Klaus Maria Brandauer: "Ich bin immer nur ich"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Kurz vor Weihnachten feierte Klaus Maria Brandauer mit Shakespeares King Lear am Wiener Burgtheater Premiere. Reden will er über das Stück jetzt lieber nicht. So entspinnt sich in der Wohnung des Schauspielers ein Gespräch über das, was ihm noch wichtiger ist als das Theater.

Vielen Dank, dass Sie sich heute, am Stefanitag, Zeit für ein Gespräch nehmen.

Klaus Maria Brandauer: Ja, auch das ist eine Premiere, das habe ich bisher noch nie gemacht.

Wie haben Sie denn die letzten Tage verbracht?

Ich habe mich ausgeruht, gefaulenzt, nichts anderes. Die letzten Monate waren sehr, sehr anstrengend. Ich bin froh, dass wir nun mit der Premiere herausgekommen sind.


Manche Schauspieler wirkten unmittelbar nach dem Ende der Aufführung beim Applaus schon entspannt und erleichtert. Sie sind bis zum letzten Vorhang als King Lear, mit dem Schritt dieses 80-jährigen gebrochenen Mannes, auf die Bühne gekommen.

Es freut mich, dass Sie das bemerkt haben, ich habe es nicht gemerkt.


Wann „entrollen“ Sie sich?

(Lacht.) Wer bin ich denn auf der Bühne, wer bin ich davor und danach? Immer ich! Das wird mir oft angekreidet und vorgeworfen, aber wer soll ich denn sonst sein? Ich kann ja dem Publikum die Charaktere, die ich spiele, nur so zeigen, wie ich sie mir vorstelle – gemeinsam mit all jenen, die mit mir die Aufführungen gestalten. Aber ich war noch nie Hamlet, nie Wallenstein und nie Lear. Ich wüsst gar nicht, wie das geht.

Ich finde, auch das Zuschauen ist ein intimes Erlebnis. Ich kreiere dabei meinen Lear, denn ich sehe ihn mit meinen Augen, habe meine Eindrücke und meine Assoziationen.

Bravo! Sie machen dasselbe wie ich, nur umgekehrt. Bauen Sie Ihren eigenen Lear! Denken Sie in ihn hinein, was auch immer Sie wollen. Wenn Ihnen das Stück nicht gefällt, schreiben Sie es in Ihren Gedanken neu! Das ist genau das, was wir wollen: ein Publikum, das in das Geschehen einsteigt und dann seine eigenen Gedanken entwickelt. Aber ich will jetzt nicht mehr über den Lear sprechen. Ich muss ihn in wenigen Stunden spielen. Das reicht. Für den Moment, weg damit.

Gut, weg mit dem Lear. Sie haben einmal gesagt, Ihre Mutter hätte Sie stets liebevoll überschätzt.

Nicht nur meine Mutter, auch einige andere, die mich begleitet haben. Aber meine Mutter hat mir bis zu ihrem Lebensende viel Liebe mitgegeben. Doch war sie nie unkritisch, keinesfalls! Nein, sie hat viel von mir gefordert, wollte, dass ich vieles lerne, weil sie mir eben viel zugetraut hat. Aber das Wichtige ist, sie hat mir vertraut.

Ich war eine gute Schülerin. Trotzdem hat mich mein Vater jedes Jahr zum Schulschluss voll Zweifel gefragt: Wie wirst du nur das nächste Schuljahr schaffen?

(Lacht.) Gut, das ist doch auch schön!

Ja?

Aber ja! Das bedeutet doch auch Sorge. Seien wir nicht so streng, schon gar nicht, wenn wir zurückschauen.

Sie haben ja einen milden Zug! Das wäre jetzt nicht die erste Eigenschaft gewesen, die ich Ihnen zugeschrieben hätte.

Das machen viele nicht. Ich habe grundsätzlich einen milden Blick, weil ich im Leben schon einiges hinter mir habe, im Guten wie im Schlechten. Es ist für alle viel günstiger, wenn man den Menschen ein bisschen entgegenkommt, ich auch mir etwas entgegenkomme. Es soll doch am Ende immer etwas Brauchbares herauskommen. Auch bei diesem Gespräch. Vieles von dem, was ich in Interviews gesagt habe, will ich heute gar nicht mehr hören. Manche Sätze stimmten vielleicht in diesem Moment, aber heute eben nicht mehr. Was habe ich nicht schon für Sachen gesagt.

Man ist halt nicht immer nur gescheit.

Gescheit – das muss man ja auch gar nicht sein. Wer immer nur gescheit ist, verpasst das Leben. Sehen Sie, ich rede seit 50 Jahren über das Theater oder besser das, was ich mir darunter vorstelle. Aber was ist das Theater? Ein Beruf, eine Art zu leben, ein Weg, sich zurecht zu finden? Vielleicht ist es gar nicht das Wichtigste in meinem Leben. Das Wichtigste sind wir! Wir, die wir miteinander sprechen, uns lieben und hassen und uns wieder versöhnen. Wir! Mit allen Sehnsüchten, Wünschen und Träumen. Und die haben wir unter allen Umständen anzumelden. Es werden nicht alle in Erfüllung gehen, aber sie auszusprechen, macht uns freier.

Ich bin gerade an die eine oder andere Weihnachtsansprache erinnert.

Ich habe auch wieder eine sehr gute gehört in diesem Jahr und war an viel vorhergehende erinnert. Als ich 1987 beim Weltfriedens-Forum in Moskau dabei sein durfte, zu dem Michail Gorbatschow eingeladen hatte, was haben wir damals gesagt? Freedom for ever! Peace and no weapons! Auch in hundert verschiedenen Sprachen ist das leicht gesagt. Aber diese Sätze müssen gelebt werden, darauf kommt es an! Vom Reden muss man zum Handeln kommen. Wie begleitet man etwa den neuen Papst Franziskus? Diesen Menschen, dem sich keiner verschließen kann, fast ein jeder ist von ihm begeistert.

Und wie begleitet man ihn?

Zuerst die Armen, dann die Benachteiligten, die Kranken. Er rückt es wieder in den Vordergrund. Alles ist möglich, wenn man bei sich selbst anfängt. Vielleicht hilft es, sich wieder zu besinnen: Wir sind Geschöpfe. Uns hat jemand erschaffen. Es gibt jemand, der uns gemacht hat, und zwar nicht zufällig.

Sie zweifeln nie daran?

Selbstverständlich. Ich sage auch als gläubiger Christ gelegentlich, dass wir Menschen ein Betriebsunfall der Natur sind, weil wir so unzulänglich sind. Es wäre geradezu lächerlich, wenn wir nicht den Zweifel hätten, der uns ja den Glauben bringt. Jedenfalls freue ich mich, dass wir einen Papst wie Franziskus haben. Ich bin gerne bei der Firma.

Haben Sie einmal überlegt, aus der „Firma“ auszutreten?

(Empört:) Nein, ausgeschlossen! Ich habe sogar einmal einer Freundin geradezu mit Lear'schem Diktat verboten, auszutreten. Dennoch gestehe ich jedem zu, dass er glauben kann, ohne bei einer Firma zu sein. Für mich ist es leichter, wenn man dabei ist. Es geht auch um Rituale, allein ist das fast nicht möglich. Glaube heißt, vom Du zum Ich zu kommen.

Zu Weltlichem. Sind Sie ein politischer Mensch?

Ja, das bin ich! Immer schon, und zwar familiär vorbelastet, und zwar angeregt durch meinen Großvater Hans Brandauer und meinem Vater Georg Steng. Die beiden haben oft auf der Veranda in Aussee gestritten, dass die Fetzen geflogen sind, und am lautesten, wenn es um Politik ging.

Worüber?

Der eine war deutscher Sozialdemokrat, der andere österreichischer Sozialist. Es gab enorme Streitigkeiten etwa darüber, ob die Sozialistische Partei nun umbenannt werden soll in Sozialdemokratische. Mein Großvater hat gesagt: Sozialistisch muss bleiben, Demokratie sollte ohnehin selbstverständlich sein. Mein Vater, ein Willy-Brandt-Verehrer, sah das anders. Für mich als 16-Jährigen war das unerheblich, aber die vielen Gespräche haben mich geprägt, tief geprägt. Eines ist mir noch wichtig zu sagen: Ich bin auch ein glühender Verfechter der europäischen Sache!

Was heißt das genau?

Wenn es etwas aus diesem furchtbaren 20. Jahrhundert zu lernen gibt, dann, dass es zu einer europäischen Einigung keine Alternative mehr gibt. Das ist ein Geschenk, welches wir zu gering schätzen. Wir müssen alle in die Schranken weisen, die uns dauernd klar machen wollen, wie schwierig Europa ist und künftig eventuell sein wird.

Wieso kann man mit Europa nicht punkten?

„Europa“ fällt heute viel zu oft in einem negativen Zusammenhang. Brüssel ist immer das große Feindbild, die Generalausrede einer Politik, die nichts Substanzielles mehr zu Stande bringt. Dennoch: Sie würden hier bei einer Abstimmung keine Mehrheit gegen die EU zusammenbringen, das ist das Tolle an Österreich. Aber wenn man jemanden fragt, bist du für die EU, sagt er: Ich doch nicht!

Haben Sie nie überlegt, einmal selbst in die Politik zu gehen?

Nein, vielleicht hätte ich dafür sogar Talent, aber ich würde ich es nicht durchstehen. Ich rege mich zu schnell auf. Noch dazu sage ich immer, was ich meine. Und wenn ich einmal nicht sage, was ich denke, dann muss ich mich Situationen beugen, die ich nicht erleben will. Diese Gelassenheit, mit Kompromissen, womöglich mit faulen, weiterexistieren zu müssen, die habe ich einfach nicht.

Steckbrief

1943
wurde Klaus Maria Brandauer in Bad Aussee in der Steiermark geboren.

1963
hatte er sein Debüt als Claudio in „Maß für Maß“ am Landestheater in Thübingen.

1972 wurde er Ensemblemitglied und Regisseur am Wiener Burgtheater.

1981 begann eine sehr fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Regisseur István Szabó, mit dem er das Klaus-Mann-Buch „Mephisto“, 1985 „Oberst Redl“ und 1988 „Hanussen“ verfilmte. Mit dem James-Bond-Film „Sag niemals nie“, „Das Russland-Haus“ und „Jenseits von Afrika“ wurde Brandauer auch in Hollywood bekannt.

Unter der Regie von Peter Stein spielte er in den letzten Jahren „Wallenstein“, den Ödipus in „Ödipus auf Kolonos“, „Das letzte Band“ von Beckett und jetzt Shakespeares „King Lear“ an der Burg.


1. . . wieso man Regisseur Peter Stein und Sie nach der Premiere nicht gemeinsam auf der Bühne sah?
Ich habe da schon von diversen Mutmaßungen gehört. Dabei war das ein reiner Zufall, ich kann mich gar nicht genau erinnern, wie das war.
2. . . ob Sie gute Ratgeber haben?
Ja, die habe ich. Ich denke da immer an einen Satz in Ibsens Peer Gynt. Er sagte über sich „Weiber standen neben ihm“. Das könnte ich auch von mir sagen. Ich denke dabei an meine Oma, meine Mutti, an jene Frauen, die mich begleitet haben und es immer noch tun. Zu Frauen hatte ich immer den besseren Draht als zu Männern. Wieso das so ist, weiß ich nicht.
3. . . ob es stimmt, dass Sie wieder Vater werden?
(Lange Pause.) Ja, meine Frau Nathalie und ich erwarten ein Kind, aber Privates soll privat bleiben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.12.2013)

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