Neuer Typ Jäger: Stadt, Land, Jagd

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Tiergeräusche auf dem Handy und die Selbstversorgung im Blick: Jagdschein-Interessenten sind heute jünger, urbaner. Und leben mitunter sogar vegetarisch.

Hygiene haben wir heute noch nicht gemacht.“ Aus dem Zusammenhang gerissen mag das durchaus abschreckend klingen. Nicht aber, wenn man mit einer jungen Neigungsgruppe Jagdschein im Ybbstal beisammensitzt, auf einem Anwesen am Waldrand, wo Handys keinen Empfang mehr haben, und man schon weiß, dass Jägerlatein ein eigenes Universum ist. Hygiene, also die Standards beim Aufbrechen und Zerteilen des Wildbrets, wird noch gesondert durchgenommen, dafür war Tontaubenschießen schon an der Reihe. Wobei man Tontauben nicht mehr sagen sollte, „das gilt als politisch unkorrekt, es heißt jetzt Wurfscheiben“, sagt ein Lernbeflissener aus der Neigungsgruppe. Der Kandidat steht dabei breitbeinig auf der Wiese, sich wie ein Annahmespieler beim Tennis hin- und herwiegend, und wartet mit dem Gewehr in der Hand auf die in die Luft katapultierten Wurfscheiben. Mit den Wurfscheiben, die biologisch abbaubar sind, üben die Jagdscheinanwärter das Schießen von Enten und Fasanen. Diese erlegt man im Flug – nicht nur aus Gründen der Waidmännischkeit, sondern auch, „weil man im Flug erkennt, ob ein Fasan gut getroffen wurde“.


Neuer Typ Jäger. Marco Schmid bildet die junge Truppe aus. Er leitet Schießübungen an der Stehbockscheibe, trägt vor und fragt ab – „wie viele Stoßfedern hat der Auerhahn?“ Schmid ist Büchsenmachermeister und bietet seit 23 Jahren Jagdkurse an. Die Handvoll Interessenten, die er in Wien und im Ybbstal auf dem Weg zum Jagdschein begleitet, hat sich privat zusammengefunden. Georg Demmer war der Initiator, hat Freunde versammelt, Wochenenden für geblockte Einheiten vereinbart, für Unterkunft gesorgt. Und er ist ein gutes Beispiel für den neuen Typ Jäger: jung, ehemaliger Waldorfschüler und Zivildiener (wie übrigens sechs von sieben in diesem Jagdkurs), urban, an nachhaltig produzierten Lebensmitteln interessiert – nur weiblich müsste er noch sein, um den neuen Typus perfekt zu repräsentieren. Denn immer mehr Frauen belegen Jagdkurse.


Wie der Führerschein. Anna Baltl ist eine von ihnen. Freelance-Kamera-Assistentin und Vegetarierin, seit sie fünfzehn ist. „Natürlich gibt es deshalb viele Fragen aus meinem Umfeld, vor allem das Bedienen der Waffe ruft seltsame Reaktionen hervor.“ Dieses steht auch nicht im Mittelpunkt ihrer Überlegungen. Sie ist am Wald als Lebensraum interessiert, Wildpflege ist ihr wichtig. Die Jagd sieht Baltl gewissermaßen als Ausgleich: „Man gestaltet für Tiere Lebensraum, im Gegenzug nimmt man sich etwas.“ Und verwertet es möglichst im Ganzen.

Anna Baltl selbst weiß freilich nicht, wie Wild schmeckt. Die einzige Legitimation, Fleisch zu essen, wäre, es auch selbst zu töten. „Ich muss im Moment nicht Tiere essen, um zu überleben. Aber es ist für mich beruhigend, mich selbst mit Nahrung versorgen zu können und nicht auf den Supermarkt angewiesen zu sein. Auch wenn ich es vielleicht nie brauche.“ Die Jagd ist für Baltl von unangenehmen Traditionen entwurzelt, sie hat ihr ihre eigene Bedeutung zugewiesen. „Man kann den Jagdschein mit dem Führerschein vergleichen“, sagt die vegetarische Jagdscheinanwärterin:

„Man wächst mit Straßenmarkierungen und Schildern auf, aber viele von ihnen werden erst sinnvoll, wenn man den Führerschein hat.“ Genau so sei es auch mit dem Wald: „Man wächst in irgendeiner Form damit auf, und mit dem Jagdschein sieht man dann alles mit anderen Augen, erkennt, wie die Natur funktioniert.“ Dabei spielen auch Accessoires eine Rolle, die sich erst in den letzten paar Jahren etabliert haben und die der jungen Truppe natürlich ein Begriff sind: Jagd-Apps, etwa mit Schnepfengeräuschen, oder solche, die Jagdzeiten und Standorte von Fütterungen und Hochständen anzeigen, oder Apps, die informieren, wann wo die Sonne auf- und untergeht. Nicht unwesentlich, „nur Ausnahmen wie Schwarzwild, also Wildschweine, darf man auch in der Nacht jagen“.

David Müllner, ein weiterer Vertreter dieser Neigungsgruppe Jagdschein, ist Tonmeister im Burgtheater. „Ein naturferner Beruf, vielleicht habe ich deswegen so eine Natursehnsucht.“ Er läuft eigentlich immer mit einem Aufnahmegerät herum, sammelt überall Arbeitsmaterial für Sounddesigns. „Also ärgere ich mich furchtbar, dass ich es heute nicht dabei habe. Ich hätte das Schießen aufnehmen können!“

Auch Müllner ist es wichtig, den Lebensraum Wald zu verstehen. Er war früher der Jägerschaft gegenüber kritisch eingestellt, „vieles lernt man aber zu schätzen, wenn man sich damit beschäftigt“. Was er nicht gedacht hätte: Im Laufe des Kurses bekommt man immer mehr Ehrfurcht vor dem Wild, nicht weniger. Und Ernährungsgedanken spielen für Müllners Interesse an der Jagd ebenfalls eine Rolle: „Lieber einmal im Monat einen selbst erlegten Bock als täglich Extrawurst vom Billa.“


Es kommt zu Spannungen. Jagdausbildner Marco Schmid kennt freilich auch negative Auswirkungen, wenn immer mehr Jäger in Städten leben: „Einerseits wandern etwa aus dem nördlichen Waldviertel viele junge Leute ab, dort fehlt also der Nachwuchs, umgekehrt übernehmen immer mehr Pächter aus der Stadt, oder auch aus dem Ausland, dort eine Jagd.“ Diese sind aber nicht so oft vor Ort, Fütterungen sind womöglich nach ein paar Tagen schon leer. „Da kommt es einfach zu Spannungen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2013)

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