren.


Die Integrationsdebatte bleibt also wissenschaftlich folgenlos?

Nicht ganz. Weil jetzt von außen gefragt wird: Was und wie wird geforscht? Und die Politik gibt auch Studien bei außeruniversitären Instituten in Auftrag, die zum Teil auch kritisch ausfallen. Und wenn auf einer Veranstaltung alle Experten einer Meinung sind, dass die Gesellschaft versagt hat, steht im Publikum meist jemand auf und fragt: Moment, was tun die Muslime dazu?


Was sollen sie tun?

Wenn ein türkischstämmiger Migrant, der hier studiert hat und perfekt Deutsch spricht, Salafisten unterstützt, ist er für mich verloren, er ist nicht integriert. Wenn ein türkischstämmiger Polizist mit deutschem Pass eine Frau aus der Türkei arrangiert heiratet und sie das Haus nicht verlassen darf - ist der Mensch integriert? Für mich nicht.


In diesem Sinn sind auch Neonazis oder jüdische Ultra-Orthodoxe nicht integriert.

Aber auch für sie gilt die Verfassung. Neonazis sind für mich genauso verloren. Aber wie können angeblich Linke, Islamisten verharmlosen, die gegen die freie Gesellschaft kämpfen? Warum verteidigen die Linken sie und distanzieren sich von Neonazis? Mit Leuten von der NPD wird bei uns im Landtag gar nicht gesprochen. Ich habe gehört, dass eine Vertreterin von Milli Görüs mit Kopftuch in der Wiener Politik tätig ist. Milli Görüs ist eine Partei des politischen Islam, da muss man doch deren Ziele hinterfragen und nicht sie feiern, nur weil sie Migrantin ist.


Gibt es Entwicklungen bei den Islamverbänden, die Sie optimistisch stimmen?

Ja. Erstens gibt es liberal denkende Türken, die sich nun von türkischen Verbänden und Moscheevereinen distanzieren. Zweitens positionieren sich auch die Moscheeverbände genauer. Diese Richtungskämpfe brauchen wir, damit die Positionen klar werden und auch die Bürger nicht allgemein „von den Muslimen" sprechen, sondern sich vom politischen Islam und dessen Vertretern distanzieren können.


Wie stehen Sie zu Thilo Sarrazin?

Im Ergebnis ist die Integrationsdebatte kaputt. Seine Gegner haben ihr Ziel erreicht. Seine kruden Erklärungsmuster kamen ihnen sehr gelegen. Ich habe ihn in der Debatte verteidigt, weil ich seine Problemanalyse wichtig fand. Mit seinem biologistischen Erklärungsansatz bin ich nicht einverstanden.


SPD-Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky hat sich mit dem Buch „Neukölln ist überall" auch bei vielen unbeliebt gemacht.

Er wird ja auch schon von Linken mit Sarrazin in einem Atemzug genannt! Ich finde Buschkowsky wichtig für die Debatte, und wir müssen seine Vorschläge ernst ernst nehmen, wenn wir etwas in den Parallelgesellschaften verändern wollen. Zum Beispiel mit Ganztagsschulen, die rundherum Möglichkeiten vom normalen Unterricht bis zur Musikausbildung oder Sport bieten. Das kostet viel, aber so könnte man es schaffen, wenn die Eltern mitmachen. Wenn ein Mädchen um ein Uhr Schluss hat und nachhause geht, putzt sie oft, passt auf die kleinen Kinder auf und hat den Eltern zu dienen.


Sie haben das Kopftuch als Zeichen von Herrschaft vor Jahren heftig kritisiert, sehen Sie das immer noch so?

Nicht mehr. Das Kopftuch ist kein Thema mehr für mich, darüber wurde genug diskutiert. Es gibt unterschiedliche Kopftuchträgerinnen, sie machen es der Mode, Provokation, Abgrenzung etc. halber und haben sich in der Debatte positioniert. Es gibt auch welche mit islamistischem Hintergrund, aber heute erkennt man sie, man sagt nicht, das ist eine Kopftuchträgerin, sondern: Die ist von Milli Görüs usw.


Ein anderes mittlerweile versandetes Debattenthema: der Schwimmunterricht.

Dazu gibt es bis heute keine breite Untersuchung. In den Schulen, die ich besucht habe, haben die Lehrer das abgeschafft, weil die muslimischen Mädchen nicht teilgenommen haben. Aber auch dieses Thema haben wir hinter uns. Ich will jetzt, dass wir einen Konsens finden, in welcher Gesellschaft wir leben wollen und welche Verantwortung jeder trägt. Wenn eine Muslimin sagt, ich bin für eine freie Gesellschaft, ich bin für Religionsfreiheit, ist es mir egal, ob sie ein Kopftuch trägt.


Wie wollen Sie dieses Bekenntnis erreichen?

Zum Beispiel muss die Schule diese Werte vermitteln. Das ist aber nicht vorgesehen. Pädagogen sprechen von Vielfalt, vermitteln aber den Kindern nicht, dass sie Bürgerrechte haben. Wir müssen erreichen, dass das Kind sich als freier Mensch fühlt. Dann kann es auch sagen, ich will Kopftuch tragen, ich geh nicht schwimmen. Aber kann sie das sagen, ein Ich? Wie wird man ein Ich? Das muss erreicht werden in diesen Schulkomplexen, dass Kinder ein Teil unserer Gesellschaft sind, nicht von Medina im 7. Jahrhundert.


Erzwungene Aufklärung also?

Als ich letztes Mal in Wien war, hat der Jugendforscher Manfred Zentner auf einer Veranstaltung gesagt, es gäbe auch Unterschichten in der österreichischen Gesellschaft, die Muslime gehörten dann halt auch dazu, sei das schlimm? Diese Ansicht ist diskriminierend. Wir bekamen die Möglichkeit, nach Europa zu gehen, weil wir in Anatolien keine Chance auf Bildung und selbstständiges Leben hatten. Wenn der Großvater aus Anatolien in der vierten Generation in Wien immer noch bestimmt, ob die Enkelin zur Schule geht, hätte die Familie nicht auswandern müssen. Griechen, Spanier waren einmal genauso arm. Sie haben aber nicht ihre Großfamilien geholt und ihre Ehrenkodex-Gesetze weitergemacht. Wenn Menschen sagen, finanziell geht's mir besser als im anatolischen Dorf, damit ist es getan, ist das für mich keine Integration. Ich will nicht nach 50 Jahren sagen müssen, dass wir als türkischstämmige Muslime nur eins erreicht haben: das neue Subproletariat der Europäer zu sein!?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2013)

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