Aenne Schwarz: "Das Theater war meine erste Familie!"

Aenne Schwarz:
Aenne Schwarz: "Das Theater war meine erste Familie!"Christine Pichler
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Im Akademietheater spielt Aenne Schwarz, neues Ensemblemitglied an der Burg, in der Dramatisierung von Isabel Allendes Roman »Das Geisterhaus« einen Clown, ein Mädchen und einen Hund.

Ab 30.1. ist im Akademietheater die Dramatisierung von Isabel Allendes Bestseller „Das Geisterhaus“ (1982) zu sehen. Der Roman handelt von Allendes Familie, von der Geschichte Lateinamerikas zwischen Feudalismus, Militärdiktaturen und Kommunismus. Was hat Sie an dem Buch fasziniert?

Aenne Schwarz: Ich habe die 500 Seiten zunächst einmal komplett durchgelesen und konnte nicht aufhören. Das Buch hat mich emotional sehr mitgenommen. Man taucht in jede Episode ein und verliert sich. Zauberwelten tun sich auf wie jene von Clara, die hellsehen kann und neun Jahre nichts spricht. Ich nehme das einfach so an, ich denke nicht darüber nach, ob das richtig ist, ob es Geister gibt oder nicht. Allende schafft es, mich in diese Welt zu versetzen. Ich begebe mich einfach hinein in dieses Märchen oder Horrormärchen, das spätestens dann zu Ende ist, wenn es gnadenlos real wird und es zum Militärputsch kommt.

Antú Romero Nunes, deutscher Regisseur mit chilenisch-portugiesischen Wurzeln, inszeniert „Das Geisterhaus“. Jeder Darsteller spielt mehrere Rollen. Wen spielen Sie?

Ich spiele u.a. Blanca, die Tochter des Gutsherren Esteban Trueba, die sich in einen Jungen verliebt, der aus einer anderen Klasse kommt. Und ich spiele Barrabas, ein seltsames Geschöpf. Ist das ein Hund oder ein Fohlen oder ein Fantasiewesen, kriegt er irgendwann Flügel? Verwahrlost kommt er ins Haus, Clara adoptiert ihn, am Tag ihrer Hochzeit wird er mit einem Messer getötet. Aber Barrabas ist auch ein Symbol für Esteban Trueba, diesen Macho, der sich aus dem Dreck emporgearbeitet hat und nur für seine Prinzipien lebt, aber die Liebe nicht versteht.


In diesem Buch geht es viel um Gewalt. Sind Sie selbst mit Gewalt konfrontiert worden?

Ja.

Sie sind seit Kurzem an der Burg engagiert. Wie sind Sie zum Theater gekommen?

Ich wollte schon als Kind Schauspielerin werden. Die Schule mochte ich nicht sehr. Das Theater war meine erste Familie: Ich komme aus einem Ort in der Nähe von Tübingen. Da gab es ein Naturtheater mit tausend Plätzen. Wir haben den ganzen Sommer Theater gespielt, dort hat mein Leben stattgefunden. Ich wollte gar nicht mehr weg. Später habe habe ich Germanistik, Philosophie und Religionswissenschaften studiert. Ich habe mich nicht getraut, ich dachte, ich schaffe es nicht zum Theater. Als ich einen Film mit Freunden gemacht habe, dachte ich plötzlich: Ich bin ja verrückt, dass ich meinen Traum verraten habe. Ich habe an der Ernst-Busch-Schule in Berlin vorgesprochen und bin genommen worden. Dadurch bin ich schon 30 und erst zwei Jahre im Engagement.

Trotzdem haben Sie schon viel gemacht, darunter auch eigenwillige Filmversionen von „Lulu“ und „Medea“.

„Lulu“ war eine Faszination von mir und dem Fotografen Jim Rakete. Es begann mit der Idee, mit alten Plattenkameras Bilder zu machen. Sie sind sehr schön geworden. Dann gab es eine Ausstellung, und wir haben einen Monolog auf Video gedreht. „Medea“ habe ich mit einer Regiekollegin von der Busch-Schule gemacht, Nina Hellmuth. Auf dem Tempelhofer Flughafen in Berlin gab es einen Plattenbau, in dem Künstler Aufführungen zeigen konnten. Wir meldeten uns an und sagten, wir wollen „Medea“ machen. Dann sind wir im Urlaub nach Athen geflogen und haben dort Aufnahmen gemacht. Die Performance war im Gebäude und draußen auf dem Tempelhofer Feld zu sehen, leider nur einmal.

Guckkasten ist out. Theaterleute suchen gern neue Orte, Formen für Klassiker.

Ja. Ich habe beispielsweise mit Andreas Kriegenburg gearbeitet, der am Deutschen Theater in Berlin mit Ensemblemitgliedern und uns damaligen Schülern von der Busch-Schule „Hamlet“ inszeniert hat. Es war eine sehr schwere Probenzeit, aber am Ende erfand er zwei Figuren, zwei Clowns, die auf Englisch den Abend leiteten und kommentierten. Ich durfte einen dieser Clowns spielen. Das hat sehr viel Spaß gemacht. Ich habe etwas entdeckt, was ich noch nicht kannte. Einen Clown kann man immer wieder brauchen, auch jetzt, da Jasna Fritzi Bauer und ich im „Geisterhaus“ Blanca und Pedro spielen, die sich von Kindheit an kennen, später werden sie ein Liebespaar. Da sind wir auch so kleine Clowns, Verbündete, die machen, was sie wollen. Das ist das Schönste am Theater.

Sich ausleben und Leben nachspielen?

Alles ist möglich, man darf Leben proben. Im echten Leben ist immer alles eine Aufführung, hat Konsequenzen.

Was machen Sie in Ihrer Freizeit?

Ich finde Kino etwas Tolles. Ich leide sehr darunter, dass die kleinen Kinos eingehen. Als ich nach Wien kam, hatte ich hier noch einen Monat frei, weil die Sommersperre-Zeiten anders sind als in Deutschland. Da habe ich Spanisch gelernt, Musik gehört, z.B. von Arvo Pärt, habe mir Filme angeschaut und bin in Ausstellungen gegangen. Man vertieft sich wahnsinnig in das Theater, dann ist es gut, wieder Abstand zu nehmen, hinaus in die Welt gehen. Es ist nötig, sich im Theater zu verlieren, aber genauso nötig, wieder loszulassen, sein eigenes Leben zu haben.

Was wäre die Alternative zum Theater?

Früher hätte es mich immer gereizt, Ärztin zu sein oder so etwas Ähnliches. Schauspielerei hat eine Verbindung zum Schamanentum.

Sie wären gern Schamanin?

Man kann sich ausbilden lassen, aber ich glaube, Schamanen sind sehr an die Wurzeln der Gesellschaft gebunden, aus der sie gewachsen sind. Ich finde es schwierig, wenn jemand aus einem völlig anderen Kulturkreis glaubt, er müsse jetzt nach Südamerika gehen, um dort Rituale zu lernen. Was ich meinte: Schauspielerei ist ein schamanischer Vorgang, man kann die Dinge wirklich durchleben und das Publikum auf diese Reise mitnehmen, statt zu sagen, wir machen es immer nur cool und lustig auf der Bühne. Man kann sich selbst und auch die Leute dazu bringen, wirklich einzusteigen. Schamanen nehmen ihre Patienten auch auf eine Reise mit, auf der sie der Krankheit oder einer Form von bösen Geistern begegnen, die bezwungen werden müssen.

Sie glauben an böse Geister, die man austreiben kann?

Ich glaube, dass die rationale Erklärung nicht immer die richtige ist. Es gibt verschiedene Systeme, durch die man geheilt werden kann: durch die Schulmedizin, die Psychiatrie oder eben durch Schamanen. Ich habe im Studium einen Kurs über Ekstasetechniken gemacht, wir haben uns auf der ganzen Welt Rituale angeschaut.

Was bringt Sie zum Lachen?

Ich finde vieles lustig, was im Alltag passiert, verschrobene Menschen und ihre Eigenheiten. Tiere finde ich auch witzig, ich liebe Tiere. Und ich mag es, wenn meine Kollegen Witze erzählen, oder meine Schwester, die ist darin toll.

Und was bringt Sie zum Weinen?

Bei der Viennale bin ich morgens um zehn Uhr ins Kino gegangen und habe mir „La vie d'Adèle“ („Blau ist eine warme Farbe“ von Abdellatif Kechiche, gewann heuer die Goldene Palme in Cannes, Red.) angeschaut. Es war so schön, mit 200 Leuten zusammenzusitzen, Croissants zu essen, und alle haben geweint. Ich hatte kein Taschentuch mit und musste meinen Ärmel benutzen. Neben mir saß ein schwules Pärchen, und nach einer Weile hat mir der Mann verstohlen ein Taschentuch herübergereicht. Solche Momente machen das Leben besser.

Was spielen Sie als Nächstes in Wien? Was haben Sie sonst vor?

Ich spiele ab Mai die Nina in Tschechows „Möwe“, die Jan Bosse inszenieren wird. Aber zuerst mache ich noch etwas total Schönes: In Wien gibt es das Freunde-Schützen-Haus für Familien, die Asylrecht haben, aber trotzdem jeden Tag fürchten, dass sie wieder weg müssen. Sie sprechen Deutsch, sind super integriert, sie bekommen Hilfe von Anwälten. Es gibt dort über 60 Kinder. Mit 30 dieser Kinder, mehr geht leider nicht, werden mein Kollege Daniel Sträßer und ich uns ab Februar einmal in der Woche treffen und mit ihnen Theater spielen.

Theater gilt ja vielen als elfenbeinerner Turm. Den verlassen Sie jetzt.

Theater hat etwas mit Hingabe zu tun, man liefert sich aus. Auf der Probe sprachen wir neulich darüber, was das alles soll, das Theater, dass man sich schon oft die Frage stellt, was wir hier machen, wer das eigentlich braucht angesichts dessen, was in der Welt an Katastrophen passiert. Und ich glaube, es war August Diehl, der diesen schönen Satz zitierte: „Alles Nützliche ist sinnlos und alles Nutzlose sinnvoll.“

Steckbrief

1983
Aenne Schwarz wird am 17.September in Filderstadt, Baden-Württemberg, geboren.

1996
Schwarz spielt im Naturtheater Grötzingen.

2007
Nach dem Grundstudium der Literatur-und Religionswissenschaft absolviert sie die renommierte Ernst-Busch-Hochschule in Berlin.

2009
bis 2011 ist sie in Filmen zu sehen, etwa in „Zeiten ändern dich“ von Ulli Edel, „Echolot“. Am Deutschen Theater in Berlin spielt Schwarz in „Hamlet“, ferner in Hebbels „Judith“, in Tschechows „Kirschgarten“.

2012
Schwarz spielt in Antú Romero Nunes' erfolgreicher Inszenierung von Schillers „Räubern“ am Maxim-Gorki-Theater in Berlin.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.01.2014)

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